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Ein Berg - höher als die Cheopspyramide

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Rund zwei Millionen Tonnen Müll fallen in Österreich pro Jahr an, in Wien allein fast eine halbe Million. Der Mistberg eines Jahres, auf einandergeschichtet, übersteigt die Höhe der Cheopspyramide um einiges. Die Müllpyramide hätte eine Seitenlange von 300 und eine Höhe von 270 Metern aufzuweisen. Das emsige Arbeiterheer des Pharao Cheops brachte es in jahrzehntelanger Arbeit auf „bloß“ 233 Meter Länge und 147 Meter Höhe.

Was tun wir, um „Müllgeister, die wir riefen“, loszuwerden? Die Antwort darauf gaben Wissenschaftler des Bundesinstituts für Gesundheitswesen. Ihre Untersuchung brachte heraus: Rund ein Viertel des jährlich anfallenden Mülls wird abgelagert, ohne daß sich jemand weiter darum kümmert. Oder in Zahlen ausgedrückt: 990.000 Tonnen Abfall werden ohne besondere hygienische Vorkehrungen und ohne Sorge für die Umwelt abgelegt.

Wie steht es um die Mülldeponien? Auch da sieht die Situation trist und besorgniserregend aus. Mehr als die Hälfte aller Gemeinden mit 1000 Einwohnern verfügt nicht über eine Deponie - und auch mit der regelmäßigen Müllabfuhr hapert es vielerorts. Von allen vorhandenen Deponien ist nur die Hälfte genehmigt. Sind diese wenigstens gesundheitlich einwandfrei angelegt und gefährden die Umwelt nicht? Auch das nicht, denn nur 1,3 Prozent aller Mülldeponien entsprechen den letzten Kenntnissen der Umwelttechnik, sind hygienisch unbedenklich.

Dieser geringe Prozentsatz sollte zu denken geben, denn mit einer Deponie allein ist noch kein Schlußstrich unter das Müllproblem gesetzt. Die Rechnung geht unter dem Strich noch weiter. Oberflächen- und Grundwasser können durch unsachgemäße Ablagerung von Abfallstoffen verunreinigt und eine Gefahr für uns alle werden. Die Luft hat darunter zu leiden, Schwelbrände entstehen leicht - für viele Großstädte sind einRauchpilz und entsprechender Gestank das untrügliche Zeichen von Müllablagerung. Hier findet sich auch ein Dorado für Ungeziefer, und nicht zuletzt wird auch die Landschaft verschandelt.

Immerhin: ‘ein Viertel der anfallenden Müllmenge wird verbrannt. Neben dem Nachteil der Luftverschmutzung durch die Verbrennung zählen die Wissenschaftler aber auch gewichtige Vorteile für dieses Verfahren auf. Der Heizwert des Mülls steigt ständig an - das heißt, daß von Jahr zu Jahr größere Energiemengen zurückgewonnen werden können. Diese Energie kann als Fernwärme für Heizung und Klimatisierung abgegeben werden — was ja auch tatsächlich schon seit einiger Zeit geschieht.

Einen Weg aus der „mistigen“ Situation sieht der „Arbeitskreis Verpak- kung und Umweltschutz“ des österreichischen Instituts für- Verpak- kungswesen an der Wirtschaftsuniversität Wien in der getrennten Sammlung und getrennten Verwertung von Abfallstoffen. Um das zu erreichen, wurde zuerst unter der Leitung von Univ.-Ass. Ing. Mag. Gerhard Vogel eine Untersuchung durchgeführt, um zu sehen, was alles in den Müllbergen vorhanden ist und wie man dem Problem erfolgreich zu Leibe rücken kann. Für diese Müllanalyse wurden 38 Städte in Österreich ausgewählt und 50 Stichproben gezogen. Dabei zeigte sich, daß 44 Prozent des Gewichtes des anfallenden Mülls von Papier, Glas und Kunststoffen beigesteuert wird. Ein Drittel des Mistes besteht aus Papier oder Pappe.

Geht man gar vom Volumen des Hausmülls aus, so nimmt Verpak- kungsmaterial bereits die Hälfte des in Mülltonnen und Deponieräumen zur Verfügung stehenden Raumes ein.

Im Zuge dieser Analyse zeigte sich auch, daß Städter wegwerffreudiger sind als Landbewohner. In Städten mit über 100.000 Einwohnern werfen Herr und Frau Österreicher pro Jahr 248 Kilo Müll in die Mistkübel. In kleineren Gemeinden mit bis zu 1000 Einwohnern werden die Abfalltonnen mit 110 Kilo pro Kopf „gefüttert“. An „vegetabilischen Abfallstoffen“, führt die „Müllstudie“ an, wandern in Wien allein 119.000 Tonnen auf den Mist, in ganz Österreich 301.000 Tonnen. Was nichts anderen heißt, als daß auch Lebensmittel in beträchtlicher Anzahl als Abfall die Haushalte verlassen.

Jeder von uns wirft nach dieser Untersuchung etwa ein halbes Kilo Altpapier innerhalb einer Woche weg. Diese Zahl, für Wien hochgerechnet, ergäbe eine Menge von 45.000 Tonnen

Altpapier pro Jahr. Dieses Reservoir wird zur Zeitnoch wenig ausgeschöpft - die gelegentliche Rot-Kreuz-Altpa- piersammlung erbringt nicht mehr als 10.000 Tonnen im gleichen Zeitraum.

Diese Untersuchungen, die sich über Jahre hinauszogen, sollen mithelfen, die tickende Müllbombe zu ent schärfen. Es muß rechtzeitig etwas geschehen - alle 20 Jahre verdoppeln sich die Müllberge in Großstädten. Im ominösen Jahr 2000 werden pro Jahr und Kopf mehr als 400 Kilo Müll anfallen - und zu beseitigen oder wiederzuverwerten zu sein.

Die Studien über die getrennte Sammlung von Altstoffen und die Zusammensetzung des Mülls sollen den Verantwortlichen eine Handhabe bieten, das Müllproblem in den Griff zu bekommen. So wurden in Wien schon seit September 1976 erste groß angelegte Versuche gemacht, Müll von Haus aus in getrennten Behältern zu sammeln und auf diese Art eine Vorauswahl und Trennung der Altstoffe zu erreichen.

Die Bereitschaft der Bevölkerung dazu besteht durchaus. Von 1063 Wienern, die an dieser Aktion zur getrennten Müllsammlung über ein halbes Jahr hindurch teilnahmen, erklärten 90 Prozent, an einer solchen Aktion auch in Zukunft teilnehmen zu wollen.

Die getrennte Sammlung ist auch von wirtschaftlichem Interesse. Derzeit müssen noch große Mengen an Altstoffen, die durch Recyclingverfahren im Inland aufgebracht werden könnten, importiert werden. Als Beispiel: 120.000 Tonnen Altpapier müssen für die Papierindustrie eingeführt werden, was einem Gegenwert von 200 Millionen Schilling entspricht.

An einem neuen Verfahren, organische Substanzen aus dem Müll „herauszuziehen“ wird bereits gearbeitet. Das getrennt gesammelte Papier könnte direkt an die Papierindustrie abgegeben und dort wieder zu neuen Produkten verarbeitet werden. Außerdem ließe sich durch diverse chemische Verfahren Kraftfutter hersteilen. Es besteht auch die Möglichkeit zur Erzeugung von Futterhefe. Daß diese Pläne nicht ganz utopisch sind, zeigt die Tatsache, daß zur Zeit an der Realisierung intensiv gearbeitet wird.

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