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Ein Afrikaner wartet auf Beispiel der Kirche

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Das Ziel der Entwicklung ist der Mensch. Das Ziel ist die Schaffung von Bedingungen, materiell und spirituell, die den Menschen befähigen, als Individuum und als Art sein volles Potential zu erreichen. Für Christen ist dies selbstverständlich, weil das Christentum fordert, daß jeder Mensch nach der Vereinigung mit Gott durch Christus streben soll.

Aber obwohl die Kirche als Folge ihrer Beschränkung auf den Menschen die Fallstricke der Identifizierung von Entwicklung mit neuen Fabriken, erhöhter Leistung oder erhöhtem Bruttosozialprodukt vermeidet, zeigt die Erfahrung, daß sie zu oft den umgekehrten Fehler begeht.

Denn die Repräsentanten der Kirche und die kirchlichen Organisationen verhalten sich oft, als ob die Entwicklung des Menschen ein persönlicher und „innerer” Prozeß wäre, der von der Gesellschaft, in der er lebt, und vom Wirtschaftssystem, in dem er sein tägliches Brot verdient, getrennt werden kann…

Die Kirche sollte akzeptieren, daß die Entwicklung der Völker Rebellion miteinschließt. An einem gegebenen und entscheidenden Punkt der Geschichte fangen die Menschen an, gegen die Zustände anzukämpfen, die ihre Freiheit als Menschen beschränken.

Was ich zu bedenken gebe: Wenn wir nicht aktiv an der Rebellion gegen jene gesellschaftlichen Ordnungen und wirtschaftlichen Organisationen, die Menschen zu Armut, Erniedrigung und Elend verurteilen, Anteil haben, wird die Kirche für den Menschen bedeutungslos, und die christliche Religion degeneriert zu einer Aber-Glaubensinstanz, die nur von Ängstlichen akzeptiert werden wird…

Alles, was die Menschheit hindert, in Würde und Anstand zu leben, muß deshalb von der Kirche und ihren Mitarbeitern bekämpft werden … Die Kirche muß Menschen helfen, gegen ihre Slums zu rebellieren. Sie muß ihnen helfen, den für diesen Zweck bestmöglichen Weg zu gehen.

Die Kirche muß sich entschieden gegen Institutionen und Machtgruppen aussprechen, die die Existenz und die Dauer von physischen und psychischen Slums gutheißen, muß sie offen bekämpfen, ohne Rücksicht auf die Folgen für sich selbst und ihre Mitglieder.

Und wo immer und wie immer die Umstände es ermöglichen, muß die Kirche mit den Menschen Zusammenarbeiten beim Aufbau einer Zukunft, die auf sozialer Gerechtigkeit gegründet ist. Sie muß aktiv am Initiieren, Sichern und Herbeiführen von Veränderungen Anteil haben, die unausweichlich notwendig sind …

Es ist wichtig, zu betonen, daß die Kirche mit den Menschen arbeiten muß und nicht nur für die Menschen. Denn es ist nicht die Aufgabe von Religionsführern, den Leuten zu sagen, was sie tun sollen; was nötig ist, ist Teilen auf der Basis von Gleichheit und allgemeiner Humanität.

Nur durch das Teilen von Arbeit, Mühsal, Wissen, Verfolgung und Fortschritt kann die Kirche zu unserem Wachstum beitragen. Und das bedeutet Teilen in jedem Sinn. Denn wenn die Kirche nicht Teil unserer Armut ist und Teil unseres Kampfes gegen Armut und Ungerechtigkeit, dann ist sie nicht Teil von uns…

Manchmal wird es bedeuten, den Menschen zu helfen, eigene genossenschaftlich organisierte Dörfer zu errichten und zu führen. Manchmal wird es bedeuten, den Menschen zu helfen, eigene Gewerkschaften zu bilden, und zwar nicht katholische Gewerkschaften, sondern Arbeitergewerkschaften bzw. solche unabhängig von der Religion.

Manchmal wird es bedeuten, daß sich Kirchenführer auf nationale Freiheitsbewegungen einlassen und Teil dieser Bewegungen werden. Manchmal wird es bedeuten, mit lokalen Verwaltungsbehörden oder anderen Autoritäten zusammenzuarbeiten. Manchmal wird es bedeuten, in Opposition zu etablierten Autoritäten und Mächten zu stehen; immer bedeutet es jedoch, daß die Kirche auf seiten der sozialen Gerechtigkeit steht und Menschen hilft, miteinander zu leben und miteinander im Sinne des Gemeinwohls zu arbeiten.

Geben wir doch zu, daß bis jetzt die Kirche in diesen Belangen keine positive Rolle gespielt hat. Die Länder, die uns spontan als katholische einfallen, sind nicht die, in denen das Volk Menschenwürde genießt und in denen soziale Gerechtigkeit herrscht; vielmehr sind dies jene, in denen es großen ökonomischen Fortschritt gegeben hat.

Die Kirche ist nicht ohne Einfluß in Lateinamerika, und mir wurde gesagt, daß ein Drittel aller Katholiken auf der Welt auf diesem Subkontinent lebt. Doch wir assoziieren diesen Teil der Welt nicht mit Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit. Im Gegenteil, die Armut, die Ausbeutung und das Elend sind uns zu bekannt, als daß ich dies hier weiter ausführen müßte.

Anderseits muß darauf hingewiesen werden, daß Italien und Frankreich die größten kommunistischen Parteien der westlichen Welt haben. Alles dies sind Widerspiegelungen von Fehlem von seiten der katholischen Kirche, ihrer Führer und Mitarbeiter.

Es gibt Priester (und manchmal Bischöfe) in zahlreichen Ländern Lateinamerikas, Jesuiten und Arbeiterpriester in Spanien, Priester und Bischöfe in Rhodesien und Südafrika und einige in anderen Ländern der Erde, die mit den Menschen Zusammenarbeiten und für sie sprechen.

Einige dieser Priester wurden ermordet, einige wurden gefangengenommen, einige wurden gefoltert; einige wurden unglücklicherweise von der kirchlichen Hierarchie entlassen oder versetzt. Aber alle von ihnen haben den Ruf des Katholizismus und der organisierten Christenheit rehabilitiert und zeigen, was getan werden kann und getan werden muß, sogar wenn es große Opfer verlangt.

Ich verlange nicht, daß die Kirche ihre Funktionen aufgeben oder erlauben soll, daß sie mit bestimmten politischen Parteien oder politischen Doktrinen indentifiziert wird. Im Gegenteil, was ich sage, zielt auf die Forderung, daß sie es ablehnt, mit ungerechten politischen und wirtschaftlichen Machtgruppen identifiziert zu werden.

Es gab eine Zeit, als die christliche Kirche verfolgt wurde und ihre Mitglieder der Verachtung und dem Spott ausgesetzt waren. Sind die Gesellschaften, in denen die katholische

Kirche nun wirkt, so gerecht oder so für den Dienst an Gott und Mensch organisiert, daß es nicht notwendig ist, eine ähnliche Ablehnung zu riskieren - in Verfolgung der sozialen Gerechtigkeit?

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