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Ein Abbild des Arbeitslebens

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„Am und im Sport", so der aus Graz gebürtige Soziologe Helmut Schoeck, „erfährt jeder, auch der bloße Zuschauer, daß die Menschen nicht gleich sind, daß selbst bei gleichen Anfangschancen am Ende Gute und weniger Gute übrig bleiben".

Demnach ist der sportliche Wettbewerb die beste Antwort auf alle ideologieträchtigen Versuche, den Menschen von seiner persönlichen Leistungsfähigkeit zu entfremden. Nach Arnold Gehlen gibt es Uberhaupt nur eine Rangordnung, die nicht vererbbar ist, nämlich die der Leistung.

Insofern vermittelt der Sport ein tiefes Verständnis für das Wesen der Marktwirtschaft. Was so häufig von den Ideologen der Gleichmacherei kritisiert wird, jene angebliche Ungerechtigkeit der ungleichen Belohnungen für ungleiche Risken und Leistungen, wird im sportlichen Wettkampf ohne weiteres akzeptiert: Wer am raschesten läuft, am weitesten oder am höchsten springt und in der Lage ist, die schwersten Lasten zu heben, der verdient die Siegespalme.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Sportarten, bei denen jede Punktevergabe vom subjektiven Empfinden der Preisrichter abhängt: Eislaufen, Skispringen, Turnen, Kunstspringen

und andere mehr. Ungeachtet vieler für die Gerechtigkeit und Ausgewogenheit des Urteils denkbar ungünstiger Bedingungen wurde bislang noch nicht versucht, diese Art sportlicher Wettbewerbe der Chancengleichheit zuliebe abzuschaffen.

„Sportliche Leistungen gehören immer noch zu den wenigen Tätigkeiten, wo es nicht gelingt, Leistung selbst als willkürliche Norm verächtlich zu machen", befindet der Soziologie-Professor Helmut Schoeck:

Noch kann kein Eiskunstläufer während seiner Darbietung ein Dutzendmal auf sein Hinterteil plumpsen und damit rechnen, dies als seine persönliche Auffassung von Kunsteislauf anerkannt zu bekommen.

Noch darf kein Fußballer in der österreichischen Nationalmannschaft largieren, ohne vom Gewerkschaftsvize- und Fußball-Präsident Karl Seka-nina öffentlich verdammt zu werden.

Noch kann kein Fußballteam die Welt zwingen, die höchstmögliche Zahl von Toren, die man bei sich selbst hat schießen lassen, als Siege zu werten und noch kann auch kein Läufer die Welt zwingen, auf einmal die längste Zeitspanne, die man auf 100 Meter laufend verwenden kann, als Leistung anzuerkennen.

So führt der sportliche Wettbewerb die Ideologie der Leistungsfeindlichkeit vollends ad absurdum, spannt auch deren Vertreter in ein dem marktwirt-

schaftlichen Konkurrenzkampf vorgebildetes System der demokratischen Leistungsvergleiche.

Unerfindlich muß deshalb bleiben, wie man auf der einen Seite die allen sportlichen Wettbewerben innewohnende demokratische Organisationsform bejahen und anderseits die unter dem gleichen Organisationsprinzip funktionierende Marktwirtschaft ablehnen kann.

Das Verhältnis von Sport- und Marktwirtschaft ist eindeutig. In demokratisch und damit auch marktwirtschaftlich organisierten Staaten beruhen beide auf dem Prinzip der Leistung; Leistung, die durch Geschicklichkeit, Fleiß, Wissen und Können, Einsatz der Persönlichkeit, Mühe und Willenskraft entsteht; Leistung, die an körperliche und geistige Fähigkeiten gebunden ist.

Sportliche Großveranstaltungen, Olympische Spiele, Weltmeisterschaften und nationale Wettkämpfe zeigen noch eines mit bemerkenswerter Deutlichkeit: Während in der industriellen Gesellschaft die Elemente der Muße und der wachsenden Freizeit immer dominanter werden, erleben wir paradoxerweise bei sportlichen Wettbewerben den Triumph des „Arbeiter"-Typus über den des spielenden Menschen, des homo ludens.

Daß eifrige und hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre den ungenügenden Trainingsfleiß und das zu kurze Trainingspensum „ihrer" Mannschaft in aller Öffentlichkeit kritisieren, erlebten wir am Beispiel des ÖGB-Vizepräsidenten und Bautenministers Karl Sekanina kürzlich geballt im Fernsehen und im Sportteil der Zeitungen.

Als Gewerkschaftler glaubt er an die Notwendigkeit einer Arbeitswoche von noch weniger Arbeitsstunden; als Präsident des österreichischen Fußballbundes erwartet er von seiner Nationalmannschaft dagegen pausenlosen Trainingseifer, weil eben nur der Einsatz den Erfolg verbürgt.

Sekanina gibt Trainer und Mannschaft Vorgaben, wie sie selbst in der Zeit des Manchester-Liberalismus verpönt waren: genaue Punkteziele, den Sieg um jeden Preis. Sonst?

Nun sonst wird zunächst der Trainer trotz seines geltenden Arbeitsvertrages entlassen. Der Gewerkschaftsfunktionär Sekanina wäre völlig zu recht empört, wenn er derartige Vorgangsweisen in Unternehmen entdecken würde.

Doch auch Schichtbetrieb und Akkordarbeit sind in den Unternehmen humaner organisiert als im Alltag der Fußballnationalmannschaft. Die neuerdings wieder so viel diskutierte Mitbestimmung ist in diesem Bereich kein Gesprächsthema.

Für den Gewerkschaftler und ÖFB-Präsidenten Sekanina ist der Erfolg „seines" Fußballteams leistungsprinzipientreu Qualitätsmerkmal persönlicher Tüchtigkeit. Als präsidialer Peitschenknaller kommt er öfter in die Spalten der Presse denn als bemühter Bautenminister.

Erreicht Österreich die Teilnahme an der Fußballweltmeisterschaft und dort womöglich noch einen guten Rang, dann, so wird er wohl denken, sind die eigenen Chancen, Nachfolger Anton Benyas an der Spitze des Gewerkschaftsbundes zu werden, stark gestiegen.

Man kann über Karl Sekanina denken wie man will, eines wird man ihm nicht absprechen dürfen: ein gespaltenes Verhältnis zur Leistungsideologie und zum System der Marktwirtschaft. Wenn es um „sein" Fußballteam geht, scheint in diesem Denken die soziale Komponente ein wenig unterentwik-kelt.

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