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Ein Beruf, der mehr fordert, aber auch mehr gibt

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„Stellen Sie sich, bitte, folgende Situation vor: Altenhelfer besucht gebrechliche, kranke Frau, bettlägerig, mißtrauisch, isoliert. Er möchte ihr Vertrauen gewinnen, sucht nach Kontaktpunkten, will sie aus ihrer Reserve locken. Welches Gespräch könnte sich zwischen den beiden ergeben?“ Herr M. schaltet den Kassettenrecorder ein, Anna K. und Friedrich P. beginnen, diese Situation nachzuspielen. Schauplatz: die Fachschule für Altendienste in der Seegasse im 9. Wiener Gemeindebezirk. Personen: Lehrer und Schüler im Alter zwischen 19 und 55 Jahren.

Das Unterrichtsfach „Gesprächsführung“ steht einmal pro Woche auf dem Stundenplan. Die Schüler werden dabei mit jener Situation vertraut gemacht, die sie nach Absolvierung des einjährigen Lehrganges erwartet. Sie sollen lernen, entsprechend zu reagieren, sich in Andere einzufühlen, Menschenkenntnisse zu vertiefen, Taktgefühl zu sensibilisieren. Anschließend wird das Tonband abgespielt und auf Fehler aufmerksam gemacht: „Hier, das ist zu forsch, zu direkt! Sie müssen bedenken, das ist ein kranker Mensch, das ist viel zu laut!“ Oder: „Das klingt zu sehr nach Eigenwerbung. Den alten Menschen interessiert es wenig, wenn Sie ihm gleich von den Initiativen der Caritas erzählen. Er möchte vor allem, daß man seine persönlichen Beschwerden versteht und sich ihrer annimmt.“

Die Fachschule für Altendienste der Caritas der Erzdiözese Wien besteht erst seit fünf Jahren. Neben ihr gibt es nur zwei ähnliche Ausbildungsstätten in Laxenburg und in Graz. Gegenwärtig werden dort 25 Schüler, drei Männer und 22 Frauen auf eine nicht einfache Tätigkeit vorbereitet. Denn Altenpflege, ein wichtiger Teil der Sozialarbeit, verlangt ein hohes Maß an Hingabe, Verantwortung und Charakterfestigkeit. „Ältere Schüler, so um die dreißig, sind uns daher lieber“, sagt Frau Direktor Hildegard Teuschl. „Sie besitzen mehr Erfahrung, eine gefestigtere Persönlichkeit. Junge Menschen werden oft nicht fertig mit den schwierigen Situationen, die sich dabei ergeben können.“ Trotzdem wird als besonders vorteilhaft genannt, daß Vertreter aller Altersgruppen von 19 bis 56 Jahren in einem Jahrgang zusammengefaßt werden. „Das gibt gegenseitige Anregungen“, und zwar in sämtlichen Unterrichtsfächern wie Alterspsychologie, Alterssoziologie, Sterbebeistand, Gesundheits-, Krank-heits- und Medikamentenlehre, Erste Hilfe, Ernährungslehre, Diätkunde und Beschäftigungstherapie.

Dem diplomierten Altenhelfer mit dem speziellen Fachwissen steht jenes Heer von Heimhelferinnen gegenüber,

die ihre Kenntnisse kursmäßig erworben haben. Direktor Teuschl (in der Schule „Schwester Hildegard“) ist hier um eine Begriffsentwirrung bemüht: Altenhelfer sind Fachkräfte, lediglich für die Altenpflege zuständig und außerdem in der Lage, neben der Betreuung organisatorische Arbeit zu übernehmen (etwa in Pfarren). Heimhelferinnen machen nur Hausbesuche und gehen, wenngleich ebenfalls eher im Bereich der AJtenhilfe tätig, unter Umständen auch zu Familien. Familienhelferinnen hingegen werden einzig in Familien eingesetzt. Sie haben die zweijährige, auch in der Seegasse untergebrachte, Familienhelferinnen-schule absolviert und werden bei der Caritas der Erzdiözese angestellt. Ebenso wie die Altenhelfer erhalten sie ein fixes Gehalt (etwa 7000 Schilling brutto), während die Heimhelfe-rinneh stundenweise entlohnt werden. Eine Ausnahme machen die Caritas Socialis und die Caritas der Erzdiözese; ihre Heimhelferinnen beziehen ebenfalls ein fixes Gehalt von rund 6000 Schilling brutto pro Monat.

