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Ein Anwalt des „kleinen Mannes"

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Welches Vermächtnis hinterließ dieser faszinierende Heilige, dessen Lebensbeschreibung eine wertvolle antike Geschichtsquelle darstellt? Welche exemplarischen Weisungen sind in diesem Gedenkjahr 1982 seinem Leben und Wirken zu entnehmen?

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Welches Vermächtnis hinterließ dieser faszinierende Heilige, dessen Lebensbeschreibung eine wertvolle antike Geschichtsquelle darstellt? Welche exemplarischen Weisungen sind in diesem Gedenkjahr 1982 seinem Leben und Wirken zu entnehmen?

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Am 8. Jänner 1982 begeht die Kirche in Österreich den 1500. Sterbetag des heiligen Severin. Sein Leben und Wirken im Donauraum zwischen Inn und Wienerwald zur Zeit der Völkerwanderung hat sein geistlicher Schüler Eugippius als Abt des Severin-Klosters in Lucullanum bei Neapel im Jahr 511 in der „Vita Seve-rini" aufgezeichnet. Sie zählt zu den wertvollsten Geschichtsquellen der Spätantike.

Die kritische Geschichtsforschung unserer Tage hat dafür gesorgt, daß die Glaubwürdigkeit des Berichtes über Severin und die politische Situation seiner Zeit unbestritten ist.

Ein Geschichtsschreiber der Gegenwart nennt Severin, der 482 starb, den ersten Österreicher! Wenn auch damals unser österreich als Staat nioht existierte, das Land an der Donau und die Menschen, die es bewohnten, waren bereits mehr als vierhundert Jahre dem römischen Kulturkreis eingegliedert und mehr als anderthalb Jahrhunderte römisch-katholische Christen.

Aber dieses Land war zur Zeit Severins, wie auch in jüngster Vergangenheit, eingespannt in gewaltige Machtblöcke, die es in seiner Existenz bedrohten. Damals waren es die rivalisierenden Großmächte West- und Ostrom und die nach Süden, Osten und Westen gegen die fast schutzlose Provinz anrückenden landsuchenden Germanenstämme, die das politische Chaos heraufbeschworen. Die katholischen Romanen schienen im Ansturm der Arianer und Heiden unterzugehen.

In dieser verzweifelten Situation taucht an der norisch-panno-nischen Grenze der Gottesmann Severin auf. Auf Grund seiner Einsichten und Erfahrungen weiß er sich berufen, Maßnahmen zur Rettung der Donauromanen zu organisieren. In Gottes Namen, im Auftrag Gottes, wie er selber bekennt, als ihn ein hoher Geistlicher nach seiner Legitimation für diese seine Befehlsmacht fragt. Die örtlichen Militärbefehlshaber unterstellen sich ohne Widerstand seinem Kommando. Er leitet mit größter Umsicht die erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen und verpflichtet ausdrücklich auch den Bischof von Lauria-cum, Constantius, seinen Weisungen nachzukommen.

Waffenlos und ohne militärischen Schutz begibt er sich in die Hauptquartiere der germanischen Führer, um mit ihnen zu verhandeln und gefangene Romanen auszutauschen. Severin ist Realist. Er sieht klar voraus, daß die Provinz Ufernoricum für das Römische Reich nicht mehr zu halten ist. Deshalb erteilt er den Bewohnern der donauaufwärts liegenden Siedlungen, die unter den Einfällen der Alemannen und Heruler schwer zu leiden haben, den Befehl, das Gebiet zu räumen, und in das stark befestigte Legionslager von Lauriacum zu ziehen. So wird Lorch zur Flüchtlingsstadt der sterbenden Provinz.

Zur Versorgung dieser Menschen baut er mit Hilfe der klösterlichen Stützpunkte, die er errichtet hatte, ein gewaltiges Fürsorgewerk auf, das heute noch unser Staunen erweckt. In der Basilika zu Lauriacum nimmt er persönlich eine Verteilung vor und erlebt das Wunder, daß alle Notleidenden mit dem kaum mehr erhältlichen Speiseöl versorgt werden konnten.

Durch seine guten Beziehungen zum arianischen Volk der Rügen und seinem Königshaus gelingt es ihm, die heimatlos gewordenen Provinzialen auf rugischem Gebiet vorübergehend anzusiedeln, bis er für sie einen gesicherten Rückzug in das italische Land mit Odoaker ausgehandelt hat.

Man fragt sich unwillkürlich, woher nahm dieser Mensch die Kraft, sein Leben ausschließlich in den Dienst Gottes und seines Volkes zu stellen? Severin war kein Priester; er lehnte die ihm angebotene Bischofswürde, die die Priesterweihe voraussetzt, ausdrücklich ab. Er ist Laienmönch mit dem vollen Bewußtsein einer klar umrissenen Laienaufgabe, die er ohne die geringsten Bedenken der Berufung anderer zum Priestertum gleichsetzt.

Für Severin war Politik kein „garstig Lied", das den Menschen verdirbt, sondern ein Auftrag, den Menschen in ihren materiellen und geistigen Nöten durch öffentliche Maßnahmen zu helfen.

Sein Lieblingswort, mit dem er alles begann und beschloß, lautete: „Der Name des Herrn sei gepriesen!" Er galt bei seinen Zeitgenossen als Mann Gottes, als Verbündeter Gottes. Das gab ihm ein hohes Ansehen und eine große Autorität, die er gebraucht, um wirkungsvoll die sozialen Mißstände und Verstöße gegen die Freiheit und Würde des Menschen aufzudecken und energisch zu beseitigen.

Er macht sich zum Anwalt des kleinen Mannes und duldet nicht, daß die Bäume der Großen und Reichen in den Himmel wachsen. Mit einer Unerschrockenheit und Härte sondergleichen geißelt er die Habsucht und den Luxus gewisser Kreise, die es verstanden, noch aus der Not der Armen zu profitieren. Er stellte das im Evangelium Christi angedrohte Strafgericht Gottes vor Augen, das jene trifft, die nicht bereit sind, ihren Uberfluß mit den Notleidenden zu teilen.

Das lehrt uns Severin heute: Ein einfaches, natürliches, bescheidenes, gelassenes Leben, entsprechend der Berufung durch Gott in Ehe und Familie, in Staat und Gesellschaft, in körperlicher Arbeit und wissenschaftlicher Tätigkeit, in zivilisatorischer Leistung, unverheiratet oder an einen Partner gebunden, als Laie, Priester oder Mönch. Wir haben das zu leisten, was Gott uns aufgetragen hat, wozu er uns berufen hat und überlassen es vertrauensvoll seiner Vorsehung, wann und wie unser Lebenseinsatz der Welt, in der- wir mit beiden Füßen stehen, und uns persönlich zum Heil wird.

Auch das lehrt uns Severin heute: Keine Angst zu haben vor dem Wirken in der Öffentlichkeit, in der Politik, ohne die die menschliche Gemeinschaft nicht leben kann. Severin ist geradezu der Heilige der Politik, der wahrlich ein Patron der Staatsmänner sein könnte. Politik im höchsten geistigen Sinn, als Wahrer der Menschenrechte und Anwalt der Armen gegen Unfreiheit und Ausbeutung. Dazu gehört viel Mut und ein hohes Maß von Glaubwürdigkeit. Severin lehrt uns, daß die Grundhaltung bei politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen die der Verständigung, der Verhandlung, der Gewaltlosigkeit und des Friedens sein muß.

Der Autor ist Pfarrer von Enns-St. Laurenz und Dechant.

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