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Eigentlich schon markerschütternd

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Der krisengeschüttelten Steiermark wird auch bei der kulturellen Förderung immer mehr der Hahn zugedreht: Die Kultur-Pipeline von Wien nach Graz ist löchrig geworden, dringend notwendige Geldmittel werden nach Salzburg und Vorarlberg umgeleitet oder versickern spätestens in Mörbisch.

Graz ist nicht Hammerfest — es liegt weiter im Süden und läßt sich leichter auf vielerlei Wegen erreichen, denen allsamt der exotische Reiz gemein ist. Mit dem Zug geht’s, weil der Bund im Sü-

den der Nation schon immer am konsequentesten sparen wollte, am langsamsten. Mit dem Auto gelangt man ebenfalls her, allerdings ist das, siehe nochmals unter Sparmaßnahmen, am gefährlichsten. Auch Flugzeuge landen hin und wieder am Thalerhof. Es sind nicht die größten Maschinen, und wer sie zählen will, kommt spielend mit den Fingern einer Hand über die Runden; so leicht sogar, daß er mit dem Restbestand an Fingern noch zwei Bierchen und ein Taxi bestellen kann. Doch das wird sich, wenn erst einmal die Draken kommen, schlagartig ändern.

Doch zurück zum Taxi. Das braucht der Besucher, um möglichst rasch an all die weihevollen Stätten zu kommen, denen die Metropole an der schönen Mur ihren internationalen Ruf als Ort wichtiger kultureller Ereignisse verdankt.

Das mit der Metropole und mit der schönen Mur stimmt nicht ganz, denn der Fluß ist längst ein erbärmlich stinkender Abfluß. Geld für eine Sanierung wird schon lange gefordert, doch die Sache zieht sich. Aber immerhin: Die Mur gibt es, während die Kul-

turstätten so gut wie gar nicht vorhanden sind. Sieht man vom Forum Stadtpark ab, das wegen seiner baulich bescheidenen Ausführung von Kultur-Touristen oft erst nach längerer Suche entdeckt wird.

Ohne dieses Forum wäre aber eine österreichische Gegenwartsliteratur undenkbar, ohne den „steirischen herbst“, der in sein 20. Bestandsjahr geht, aber noch immer keine eigene Veranstaltungsstätte hat, hätte dieses Land nie den Status eines nach wie vor international doch recht hochangesehenen Stützpunktes der zeitgenössischen Kunst erlangt.

Graz ist, allen Schikanen zum Trotz, ein kultureller österreichischer Kopfbahnhof mit Anschlußverbindungen nach allen künstlerischen Richtungen, es belieferte die Nachbarländer mit vielen wichtigen Literaten, Musikern, Malern, dennoch läuft die Stadt (und damit auch das gesamte Bundesland) Gefahr, bei der finanziellen Förderung arg unter die Räder zu kommen.

Dieses Bundesland ist das Liebkind der öffentlichen Geldgeber nicht. Die Kultur kann die negativen Auswüchse bestenfalls verdeutlichen. Wen wundert’s noch weiter, wenn ein ranghöher steirischer Politiker resignierend murrt: „Wir kommen überall zu kurz. Bei der Wirtschaftsförderung, beim Straßenbau, beim1 Umweltschutz. Warum soll es ausgerechnet bei der Kultur anders sein?“

Ja, warum denn wohl?

Rund 100, zum Teil mehrwöchige Festivals werden oder wurden heuer in der Alpenrepublik veranstaltet, die gepeinigte Mark ist nur mit zwei größeren Beiträgen vertreten: Eben mit dem „steirischen herbst“, für den seit Jahren ziemlich unverändert knappe 15 Millionen Schilling zur Verfügung stehen, und mit der tyri arte“, deren Aushängeschild Niko-

laus Harnoncourt ist und die heuer insgesamt über 7,5 Millionen Schilling verfügt.