Insgesamt läßt sich feststellen, daß das Interesse an diesen Sozialberufen enorm gestiegen ist, ebenso die Nachfrage. Vor allem in der Altenhilfe hat der Bedarf an geschulten Kräften zugenommen. Heute werden mehr Menschen alt als früher, außerdem hat der Zerfall der Großfamilie dazu beigetragen, daß immer mehr alte Leute allein bleiben, sich aber nicht dazu entschließen können, in ein Altersheim zu gehen. Sie wollen nicht weg aus ihrer vertrauten Umgebung. Das Altersheim erscheint ihnen als Stätte, wohin man nur zum Sterben geht. (Angesichts der auch bei uns zunehmenden Zahl moderner „Seniorenheime“ wäre ein Umdenken vielleicht vorteilhaft und notwendig.)

Eine Alternative bietet die Heimhilfe. Sie ermöglicht dem alten Menschen, der sich in der Regel schwer auf geänderte Verhältnisse umstellen kann, in seiner Umgebung zu bleiben, indem sie ihn mit dem Nötigsten versorgt

Es gibt derzeit über 1000 Heimhelferinnen in Wien, denen allerdings nur 17 Familienhelferinnen und etwa zehn Altenhelfer(innen) - hier ist auch das männliche Geschlecht vertreten - gegenüberstehen. Die Ausbildung in meist vierwöchigen Kursen scheinen die meisten Frauen einer Fachschule vorzuziehen. Das vor allem deshalb, weil sie sich leicht nebenher bewältigen läßt und so in den Tagesablauf von Familie und Haushalt integriert werden kann. Es sind besonders Frauen, deren Kinder bereits groß geworden sind oder die eine reine Haushaltsarbeit zu wenig befriedigt Während

noch vor wenigen Jahren ein ausge-1 sprochener Mangel an Heimhelferinnen zu beklagen war, halten sich Angebot und Nachfrage jetzt so ziemlich die Waage. Alte und kranke Menschen und Familien in Notsituationen können damit rechnen, im Bedarfsfall entsprechend versorgt zu werden.

Nun hört sich das freilich leichter an, als es tatsächlich ist Denn es sind hier sehr viele verschiedene Situationen zu berücksichtigen, die im Ernstfall auftreten können. Da gibt es alte, kranke Menschen, die zu wenig Bescheid wissen über derartige Möglichkeiten oder auch Hemmungen haben, sie zu beanspruchen, weil sie sich dann befürsorgt fühlen. Anderen ist der Stundenlohn zu hoch (bis zu 60 Schilling, je nach Einkommen). Meist jedoch kam! ein Antrag an die Gemeinde Wien gestellt werden, worauf die Betreuung kostenlos erfolgt.

Wofür sind nun Altenhelfer zuständig? Der Aufgabenkreis umfaßt so ungefähr alles, was für die Betreuung von Menschen, die selbst nicht mehr in der Lage sind, sich zu versorgen, notwendig ist. Krankenpflege, die sich vor allem auf Verbinden und Waschen beschränkt, Kochen, Einkaufen, Sorge für die regelmäßige Einnahme von Medikamenten und Kontaktherstellung zu einem Arzt, Familienzusammenführung und Aktivierung der Nachbarschaftshilfe gehören hier ebenso dazu wie das einfühlsame Gespräch.

Zu dem 82jährigen, der zusammen mit zwei Katzen nach dem Tod seiner Frau in einem alten Haus in der Vorstadt wohnt, kommt die Heimhelferin zwei- bis dreimal pro Woche nachschauen („Sehn's, die hat a Herz, die Frau, die nimmt mä die dreckige Wasch mit und schaut, daß zamm-gräumt ist. Oba es san net alle so, na, net alle“, resümiert er seihe Weltverachtung.). Oder die Frau mit multipler Sklerose, bewegungsunfähig und den ganzen Tag an ihren Lehnstuhl gefesselt, wo sie auf das tägliche Erscheinen der Heimhelferin wartet. Ob es die alleinstehende berufstätige Mutter ist, deren Kind krank wurde und die keine Hilfe hat Oder die einst wohlhabende und gepflegte Beamtengattin, die nach einem Schlaganfall in einer völlig verschmutzten und übelriechenden Wohnung liegt. Zuspruch, Trost, ein nettes Wort und vor allem die Möglichkeit, sich auszusprechen, brauchen sie alle.

