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Ein Bistum wird flügge

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Die Diözese St. Pölten feiert heuer ihr 200jähriges Bestehen (siehe auch Kasten rechts unten). In ihrer Geschichte spiegelt sich jene der Kirche des ganzen Österreich.

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Die Diözese St. Pölten feiert heuer ihr 200jähriges Bestehen (siehe auch Kasten rechts unten). In ihrer Geschichte spiegelt sich jene der Kirche des ganzen Österreich.

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„Verträumte Bischofsstadt”, wie es Herzmanovsky-Orlando im „Gaulschreck im Rosennetz” nennt, war St. Pölten nur kurz, sosehr auch dieser Eindruck durch das barocke Gepräge seiner Altstadtfassaden noch nachwirkt. Zur Zeit, als diese Charakteristik halbwegs zutraf, war es noch nicht einmal lange Bischofsstadt.

Das 200-Jahr-Jubiläum der Diözese läßt einen verwundert nachrechnen, daß das biedermeierliche St. Pölten des Bischofs Johann Nepomuk von Dankesrei-ther (1816-23), der seinen Verwandten Franz Schubert zu sich auf die Ochensburg lud, als Bistum kaum noch Tradition entwik-kelt haben konnte.

Wirklich uralt war allerdings das Augustiner-Chorherrenstift St. Hippolyt, das die adeligen Brüder Ottokar und Adalbert, zugleich Gründer von Tegernsee, schon 742 gegründet haben sollen. Die Aufhebung des Klosters im Zuge der josefinischen Kirchenreform leitete ein Jahrhundert ein, das eine Absage an viele Traditionen bedeutete. Am Ende dieses Jahrhunderts stand eine Industriestadt, ein gar nicht mehr vei -träumter Verkehrsknotenpunkt,-dessen Wirtschaf tsraison über alle Reste des alten St. Pölten hinwegging; ihr gegenüber war das junge Bistum bereits wieder zum Hüter der Traditionen geworden.

Stadt und Bistum sind in diesem ersten Jahrhundert des Bestehens erst langsam zusammengewachsen. Die ersten fünfzig ' Jahre galten vor allem der Seelsorge. Um ihretwillen hatte Kaiser Josef II. unter anderem das übergroße Passauer Bistum zerschlagen und in die kleineren Sprengel gegliedert, die nun je zwei Viertel Niederösterreichs umfassen.

Der Diözese Wien trat damit eine Diözese des westlichen Niederösterreich entgegen, was einer Verlagerung der Kleindiözese Wiener Neustadt mit ihrem niederländischen Bischof Heinrich Johann von Kerens (1785-92), vormals Professor an der Militärakademie, entsprach. Die Pfarrseel-sorge des neuen Sprengeis, durch eine Anhebung der Zahl der Pfarren in bisher stiefmütterlich betreuten Gebieten durch Josef II. maßgeblich gefördert, war denn auch die Sorge der ersten Bischöfe der Diözese. Dazu gehörte - zur Besetzung all dieser Pfarrstellen - der Ausbau des Alumnats, der späteren theologischen Lehranstalt und heutigen Philosophisch-Theologischen Hochschule.

Zäsur von 1848

Beide Investitionen in die Zukunft trugen in der zweiten Hälfte des ersten Säkulums bereits ihre Früchte, als sich die geistesgeschichtliche Rolle von Kirche und Klerus radikal wandelte. Vom josefinischen Staatskirchentum, das vor allem verdiente Staatsdiener und Hofkapläne mit der Bischofswürde belohnte, wollte die Periode größeren theologischen Selbstbewußtseins nach 1848 nichts mehr wissen. Seine papsttreuen Repräsentanten („Ultramontane”) verstanden ihren Einsatz als Kampf gegen eine weitgehend entchristlichte Gesellschaft des Liberalismus und stützten sich in diesem Kampf auf die ländliche Peripherie, der die Seelsorgebemühungen der ersten Zeit zugute gekommen waren.

Das Revolutionsjahr bildete die Zäsur. So hatte der wohl am weitesten über die Grenzen des Bistums hinaus bekannte Bischof, Josef Feßler (1865-72, Generalsekretär des Ersten Vatikanischen

Konzils), seine Feuertaufe als Vertreter Vorarlbergs bei der Frankfurter Nationalversammlung erfahren.

Unter seinem Nachfolger, Matthäus Josef Binder (1872-93), entfesselte schließlich dessen Kollege an der Lehranstalt, Josef Scheicher, den Kulturkampf von unten vollends: er wurde” zu einer der Gründerfiguren der christlichsozialen Reformbewegung, dem wortgewaltigen Sebastian Brunner in seinem Reformprogramm und leider auch im rüden Antisemitismus verpflichtet. Seine publizistische Tätigkeit und sein vielfältiger politischer Einsatz haben zu dem beigetragen, was bis in die vierziger Jahre den Zusammenhalt des katholischen Lagers ausgemacht hat.

Zurück zur Seelsorge

Viele Aktivitäten der Diözesan-kleriker dieser Zeit, insbesondere die Erwerbung des „St. Pöltener Boten” durch Bischof Feßler im Jahre 1869 als Keimzelle des Preßvereins und heutigen Niederösterreichischen Pressehauses, wirken heute noch weiter. Geselligkeitsvereine stehen unter geistlicher Leitung, ein Vereinsleben entfaltet sich ...

Schon in der langen Amtszeit Johann Baptist Rößlers (1894-1927) pendelte die Entwicklung zur Seelsorge zurück, der sich dessen Nachfolger Michael Memelauer (1927-61) nach einer Reihe gelehrter Theologen wieder in besonderer Weise annahm. Ins 20. Jahrhundert fallen mit Bischof Franz Zak (ab 1961), der als Militärvikar die traditionelle Verbindung zum Militärwesen wiederaufnahm, nur drei Episkopate.

Vielleicht ist für die letzte Periode charakteristisch, daß der große Vollender der innenpolitischen Versöhnung nach der skizzierten Kampfzeit, Kardinal Franz König, ebenfalls aus dieser Diözese, aus einem Kreis von Widerständlern um Bischof Memelauer, hervorging, dessen Koadjutor er war.

Der in diesem Zeitraum einsetzende Rückzug des Klerus ins zweite Glied führte allerdings doch nicht zu einer im josefinischen Sinn schweigenden und untertänigen Kirche zurück. Denn die mündig gewordenen Laien traten in vielerlei Funktionen hervor. Kommt nach einem Raupenstadium des Seelsorgeaus-baus, einem Puppenstadium des nach außen abgeschotteten Lagers nun die Zeit der Schmetterlingsflüge?

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