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Ein Alptraum in weißem Marmor

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Wien hat anläßlich des 110. Geburtstages des Operettenmeisters Franz Lehär sein Ehrenmal bekommen - ein Denkmal, an dem all die bereits im 19. Jahrhundert angeprangerten Schwächen dieser Spezies der Skulptur erneut und pathetisch überhöht Ausdruck fanden.

Bereits 1846 beanstandete Charles Baudelaire in Paris in seinem Traktat „Warum die Plastik langweilig ist” das Fehlen des rechten Maßes der Bildhauerei: „Dunkel der Ahnungslosig-keit gegenüber elementarsten Fragen des künstlerischen Taktes, in dieser offenbaren Ratlosigkeit gegenüber den unscharf gewordenen Grenzen zwischen der Monumentalskulptur und der Kleinplastik, pervertiert die künstlerische Schöpfung zum Kitschprodukt.”

1888 wurden in der Chronik des Wiener Goethe-Vereins die „Phantasien eines Laien über Denkmäler” veröffentlicht, worin der Autor das noch immer gültige Geständnis machte: „Sooft ich von einem neuen Denkmal höre, das beabsichtigt wird, ergreift mich ein ganz eigentümliches Unbehagen, so als ob ein Unglück bevorstünde.”

In dem fast 200 Denkmäler zählenden Wien erhebt sich die prinzipielle Frage, ob diese zu Stein oder Bronze gewordene Art der Verehrung eines Heroen aus Kunst oder Politik überhaupt noch zeitgemäß, das heißt noch in Einklang mit der Gesellschaftsordnung und der Regierungsform der Demokratie, vor allem aber mit der Entwicklung der Kunst, zu bringen sei.

Wurde die Plastik im Fürstlichen Absolutismus wie im Nationalsozialismus als Instrumentarium staatlich-patriotischer Kulturpolitik genützt, so soll nun einzig und allein nur noch die künstlerische Qualität einer Skulptur für deren Aufstellung maßgeblich sein.

Das im Auftrage der Lehär-Gesellschaft von Franz Anton Coufal geschaffene Monument an der Ring-Seite des Stadtparks versucht stilistische und inhaltliche Leere durch Preziosität des Materials (weißer Carrara-Marmor) und Gigantomanie der Dimensionen zu sublimieren - ein Streben, das selbst Laien peinlich auffällig wird.

Die Verbindung des aus dem Rasen emporwachsenden Steinblocks mit der annähernd naturalistischen und an manchen Stellen artifiziell unbehauen belassenen Büste mit dem zur Pseudo-architektur aufgetürmten A-Dur-Balken gebiert traumatische Monstrosität.

Die vorgetragene Maßlosigkeit steht weder mit dem Inhalt, nämlich dem Wesen und der Bedeutung des Operettenkomponisten Franz Lehär, noch mit der Form, die aufgrund verschiedenster Eklektizismen zur absoluten Stillosig-keit wurde, in Einklang.

Die kontrastierende Kombination von kristallinen, glatt polierten, kantigen Formen mit rohen bzw. unbearbeiteten Gesteinsteilen und einer Art von Oberflächenrealismus sucht Anschluß an fast 100 Jahre zurückliegende Tendenzen Auguste Rodins, dem aber bereits zu Lebzeiten ein Aristide Maillol mit klassischer Blockhaftigkeit und Geschlossenheit als Antithese zur Seite stand, und stellt in höchster Konsequenz eine Berufung auf Michelangelo Buonarotti dar.

Uns allen ist die Tragik der bereits einmal im Österreich der Jahrhundertwende falsch verstandenen Monumentalität des Renaissance-Titanen, gepaart mit Sentimentalität, bei Gustinus Ambrosi erschreckend bekannt.

Und doch ist es nicht nur das gleichzeitige Nebeneinanderstehen verschiedener Stilelemente in einer Komposition, sondern ist vor allem das Fehlen des Dialogs zwischen den einzelnen Teilen des Kunstwerkes einerseits und zwischen Denkmal und Betrachter andererseits, was die Schwäche ausmacht.

Das Zusammengefügte des organischen Körpergewächses unter Einbeziehung des Amorphen mit dem tekto-nischen Block läßt keine gedankliche oder formale Brücke erkennen.

Lehärs Kopf, ein sicherlich schlechtes Porträt, auf dem kantigen Sockel mit der eingravierten und vergoldeten Unterschrift des Komponisten - eine peinliche Idee - und der aufragende A-Bal-ken, dessen Bedeutung (nämlich die Ton-Art) wohl kaum einem nicht vorinformierten Betrachter sinnfällig wird, sind nur durch gegenseitige Ausschließlichkeit miteinander verbunden. Die Schwere des Marmors und die Einbeziehung des Luftraums in die Komposition lassen erneut die Forderung nach Materialgerechtigkeit laut werden.

Die Lehär-Gesellschaft hätte ihrem verehrten Meister bestimmt einen größeren Dienst erwiesen, wenn sie seine Musik mit neuem Leben erfüllte, Sinneslust wie Schwermütigkeit, durch beste Interpreten vorgetragen, aus seiner Musik sprechen ließe, statt diese zu Stein gefrieren zu lassen.

Aufgrund des öffentlichen Aufstellungsortes ergibt sich die Frage, ob der Bürger bei der Wahl eines Denkmals nicht zumindest indirekt mitzubestimmen hätte. Durch Fachleute, wie etwa Akademieprofessoren und Museumsdirektoren, müßte eine Jury gebildet werden, die aus einer Anzahl von Vorschlägen, Skizzen und Modellen das künstlerisch qualitätvollste, dem Standort und der Funktion gerechte Werk zu küren hätte. Denn stets gültig heißt es bei Adalbert Stifter im „Nachsommer”: „Den Geist des Menschen verunreinigt falsche Kunst mehr als die Unberührtheit von jeder Kunst.”

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