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Ein Aktivposten des Rumäniendeutschtums

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In diesem Jahr begeht die deutschsprachige Monatsschrift „Neue Literatur” ihr 25jähriges Bestehen. Sie wurde 1949 als Organ des rumänischen Schriftstellerverbandes gegründet und kam ursprünglich in Temeswar heraus (bis 1955 als „Banater Schrifttum”), übersiedelte 1959 nach Bukarest und ging 1960 vom halbjafulichęn zum zweimonatlichen Erscheinen über. Seit 1968 präsentiert sie sich in der heutigen Aufmachung. Der „Neuen Literatur” kommt insofern besondere Bedeutung zu, als es sich bei ihr um die einzige literarische Zeitschrift außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachraums handelt, die ohne enge Begrenzung etwa auf Südosteuropa die Entwicklung auf kulturellem und künstlerischem Gebiet verfolgt und einen Querschnitt durch deutsches Literaturschaffen unserer Tage bietet.

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In diesem Jahr begeht die deutschsprachige Monatsschrift „Neue Literatur” ihr 25jähriges Bestehen. Sie wurde 1949 als Organ des rumänischen Schriftstellerverbandes gegründet und kam ursprünglich in Temeswar heraus (bis 1955 als „Banater Schrifttum”), übersiedelte 1959 nach Bukarest und ging 1960 vom halbjafulichęn zum zweimonatlichen Erscheinen über. Seit 1968 präsentiert sie sich in der heutigen Aufmachung. Der „Neuen Literatur” kommt insofern besondere Bedeutung zu, als es sich bei ihr um die einzige literarische Zeitschrift außerhalb des geschlossenen deutschen Sprachraums handelt, die ohne enge Begrenzung etwa auf Südosteuropa die Entwicklung auf kulturellem und künstlerischem Gebiet verfolgt und einen Querschnitt durch deutsches Literaturschaffen unserer Tage bietet.

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FRAGE: Unter den mehr als 140 deutschsprachigen Publikationen aus 31 Ländern, die zum erstenmal vor zwei Jahren in einer viel beachteten Düsseldorfer Ausstellung einen Überblick über die nach 1945 in allen Erdteilen herausgegebenen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften vermittelten, nahm die „NEUE LITERATUR” mit ihren inzwischen kompletten 24 Jahrgängen einen Sonderplatz ein. Wie würden Sie, Herr Stoffel, als Chefredakteur dieser Zeitschrift, die ja gleichzeitig als deutschsprachiges Organ des Schriftstellerverbandes der Sozialistischen Republik Rumänien anzusehen ist, die Hauptaufgaben Ihrer Publikation umreißen?

STOFFEL: Es handelt sieh bei unserer Literaturzeitschrift nicht schlechthin um eine Publikations- möglichkeit für scfhrtiftstellemde Deutschlehrer aus siebenbürgiseben Städten und Banater Dörfern. Die „Neue Literatur” ist kein Erbauungsorgan für dn ihrer nationalen Identität gefährdete Sprachinsula- neir, sondern eine profilierte, spezifisch ausgenidhtete deutsche, das heißt deutsches Schriftstellertum freilich unter besonderen Umständen fördernden Zeitschrift. In gewissem Sinne also eine „Kulturanstalt”, die im literarischen Bereich auf Grund einer gegebenen geistigen, historisch-sozialen und politischen Situation Wertmaßstäbe erarbeitet, das authentisch Künstlerische, Lebendige auswählt, fördert und veröffentlicht.

FRAGE: Gibt es Grundlinien für die äußere und die inhaltliche Gestaltung der „Neuen Literatur”?

STOFFEL: Durchaus. Sie finden im ersten NL-Teil rumäniiendeut- sche Lyrik und Prosa, auch situationsbezogene, situationserhellende Aufsätze und Essays, dann in der Hegel Übersetzungen aus den anderssprachigen Literaturen des Landes — der rumänischen, ungarischen, serbischen —, weiter Proben aus der Weltliteratur der Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung der Literaturen des deutschen SpraOhnauims.

Der zweite Teil ist der Kritik Vorbehalten; hier wird laufend die einheimische deutsche Buchproduktion rezensiert, es gelangen aber auch wuchtige rumänische und ausländische Neuerscheinungen zur Besprechung. Der Chronikteil bringt Reportagen und Berichte über die bedeutendsten kulturellen Ereignisse im Land, vorwiegend aus Bukarest und den Kulturzentren Siebenbürgens und des Banats: Timisoara (Temeswar), Sibiu (Hermannstadt), Brasov (Kronstadt) und Cluj (Klausenburg) — aber auch aus der Weltpresse übernommene Aufsätze zu aktuellen Themen. Unsere „Filmrückschau” beleuchtet das Kinogeschehen kritisch, eine „Kleine Bücherschau” präsentiert wichtige Bücher aus aller Welt, während der „Kulturspiegel” durch Kurznachrichten für eine möglichst umfassende Informierung des Lesers sorgt. In der „Redaiktionspost” schließlich gehen wir auf Zuschriften ein, begründen die Ablehnung nicht entsprechender Materialien, ermutigen Nachwuchsautoren.

