6843743-1976_06_12.jpg
Digital In Arbeit

Ein Abend mit Zuckmayer

Werbung
Werbung
Werbung

Zugegeben: als das Wiener Volkstheater vor mehr als einem Jahr Carl Zuckmayers jüngstes Stück, seinen „Rattenfänger“, vom S.-Fi-soher-Verlag in Frankfurt anforderte, geschah dies nicht ohne Skepsis. Waren doch seine letzten Stücke durchaus nicht mehr von jener dichterischen und dramatischen Stoßkraft wie seine früheren, und schien es vielen, daß er bereits zu Lebzeiten zum Klassiker in des Wortes weitester Bedeutung geworden sei. Aber schon nach der Lektüre der ersten Szenen des „Rattenfängers“ spürte ich, wie die Theaterpranke des alten Dichters zuschlug. Da war wieder Dramatik wie in den Werken seiner frühen und mittleren Epoche, mehr noch, echte Komödiantik, wie wir sie in den so oft tierisch ernsten Stücken unserer Zeit schmerzlich vermissen. Ich wunderte mich, daß nicht mehr Bühnen sofort nach diesem Stück griffen und kann dies nur auf die erwähnte Skepsis, mit der auch wir an das Stück herangegangen waren, zurückführen. Auch vom Inhalt her hatte er wieder ein heißes Eisen angegriffen, das Problem der unruhigen Jugend, wohl das bewegendste des letzten Jahrzehnts, und das, selbst wenn es nach außen hin im Abflauen zu sein scheint, noch lange nicht gelöst ist. ; Die ersten Berichte von der Zürcher Uraufführung, ihrem Publikumserfolg und Pressemißerfolg, konnten uns nicht umstimmen. Wir erwarben das Recht der österreichischen Erstaufführung für das Volkstheater und waren glücklich darüber. Und als wir das Stück unserem langjährigen Prager Gastregisseur, Vaclav Hudecek, zur Inszenierung anboten, war dieser sogleich Feuer und Flamme. Was Wunder auch, diesem böhmischen Urkomö-dianten mußte das farbige Werk des vitalen Rheinpfälzers besonders gelegen sein. Lieben doch beide das Leben und den Wein, hier mußte es zu einem Einklang kommen. Der Erfolg der Premiere hat uns recht gegeben.

Zuckmayer hatte nicht nur sein Kommen zugesagt, sondern war auch bereit gewesen, die letzte Woche vor der Premiere in Wien zu verbringen, um bei den Proben anwesend zu sein. Er kam nach Wien, erkrankte aber und konnte so erst einen Monat später eine Vorstellung seines Stückes sehen.

Wir hatten uns alle schon auf das Zusammensein mit dem alten Dichter gefreut, dem doch jeder von uns große Theaterabende zu danken hatte. Zu meinen persönlich eindrucksvollsten Erinnerungen gehört die Burgtheateraufführung seines „Gesang im Feuerofen“, wenige Jahre naoh dem letzten Krieg. Überhaupt haben wir, die wir der sogenannten „verlorenen Generation“ angehören, sein Werk ja erst nach 1945 kennen lernen können, vorher war uns wohl der Name bekannt, aber kein Begriff. Über Nacht wurde dies anders. Ich erinnere mich noch an die heißen Debatten, die jeder Aufführung seines „Des Teufels General“ folgten, ging es doch hier zum erstenmal auf der Bühne um unser eigenes Schicksal, um die jüngste Vergangenheit. Ich kann mich noch genau erinnern, es war besonders der „Verrat“ Oderbruchs, der die Geister trennte, zu-vielen saß noch der preußische Gehorsamsdrill in den Knochen. Aber gerade ein Stück wie „Des Teufels General“ ließ selbst in diesen erste Zweifel an der Richtigkeit sturer Befehlserfüllung aufkommen. Heute würde man es ein „wichtiges“, ein „notwendiges“ Stück nennen, da- mals brauchte und gebrauchte man solche Attribute noch nicht. Es ging uns einfach an, man konnte an den Problemen dieses Stückes nicht vorbeigehen. Für mich war, wie schon erwähnt, der „Gesang im Feuerofen“ das noch größere Erlebnis, obwohl das Stück allgemein weniger Aufsehen erregt hat. Doch scheint mir noch heute der Opfertod des kleinen Funkers bedeutender als das verzweifelte Sterben des Generals. Erst später sah ich den frühen Zuckmayer, vor allem seinen unsterblichen „Köpenick“ mit Werner Kraus. Es war auch das erste Stück des Dichters, das ich als Dramaturg betreuen durfte, in den fünfziger Jahren in Graz, wo ich sogar zwei Rollen darin spielte. Nun lernte ich Zuckmayer von der anderen Seite her, von der Bühne her, kennen, schätzen, lieben. Erkannte, daß hier einer der letzten war, die Theater für Schauspieler schreiben, Stücke, in denen nioht diskutiert oder doziert, sondern gespielt werden darf. Mein letztes Zuckmayer-Erlebnis war die Lektüre seiner Biographie „Als wär's ein Stück von mir“, ein großes Kapitel deutsoher Gei-stes(und Ungeistes-Jgeschichte. Als Symbol lebendiger Geschichte, wobei die Betonung auf lebendig liegt, war mir Zuckmayer bisher erschienen, und er blieb es auch nach dem Abend des Kennenlernens, da er verspätet der Aufführung seines „Rattenfängers“ im Volkstheater beiwohnte.

