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Ein Ansatz zur Heilung der Kirchenkrise
Wenn einer im Inhaltsverzeichnis Überschriften liest wie „Pathologie des Glaubens" oder „Das vertikale Schisma", könnte er seufzen: Schon wieder ein kirchenkritisches Buch! Aber abgesehen davon, daß gewöhnlich nicht die Bücher die Krisen, sondern die Krisen die Bücher mehren und die Kausalverhältnisse in der Kirche derzeit kaum zweifelhaft sind: das neue Werk des angesehenen Fundamentaltheologen und Religionsphilosophen Eugen Biser, eine Fortführung der Studie „Die glaubensgeschichtliche Wende" (1986), ist eine hochreflektierte, aus profundem historischem wie philosophischem Wissen schöpfende theologische Studie, die weit entfernt von preiswerter Polemik, aber sehr nahe an einer aus hellsichtiger Untersuchung kommenden Exzision der Gravami-na in der (römisch-katholischen) Glaubensgemeinschaft steht; soweit das eben in der Macht eines Autors liegt.
Die medizinische Terminologie drängt sich auf: Biser, Verfechtereiner „therapeutischen Theologie", geht im klassischen Dreischritt des Arztes vor. Er beginnt mit einer anamnetischen „Analyse" (15-130) der prekären Lage der Kirche in der Postmoderne. Als Ergebnis des seinem Ende entgegengehenden Säkularisierungsprozesses sieht er eine Anonymisierung, aber auch eine Universalisierung christlicher Gehalte.
Wie reagiert die Kirche darauf, fragt der zweite, „Diagnose" betitelte Teil (131-227). Diese ist schonungslos gegenüber den Kirchengliedern, bei denen eine verbreitete Ich-Schwäche festgestellt wird, aber auch gegenüber den Kirchenleitern, die alte Normen unablässig wiederholen, doch genau damit den Glaubensschwund fördern. „Von der Liebe abgekoppelt, wird der Glaube steril, durch mangelnde Zuversicht gelähmt" (144), oder, mit anderen Worten: das Gegenteil des Glaubens ist nicht der Unglaube, sondern die Angst - das amtskirchliche Verhalten aber, so Biser, nimmt diese nicht, sondern mehrt sie beträchtlich, wenn es ins Zentrum sexualethische Ge- und Verbote stellt, aber nicht Mut aus der Mitte der christlichen Botschaft zuzusprechen vermag. Entsprechend erweist sich als Hauptkennzeichen der
Situation eine Entfremdung zwischen Kirchenvolk und Kirchenführung in einem nie dagewesenen Ausmaß.
Natürlich richtet der Leser nun seine ganze Aufmerksamkeit auf die abschließende „Therapie" (229-382). Sie darf nicht regressiv sein, meint der 1918 geborene Verfasser, sondern kann nur als Vorwärtsstrategie Erfolg haben: Wenn Angst aus fehlendem Urvertrauen kommt, so ist zu allererst dieses Urvertrauen, also der Glaube im eigentlichen Sinn, zu wecken. Wer aber lehrt den Glaubenden glauben? Im Anschluß an 2 Kor 13,5 und an Augustinus weist er auf den „inwendigen Lehrer" hin, das heißt den in der menschlich-christlichen Erfahrung ins Bewußtsein tretenden „fortlebenden Christus".
Vertrauen statt Angst
Es geht darum, an die Stelle der bisherigen vornehmlich dogmatisch oder moralisch agierenden Verkündigung einer „mystischen Theologie" zur Geltung zu verhelfen, aus der allein die Probleme der Zeit zu lösen seien. Bisers Vision ist zusammengefaßt in dem Satz: „In der Kirche von morgen wird der Glaube nicht mehr im Zeichen geistiger Unterwerfung, sondern der-kirchlich vermittelten - Verständigung mit dem sich mitteilenden Offenbarungsgott stehen, ... so daß an die Stelle der von sensiblen Beobachtern registrierten Atmosphäre der Angst und Einschüchterung die des gegenseitigen Vertrauens tritt." Nur so könne die Kirche sich „als Raum der aufgehobenen Entfremdung" erweisen (358).
Der Leser wird von Biser zu den Wurzeln der Mißstände, aber auch an die Quellen geführt, aus denen heilende Wasser entspringen. Das geschieht in nicht immer leichter Diktion, aber stets im liebenden Emst dessen, der sich der kirchlichen Sendung verpflichtet weiß. Das neue Buch steht mit seinem Anliegen nicht allein. Wie wenige andere jedoch regt es zum Nachdenken, ja zur Meditation aus dem Zentrum des christlichen Glaubens an. Bleibt zu, wünschen, daß möglichst viele es wagen, sich beidem zu stellen. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Beinerl ist Ordinarius für Systematische Theologie (Dogmatik und Dogmengeschichte) an der Universität Regensburg.
GLAUBENSPROGNOSE. Orientierung in postsäkularistischer Zeit. Von Eugen Biser. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1991. 454 Seiten, öS 455,-.
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