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Ein Aufbruch 1938

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7. Oktober 1938: Der Wiener Stephansdom vermag die Menschen nicht zu fassen. Kardinal Innitzer predigt. Ein Aufruf zum Aufbruch. Am Tag danach stürmen die Nazis los.

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7. Oktober 1938: Der Wiener Stephansdom vermag die Menschen nicht zu fassen. Kardinal Innitzer predigt. Ein Aufruf zum Aufbruch. Am Tag danach stürmen die Nazis los.

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Die Predigt von Kardinal Theodor Innitzer am 7. Oktober 1938 im Wiener Stephansdom (siehe Kasten) war ein Einschnitt in unser Leben. Denn die Reaktion unserer Bischöfe im März 1938 — sie hatten damals, das muß betont werden, eine ungleich größere Autorität gegenüber den Katholiken als heute - hatte uns schwer getroffen. Ich war nicht einmal 15 Jahre alt, als die deutschen Truppen einmarschierten, und stand mit meinen Freunden zu Österreich und dem Katholizismus. So erschien uns das Verhalten der Bischöfe wie ein Verrat an Österreich und dem Christentum.

Sicher ist das nicht so einfach. Denn Innitzer stammte, wie Karl Renner, aus dem deutschsprachigen Gebiet von Böhmen und Mähren, und die Leute dort betonten, aus Angst vor dem Aufstieg der Tschechen, gern ihr „Deutschtum“ und schielten schon in der Monarchie gerne nach dem großen Bruder im Norden.

Auch hatten die Bischöfe Angst um ihr Volk, dem sie — auch um den Preis der Wahrheit — eine Glaubensverfolgung ersparen wollten. Sie suchten - naiv - einen Kompromiß, wobei sie in dieser Haltung — man denke an die Münchner Verträge über die CSR - nicht allein standen. Auch Chamberlain und Daladier waren keine Ungeheuer.

Wir halfen uns damit, daß wir meinten, die Bischöfe hätten uns eben „augenblinzelnd“ zur Zusammenarbeit mit den Nazis gemahnt.

Zu der Jugendfeier am 7. Oktober kam ich etwas zu spät, sodaß ich in die volle Kirche nicht hineinkam und auf dem Platz stand. Aber ich stand entweder in der Nähe eines offenen Tores oder es war ein Lautsprecher da. So bekam ich viel mit.

Die Freunde in der Kirche - und zu diesem Zeitpunkt waren wir alle Freunde — waren tief fasziniert. Und diese Ergriffenheit breitete sich zu einem Jubel über den ganzen Stephansplatz aus.

Und ich muß dazusagen, daß wir bereits in den wenigen Monaten unter der NS-Herrschaft gelernt hatten, subtil zu hören und zu lesen. Und zwar sowohl was die Aussagen des Regimes betraf, als auch die seiner Gegner. Zwar war es noch lange nicht so weit, daß wir erfuhren, daß „Frontbegradigung“ „Rückzug“ hieß. Aber es hatte das früher unschuldige Wort „Führer“ (Fremden-führer, Berg-führer- so geht es noch heute) eine NS-Punze.

Man muß heute die Worte Innit-zers mit den Ohren von damals hören. Da störte schon, daß er vom „alten deutschen Väterglauben“ sprach. Natürlich erwartete niemand, daß er vom „österreichischen Väterglauben“ sprechen würde, aber er hätte das „deutsche“ weglassen können.

Aber er sagte doch auch etliches deutlich: Daß wir viel verloren hätten — Verbände, Gemeinschaften, Fahnen. Daß er meinte, wir hätten die Pfarre gewonnen, wurde natürlich als Aufforderung verstanden, sich in den Pfarren zu betätigen, was er ja sofort auch direkt sagte.

Am bekanntesten wurden seine Worte „... zu Christus bekennen, unserem Führer und Meister...“. Dies war eigentlich aus zwei Gründen eine Provokation, wobei die Nazis wohl — und auch die meisten von uns - nur einen verstanden. Denn nach der Lehre des NS-Staates gab es nur einen „Führer“. Und dieses Wort nun für Christus zu verwenden, war ein Appell zur Ablehnung des Götzendienstes.

Er forderte ein Bekenntnis. Das ist immer eine Aussage gegen Widerstand. In Kärnten bekennt man sich zum Slowenentum, wer sich dort zum Deutschtum „bekennt“, rennt offene Türen ein.

Wir sollten für den Glauben einstehen, Opfer bringen, uns nicht „irre machen lassen“, uns „nicht einschüchtern lassen“, ihn „nicht hergeben“, ja, „da müßt und dürft ihr schon etwas wagen“. Daß da zumindest eine Abwehr des Nationalsozialismus verlangt wurde, war klar. „Auch wenn noch so viele gleißende Worte fallen“: eine Attacke gegen die NS-Propaganda, die den intelligentesten Teil des Nationalsozialismus repräsentierte, wenn sie auch durchaus moralisch verkommen war.

Mit dem „Wagen“, so empfanden wir es, konnte jedoch auch aktiver Widerstand gemeint sein. Und das war die einzige öffentliche Aufforderung dazu, die ich — von bischöflicher Seite — kenne.

Pfarrer und Kapläne gab es da erheblich mehr.

Wir sollen „Vertrauen haben zum Bischof, mit der Gnade des Heiligen Geistes in dieser schweren Zeit“. Was hieß das? Das hieß im Klartext: Obwohl wir Bischöfe versagt haben, habt Vertrauen; wir haben etwas gelernt, es ist eben eine schwere Zeit, in der es nicht so klar ist, was man tun soll. Offenbar ist der Heilige Geist nicht immer bei den Bischöfen.

Wir Zuhörer hatten in den letzten Monaten nicht alles verstanden — auch zur Zeit seiner Rede nicht. „Ihr wißt, worum es sich handelt.“ Und ob wir das wußten. Dann entschuldigt er sich: Die Bischöfe taten das, was sie mit „bestem Wissen und Gewissen tun konnten“. Sie hatten jedoch eben ein irrendes Gewissen.

„Die Gläubigen“ - und das war so sensationell, daß wir es erst viel später voll begriffen - sollten beten, „daß der Heilige Geist uns wieder erleuchte“. Der überwiegende Teil der Zuhörer verstand es so: Der Heilige Geist hat uns nicht erleuchtet, hat uns alleingelassen, betet also, daß er uns wieder erleuchtet, zu uns zurückkehrt. Und hiefür sollten wir beten: denn der Geist weht ja bekanntlich, wo er will.

Das Sensationelle war, daß Innitzer Irrtümer von Bischöfen zugab, wodurch er das Vertrauen zurückgewann. Hier relativierte er die bischöfliche Autorität—wie später Johannes XXIII. die des Papstes — und gewann so stürmisch das Vertrauen zurück.

Das war des Pudels Kern.

Wir gingen begeistert nach Hause. Gestapo war nur wenig da, und, nachdem am Schluß der Feier im Stephansdom das Trutzlied „Auf zum Schwüre Volk und Land“ mit Uberzeugung gedröhnt hatte, sangen wir auch, einige Gruppen, sogar Franz von Suppes „O du mein Österreich“.

Aber die Nazis hatten verstanden. Am Tag darauf stürmte Hitlerjugend aus Ottakring das erzbischöfliche Palais in Wien.

Der Autor ist Psychologe.

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