Als Eugen Stark, der Darsteller der Titelrolle, nach der Vorstellung von der Rampe aus den Dank der Schauspieler an den anwesenden Dichter aussprechen wollte, ließ man ihn erst gar nicht zu Ende reden, sondern begann begeistert zu applaudieren. Dieser spontane Beifall für den Autor, der Minuten andauerte, bewies, daß auch das Publikum von heute, ob jung oder alt, ihn als den seinen betrachtet, als gegenwärtig empfindet und nioht, wie man von Snobisten oft zu hören bekommt, als Mann einer Generation von gestern, dem man bestenfalls Aohtung für Werke seiner Frühzeit zollt.

Daß er nach seiner Krankheit nicht mehr der stämmige, vitale Pfälzertyp sein werde, wie er uns auf Bildern früherer Jahre und auf Grund seiner lebensbejahenden Werke erschien, war klar; um so mehr beeindruckte mich sein leuchtender Blick und sein ungebrochener Optimismus, wenn er etwa erzählte, daß er zur Zeit an seiner letzten Komödie arbeite und hinzufügte: nun, vielleicht wird es die vorletzte.

Wenn er von Vergangenem zu sprechen beginnt, empfindet man, daß er nicht zu den Resignierenden gehört, aber auch nioht zu jenen schwärmerischen Nostalgikern, die in der guten alten Zeit leben, auch wenn es eine böse war. Vom „Fröhlichen Weinberg“ spricht er, der im Berlin der zwanziger Jahre einer seiner größten Erfolge war, während ihm seine Heimatstadt Mainz deshalb einen der größten Skandale beschert hat. Überhaupt waren es die kleinen Universitätsstädte, deren reaktionäre Bürger sohon damals die Zuckmayerschen Warnungen vor einem aufkommenden Nationalismus mit Haß quittierten. „Im .Fröhlichen Weinberg“', wirft Frau Zuckmayer, die ihren Mann überall begleitet, ein, „hatte es ihnen der Assessor Knuzius besonders angetan, dem der Dichter bereits die Züge eines künftigen Nationalsozialisten verliehen hatte.“ Und dann kommt Zuckmayer auf Österreich zu sprechen, das durch viele Jahre seine Wahlheimat gewesen war, und wo er mit etlichen bedeutenden Schriftstellern Freundschaften geschlossen hatte: mit ödön von Hor-väth, dem Unvergeßlichen, dem er den Kleist-Preis verliehen hatte (die Jury bestand damals aus jeweils einem früheren Preisträger), oder mit Alexander Lernet-Holenia, der ihn in Henndorf von St. Wolfgang aus immer besuchte, per Rad natürlich, denn „Autoren fuhren damals noch keine Autos“. Lernet-Holenia saß an diesem Abend im Parkett des Volkstheaters und applaudierte begeistert seinem Dichterfreund.

Daß das Volkstheater schon in den dreißiger Jahren seinen „Schinderhannes“ gepielt hatte, wußte Zuckmayer genau. Daß er zu den Proben vom „Rattenfänger“ durch seine plötzliche Krankheit nicht hatte kommen können, bedauerte er aufs neue, gehört er doch zu jenen Autoren, die nicht nur am Schreibtisch sitzen, sondern, solange das Stück noch reift, ebenso im Parkett der Theater zu Hause sind. Und ein echtes Theaterstück reift bei jeder Probenarbeit aufs neue. Die zahlreichen Autogrammjäger wehrt er freundlich ab, nur einem kleinen Jungen, der schüchtern ein Textbuch hinhält, schreibt er einige Zeilen. Zum Abschluß dankt er den jugendlichen Hauptdarstellern, die ihm große Freude bereitet haben, und bittet sie, seinen Dank an alle anderen weiterzugeben. Besonders an den Jungen, der den Johannes spielte, fügt er hinzu, und beweist damit aufs neue seine Verbundenheit mit der jungen Generation, der er ja auch sein Stück „Der Rattenfänger“ gewidmet hat.

Ein alter Mann verläßt das Theater — wir konnten ihn leider nicht, wie es bei ihm sonst üblich war, noch irgendwohin auf ein Gläschen Wein einladen — aber dieses Alter ist nur eines der Jahreszahlen. Während die meisten jungen Autoren in modischem Skeptizismus oder Nihilismus „machen“, ist er — wie vor fünfzig Jahren — erfüllt vom Zukunftsglauben, daß die neue Jugend den besseren Weg finden werde. Auch wenn man, wie es im „Rattenfänger“ heißt, nicht weiß, ob die Kinder, die die böse Stadt Hameln verlassen, jemals das Land ihrer Sehnsucht erreichen werden ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung