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Ein bescheidener Schritt

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Ein bescheidener Schritt, aber ein Schritt in die einzige vertretbare und uns Menschen würdige Richtung, nämlich auf Verständnis und Frieden hin: So beurteilen Beobachter die in Budapest von der ungarischen Akademie der Wissenschaften vom 28. Februar bis 2. März durchgeführte Dialogkonferenz zwischen Christen und Marxisten zum Thema „Die Verantwortung des Menschen in der Welt von heute". Rund 60, durchwegs prominente Wissenschaftler aus 15 Ländern des Ostens und des Westens waren in Budapest zusammengekommen und suchten nach Möglichkeiten, die Gefahren, die heute die Menschheit exi-stenziell bedrohen, zu bannen.

Prominentester christlicher Vertreter war der Innsbrucker Dogmatiker Karl Rahner, der in Budapest auch zu seinem 80. Geburtstag geehrt wurde. Auch er rief in einem Interview für eine Budapester Tageszeitung zu Bescheidenheit in den Erwartungen in solche Konferenzen auf, warnte aber gleichzeitig indirekt vor einer Unterbewertung. Alle großen geistigen Bewegungen hätten, meinte Rahner, einmal doch sehr klein angefangen, „waren zunächst einmal nur existent in den Köpfen und Herzen von sehr wenigen".

Respekt vor dem anderen, gegenseitiges Vertrauen und gemeinsame Bemühungen waren die entscheidenden Begriffe, mit denen nach Ansicht der Teilnehmer die gegenwärtigen schwierigen Probleme gelöst werden können. Dementsprechend offen war nach den Mitteilungen von Konferenzteilnehmern die Atmosphäre in den Gesprächen. So zeichnete sich etwa auch die sowjetische Delegation, an ihrer Spitze der Leiter des Instituts für wissenschaftlichen Atheismus der KPdSU, Garadscha, durch „hohes Fachwissen", durch „Dialogbereitschaft und verantwortungsbewußtes marxistisch-humanistisches Gedankengut" aus.

Die Teilnehmer waren sich darin einig, daß der einzelne ebenso wie die Gemeinschaften und Staaten für die heutige Situation und ihre Bewältigung Verantwortung trage. Bei der Beurteilung der Ursachen der Krise und dem Grad der Verantwortung bezüglich des Zustandekommens dieser Lage wichen die Auffassungen voneinander ab. Doch ging es bei den Beratungen nicht darum, den anderen den „schwarzen Peter" zuzuschieben, sondern um die Suche nach der ethischen Begründung der gemeinsamen Verantwortung.

Ein solches Bestreben könnte trotz Verschiedenheiten der weltanschaulichen Grundkonzepte im Marxismus bzw. im christlichen Gedankengut erfolgreich sein. Es wurde also nicht nach Konvergenzen in den verschiedenen Weltanschauungen gesucht, sondern unter Wahrung der eigenen weltanschaulichen Standpunkte nach Prinzipien gefragt und Werte diskutiert, die in den verschiedenen Auffassungen ähnlich, wenn nicht sogar gleich sind. Darauf hat etwa Janos Szentagothai, Präsident der ungarischen Akademie der Wissenschaften, hingewiesen, als er von jenem elementaren Vertrauen sprach, ohne das es keine Chance für ein Uberleben gibt. Auf der Basis dieses elementaren Vertrauens müßten die Anhänger verschiedener Weltanschauungen Kontakte aufnehmen und einander besser kennenlernen. Das wäre schon ein Beitrag, um Vorurteile abzubauen. Daß weltanschauliche Vorurteile die echte menschliche Kontaktaufnahme beeinträchtigen, war den Teilnehmern klar. So kam es nicht von ungefähr, daß gerade Wiktor Garadscha davor warnte, daß Weltanschauungen für politische Zwecke ausgenützt würden, was allen Partnern nur schade.

Wichtiger und entscheidender Diskussionspunkt war die Friedensproblematik. Die Konferenzteilnehmer waren sich einig in der Ablehnung jedes Atomkrieges. Wie etwa der französische Jesuit Yves Calvez meinte, müßten in einer Situation, in der ein partikularer Konflikt zu einem Atomkrieg führen könnte, Differenzen am Verhandlungstisch ausgetragen werden. In diesem Sinn wurde auch übereinstimmend festgestellt, daß von einem „gerechten Krieg" nicht mehr die Rede sein kann. Der ungarische Marxist T.aszlo Lukacs hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Gerechtigkeit neu gewertet: Hieß es früher „Si vis pacem, para bellum — wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor", müsse es heute heißen, „si vis pacem, para iustitiam — wenn du Frieden willst, baue Gerechtigkeit auf."

„Konkrete" Ergebnisse — etwa in Form von Resolutionen und Erklärungen — hat die Budapester Dialogkonferenz nicht gebracht. Aber darauf wurde auch von vorneherein verzichtet. Lediglich ein einziges Dokument wurde verabschiedet. Das Papier war bereits bei einer ähnlichen Tagung in Florenz erarbeitet worden und wurde nun in Budapest neu redigiert, wobei die ethischen Prinzipien des christlich-marxistischen Dialogs umrissen wurden: Jeder möge sich dessen bewußt sein, heißt es darin, daß er nicht allein die ganze Wahrheit besitzt, womit die Möglichkeit geschaffen wurde, auch die eigene Auffassung zu korrigieren.

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