Bei einem Großteil der Festivals geht es längst nicht mehr um kreatives Potential, sondern um die penible Kalkulation kulturell desinteressierter Fremdenverkehrsobmänner, die nur eines im Auge haben: Die Umwegrentabilität. Jedem sein Salzburg! Jedoch sollte nie darauf vergessen werden, daß dort und anderswo nur geschickt und aufwendig aufpolierte Kunstkonserven offeriert werden.

Allein schon aus der finanziellen Not heraus stellte der „steirische herbst“ stets eine Ausnahme dar: Fehlendes Geld wurde durch hervorragende Ideen kompensiert, nicht der Prunk, sondern die künstlerische Improvisation triumphierte. Es grenzt schon an Zynismus, wenn die „öffentliche Hand“, also der Bund, auf Mörbisch und die dortigen Seefestspiele 3,88 Millionen Schilling nie derregnen läßt, in Bregenz 15,6 Millionen ausschüttet, aber für den „steirischen herbst“ lediglich läppische 3,65 Millionen Schilling erübrigt.

Dazu kommt ein doch sehr signifikanter Wandel in der Kulturszene: Boten sich einstmals die Künstler recht bereitwillig für neue Projekte an, so prüfen sie nun vorwiegend zuerst einmal die Angebote. Wer knapp bei Kasse ist, kann nicht mehr mithalten. Ganz abgesehen davon, daß sich rund um den „steirischen herbst“ alljährlich die Diskussion verstärkt, was denn nun noch oder nicht mehr Avantgarde sei; das nagt, neben den ständigen Zwistigkeiten über Führungsprobleme oder -schwächen der Kulturpolitiker und Intendanten, am Lebensnerv und kommt einigen konservativen Köpfen gerade recht. Dem freiheitlichen Grazer Fremdenverkehrsleiter fiel in seiner Amtszeit nichts Besseres ein, als der Wunsch, ein Robert-Stolz

Festival ins Leben zu rufen und die Wiener Hofreitschule endlich auf den Schloßberg traben zu lassen.

Da gab es wenigstens wohltuende Pleiten oder Absagen. Höhere Politiker, mit Ausnahme des Bundespräsidenten, werden längst nicht mehr eingeladen, weil sie ohnehin verhindert oder unterwegs zu anderen Krisenherden sind. Vielleicht aber ist ihnen, siehe Beginn, auch die Anreise zu beschwerlich.

Eine Ausnahme gab es, doch das ist schon lange her: Als Erhard Busek noch ÖVP-Generalsekre- tär war, mischte er sich häufig und auffallend unbekümmert unter das junge steirische Kulturvolk. Das, was er sah, hat er größtenteils in Wien (mit)verwirk- licht.

Wer heute über den Semmering nach Wien zu den Festwochen fährt, fühlt sich an ein Märchen von Peter Bichsei erinnert. In „Amerika gibt es nicht“ erzählt er, wie Kolumbus zwar monatelang über das Meer fuhr, aber einfach kein Land entdecken konnte. Aus Angst, vom König bestraft zu werden, erfand er einen Kontinent namens Amerika, den er in all seiner nicht vorhandenen Pracht schilderte. Seine Lüge machte Schule — und weil jeder mehr gesehen haben will als seine Vorgänger, halten wir heute bei den Wolkenkratzern, die nichts anderes sind als Phantasieprodukte.

Die Festwochen mit ihrem 80- Millionen-Budget freilich gibt es, auch sie haben ihre Probleme, und auch sie sind umstritten, aber sie haben eine für Bewohner der Bundesländer fast unvorstellbare Größenordnung erreicht. Wenngleich auch dort die Reproduktionen und teuren Gastspiele den Ton angeben. Umso weniger verwunderlich ist eine verbürgte Anfrage von „Festwochen“-Chefin Ursula Pasterk beim „steirischen herbst“: „Wie schafft ihr es, in jedem Jahr so viele Uraufführungen zu bekommen?“

Das wird auch aufhören, wenn nicht bald jemand anfängt, den Geldhahn zu öffnen. Sonst müßte man ja fast eine Absicht dahinter vermuten.

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