FRAGE: Uns fällt seit etwa einem Jahr im ersten Teil Ihrer Zeitschrift eine Rubrik unter der Überschrift „Zum Thema” auf — es handelt sich dabei aber nicht uni eine Zusammenfassung des jeweiligen Heftinhalts. 5

STOFFEL: Hier wird in mehrfachem Sinne Unfertiges auszugsweise oder vollständig abgedruckt und gleichzeitig mit einem kritischen Kommentar versehen. Erstens soll Autoren noch während der Arbeit an ihren Texten die Möglichkeit einer produktiven Konfrontation mit den Lasern geboten werden, zweitens wollen wir die Leser zu kritischer Aufnahme von Literatur anragen, Drittens wollen wir möglichst alle Ebenen üterarischen Schaffens in der Zeitschrift erfassen.

FRAGE: All dies setzt einen sehr engen, beinahe schon „familiären” Kontakt mit Ihren Autoren voraus. Ist dies zu schaffen?

STOFFEL: Wir versuchen es zumindest. Die Intention, wirklich aktivierend auf das literarische Leben der Rumäniendeutschen ainzuwiirken, bezeugt im übrigen auch die Rubrik für debütierende Lyriker „Neue Namen”. Überhaupt ist die Arbeit mit den jüngsten Begabungen ein grundlegender Aspekt unserer Tätigkeit, Die Beziehungen zu den deutschen Schulen und Lyzeen Siebenbürgens und des Banats sowie zu den fünf Germanistik-Fakultäten des Landes werden sorgfältig gepflegt, denn nicht nur die Schreiber, sondern auch die Leser erwachsen uns hauptsächlich von hier.

FRAGE: Wie steht es um die Pflege der literarischen Traditionen des Rumänien-Deutschtums?

STOFFEL: Die „Neue Literatur” widmet diesen Traditionen durchaus einen angemessenen Raum. Aus besonderen Anlässen wie Geburtsoder Todestagen, Neuauflegungen, Werkausgaben, aber oft auch ohne spezielle Anknüpfungspunkte werden Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern der Vergangenheit Studien gewidmet oder solche Studien wenigstens angeregt; als Beispiele seien hier Hontems, Stefan Ludwig Roth, Nikolaus Schmidt, Adam Müller-Guttenbrunn, Adolf Masohendöffer, Erwin Wittstock, Oskar W. Cisek, Alfred Margul- Sperber genannt. Ein umfangreicher Zyklus mit Gedichten aus der Bukowina, jener geistigen Landschaft, aus der Paul Celan hervorgegangen ist, erregte nicht nur im Inland Aufsehen („Verhallter Stimmen Chor”, Heft 11 und 12/1971). Ebenso fand unsere Veröffentlichung bis dahin völlig unbekannter früher Celan- Gedichte aus dem Besitz Alfred Kittners, einies Landsmannes und Freundes von Celan, ein weites Echo. Aber auch literaturhistorische

Arbeiten werden von der Zeitschrift angeregt und veröffentlicht.

FRAGE: Als ein besonderes Charakteristikum der Zeitschrift „Neue Literatur” ist zweifellos ihr Bemühen zu werten, deutsche Literatur in allen ihren Erscheinungsformen sichtbar zu machen.

STOFFEL: Hierbei muß gesagt werden, daß die Traditionsgebun- denheit der rumäniendeutschen Literatur eine gute Ausgangsposition bietet, denn diese Literatur ist bivalent wie wenige andere: Sie bewegt Sich einerseits zwar im Strom der allgemeinen deutschen Literaturent- wicklung, anderseits besitzt sie jedoch eigene Antriebskräfte und eine eigene Tradition, die sich im Laufe der jahrhundertelangen Existenz unter besonderen Umständen herausgebildet hat. Wenn also beispielsweise Brechts Geburtstag gefeiert wird, so wird nicht schlechthin eines Großen der Weltliteratur gedacht, und wenn wir Tieck als Vorläufer des absurden Theaters würdigen, so ist das für den Au’tor dieses Aufsatzes ebenfalls nicht ein beliebiges Thema der Weltliteratur. Es sind Versuche, die natürliche Beziehung zum deutschen Spraohraum, zur Tradition der großen deutschen Literatur lebendig zu erhalten und produktiv zu machen für die eigene Entwicklung. Die Nobelpreisverleihung an Heinrich Böll wie der Tod Ingeborg Bachmanns waren Ereignisse, die auch hier als persönlich nahegehend empfunden werden.

FRAGE: Die „Neue Literatur” versteht sich somit nicht zuletzt als ein Mittlerorgan „zwischen den Literaturen”, wenn wir es einmal so formulieren dürfen!?

STOFFEL: Sie legt auf diese ihre Mittlerrolle sogar großen Wert: dem rumänischen Publikum die deutsche Literatur aus intimer Kennerschaft nahezubringen, und umgekehrt durch Übersetzung repräsentativer rumänischer Prosa und Poesie dem deutschen Leser ein Bild von dieser jungen und interessanten Literatur zu geben.

FRAGE: Alles in allem also — wenn wir die Zeit eines Vierteljahrhunderts seit der Gründung Ihrer Zeitschrift überblicken — eine nicht nur erfreuliche, sondern vor allem auch eine zukunftsträchtige Bilanz.

STOFFEL: loh glaube, daß man das sagen kann. Im übrigen ist unser kleines, unternehmungsfreudiges und ehrgeiziges Kollektiv darum bemüht, in der Zeitschrift nicht nur einen Spiegel der bestehenden literarischen Zustände innerhalb der deutschen Minderheit zu sehen, sondern ein wirksames Mittel zur Be- wußtmaohung der Zustände überhaupt mit der „Neuen Literatur” zu erhalten und fortzuentwickeln.

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