Diese Einblicke in Leid, Not, die Begegnung mit dem Tod, müssen bewältigt werden. Sie brechen zugleich durch die schöne Fassade unserer Wohlstandsgesellschaft und zeigen, was an unbewältigten Dingen dahinter liegt. Zugleich aber muß sich der Alten- oder Heimhelfer hüten, durch den täglichen Umgang mit Krankheit und Bedürftigkeit abzustumpfen, das nötige Mitgefühl nicht mehr aufzubringen. Kranke und alte Menschen sind hier sehr empfindlich. Sie merken, ob es jemand so meint, wie er sagt, oder ob es sich um eine Redewendung handelt.

Aber obwohl es eine sehr anstrengende Tätigkeit ist, bei der ein Heimhelfer oder Altenhelfer allerhand schlucken muß - daß alte Menschen häufig schwierig sind, weiß jeder, der mit ihnen zu tun hat -, finden die meisten Heimhelferinnen ihren Beruf doch sehr befriedigend. Meist wird er einer früheren Tätigkeit als Schneiderin, Friseurin oder Verkäuferin vorgezogen. „Er fordert mehr und gibt mehr“, formuliert es eine Lehrerin an der Fachschule für Altendienste.

Die kursmäßige Ausbildung erhalten Heimhelferinnen in der Regel.bei den Organisationen, bei denen sie dann angestellt werden. In Wien sind dies neben der Caritas Socialis und der Caritas der Erzdiözese, die zusammen etwa 100 Heimhelferinnen beschäftigen, vor allem der sozialistisch orientierte „Verein Frau und ihre Wohnung“ mit fast 500 Heimhelferinnen, der Verein Wiener Sozialdienste mit etwa 480 Heimhelferinnen, das Rote Kreuz mit 240 Heimhelferinnen, seit September 1977 das Soziale Hilfswerk der ÖVP mit etwa 20 Heimhelferinnen und seit Jänner 1978 der KPÖ-orien-tierte Heimhilfedienst der Wiener Volkshilfe mit 250 Heimhelferinnen.

Wie die Leiterinnen sämtlicher Vereine einstimmig feststellen, hat das Interesse erst in den letzten fünf Jahren beachtlich zugenommen. „Zuvor“, sagt Schwester Wolf, bereits pensioniert und 1947 die erste Heimhelferin in Wien, „hatten wir immer einen großen Mangel.“ Schwester Wolf, immer noch rüstig und engagiert, hat damals mitgeholfen, den Verein Wiener Hauskrankenpflege der Gemeinde Wien, der vor fünf Jahren in den Verein Wiener Sozialdienste umbenannt worden

ist, auszubauen. Sie ist sozusagen ein Denkmal in der Heimhelferinnengeschichte. Andere, jüngere kamen nach. Aber noch immer steht der Beruf

Heimhilfe-Altenhilfe-Familienhilfe auf etwas unsicheren Beinen.

So kommt zu einer allgemeinen Begriffsverwirrung hinsichtlich der Bezeichnung auch noch die Frage, wer wofür zuständig ist Daß Heimhelferinnen, obwohl von der Ausbildung her nicht so geschult, vielfach alles machen, schafft manchmal Probleme, vor allem in komplizierten Situationen, etwa wenn viele Kinder da sind. Oder wenn sich ein alter Mensch in einem kritischen Zustand befindet und sofort ärztliche Hilfe braucht. Die Heimhelferin trägt hier häufig eine größere Verantwortung als eine diplomierte Krankenschwester, die im Bedarfsfall einen Arzt oder die Oberschwester zur Seite hat.

Während ursprünglich vor allem die Gemeinde Wien Heimhelferinnen beschäftigt hat, werden jetzt zunehmend auch die Pfarren mobilisiert. „Alles schreit: Wir brauchen Altenhelfer! Bis zu der Frage: Wer bezahlt?“ erklärt Schwester Hildegard. „Um Enttäuschungen vorzubeugen und unklare Vorstellungen zu, bereinigen, versuchen wir daher, jeder Schülerin zuerst die negativen Seiten dieses Berufes darzulegen. Denn nur wer diese bewältigt hat, kann die positiven sehen.“

Drei Schulen für Altendienste

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