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Ein Ausflug in die Bronzezeit

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Wie lebten die Menschen im Jahr 400 vor Christus? Ausgrabungen im Unteren Traisental bringen neue Kenntnisse über Maskenmagie und Damenmode unserer Ahnen.

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Wie lebten die Menschen im Jahr 400 vor Christus? Ausgrabungen im Unteren Traisental bringen neue Kenntnisse über Maskenmagie und Damenmode unserer Ahnen.

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Wie hat der prähistorische Mensch in unserer Heimat gelebt? Wovon hat er sich ernährt? Was hat er produziert? Auf welchem kulturellen Stand hat er sich befunden? Wie haben sich seine kultisch-religiösen Vorstellungen geäußert? Welche Lebenserwartung hat er besessen? Woran ist er gestorben, und wie hat man ihn bestattet?

Antworten auf diese Fragen gibt bis einschließlich 26. Oktober eine Ausstellung im Stadtmuseum St. Pölten. Sie trägt den Titel „St. Pölten - Wegkreuz der Urzeit“ und versucht anhand von Fundgegenständen aus sieben Jahren archäologischer Grabungstätigkeit - von 1981 bis 1987 — einen Einblick in die Vergangenheit des Unteren Traisentales zu geben: jenes Gebietes zwischen St. Pölten, Herzogenburg und Traismauer, das der Bevölkerung der Ur- und Frühzeit ideale (land-)wirtschaftliche Voraussetzungen sowie die Nähe wichtiger Handelsstraßen (Nord-Süd-Verbindung durch das Traisental, Ost-West-Handelsweg auf der Höhe von St. Pölten) geboten hat.

Etwas modifiziert gelangt die Schau vom Oktober 1987 bis Februar 1988 unter dem Titel „Mensch und Kultur der Bronzezeit“ in das Wiener Naturhistorische Museum und dann in das Museum für Urgeschichte in Asparn an der Zaya. Sollte der Plan, im Raum Krems-St. Pölten ein eigenes Museum für die materielle Hinterlassenschaft des prähistorischen Menschen des Unteren Traisentales einzurichten, verwirklicht werden, so würde das von einem kleinen Team der Abteilung für Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes unter der Leitung von Johannes-Wolfgang Neugebauer wieder der Erde entrissene Hab und Gut von längst verstorbenen Männern, Frauen und Kindern, Reichen und Armen dort verbleiben.

Erforscht werden konnte das alte Siedlungsgebiet, auf dem sich Fundstelle an Fundstelle reiht, wie so oft in der Archäologie der letzten Jahrzehnte nicht durch Planungs-, sondern durch Rettungsgrabungen — und zwar durch den Bau einer Straße. In diesem Fall war es der Bau der 32,7 Kilometer langen Kremser Schnellstraße S 33 (Krems - Hollenburg - Traismauer — Herzogenburg- St. Pölten). Der für den Niederösterreichischen Zentralraum — insbesondere für den Wirtschaftsraum St. Pölten-Krems — notwendige Verkehrsweg wurde in zehn Etappen vorangetrieben.

1981 bis 1983 wurde der Hauptteil mit den Baulosen zwischen Hollenburg und St. Pölten in Angriff genommen. Da man schon bei den ersten Begehungen im Frühjahr 1981 ur- und frühgeschichtliche Siedlungsobjekte und Gräber feststellte, setzte sofort eine in der Folge ununterbrochene Bergungstätigkeit des Denkmalamtes ein. Diese weitete sich bald auf alle Baulose aus und mußte wegen der Fündigkeit und des Zeitdrucks selbst auch bei schlechten Witterungsverhältnissen fortgeführt werden.

Erfaßt wurden so in den vergangenen sieben Jahren in Franzhausen 714 frühbronzezeitliche Körpergräber (ab 2.000 v. Chr.) und 390 urnenfelderzeitliche Brandgräber (1.250 bis 750 v. Chr.), in Inzersdorf 143 urnenfelderzeitliche Brandgräber. In Franzhausen, Herzogenburg und Pettenbrunn erschloß man insgesamt 173 frühlatenezeitliche (400 v. Chr.) Gräber sowie riesige Siedlungsareale aus der Bronze-, Hallstatt-und Latenezeit.

Die meisten Funde und somit auch die meisten Ausstellungsobjekte stammen aus Franzhausen bei Traismauer, das sich bald als das bislang größte unter allen wiederentdeckten Gräberfeldern Mitteleuropas erwies. Es enthielt primär sogenannte Hockerbestattungen — Beisetzungen, bei denen der Tote seitlich liegend mit angehockten Beinen begraben worden war. Lag er besonders tief, so handelte es sich um einen Reichert: einen Handelsherrn oder dessen Familie. Seine Standessymbole waren schwere ösenhalsreifen aus Kupfer sowie eine Streitaxt mit Dolch. Die Frauen trugen nicht selten Schmuckstücke aus Bronze im Gesamtgewicht von rund einem dreiviertel Kilo.

Obgleich viele Gräber bereits bald nach der Beisetzung beraubt worden waren, fanden sich in Frauengräbern der gehobenen Schicht goldene Lockenringe, ja sogar Belege dafür, daß die Dame von Rang und Namen einen Hut getragen hatte. Natürlich war der Hut selbst nur noch in Spuren vorhanden, aber die Wissenschaftler konnten ermitteln, ob er aus Leinen, Leder oder Rinde gefertigt worden war und daß er die Form eines Zweispitzes besessen hatte. Eine in St. Pölten präsentierte Hutzier besteht aus Bronzeblech und ist kunstvoll gearbeitet. Sie war am oberen Bug des Hutes befestigt.

In einem Friedhof in Reichersdorf deckte Neugebauer ein anderes bedeutsames Stück auf. Es gehört der Hallstattkultur (700 bis 400 v. Chr.) an: eine Urne mit dem Leichenbrand einer Frau. Auf dem tönernen Gefäß befinden sich zehn bildliche Darstellungen: ein Jäger auf seinem Pferd, der einen Hirschen und drei Vögel verfolgt, sowie eine lyra spielende Frau inmitten einer Gruppe von vier Tanzenden. Derartige Darstellungen gibt es im östlichen Hallstattkreis höchst selten.

Uberhaupt einmalig für Österreich ist der Fund eines Achsnagels aus der frühen Latenezeit, der die Gestalt eines maskenartigen Gesichtes mit Bart besitzt. Umrahmt wird das Gesicht links und rechts von S-Schleifen mit Vogelköpfen und bekrönt von einer Palmette. Auf ihn gestoßen ist man durch Zufall in der Traisenniederung bei Unterradiberg.

Wie aus der Forschung bekannt ist, bestatteten die Kelten ihre Fürsten liegend in zweirädrigen Streitwagen, die Verzierungen aus Bronze und Eisen trugen. Die Darstellungen waren kultisch-religiösen Inhalts. Masken schrieb man die Kraft zu, alles Böse vom Toten abzuhalten. Dieser 10,6 Zentimeter große Nagel ist aufgrund seiner qualitätvollen Ausformung auf dem Plakat der St. Pöltner Ausstellung abgebildet und soll zweitausendfünfhundert Jahre nach seiner Entstehung für guten Besuch werben.

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