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Ein böser Regelkreis
Autistische Kinder werden in der medizinischen Fachliteratur als weltfremde, einzelgängerische Wesen beschrieben, die „eingeigelt“ in einer emotionalen und intellektuellen Eigenwelt leben und unfähig sind, zwischenmenschliche Beziehungen zu knüpfen. Wohl haben sich bereits etliche Forscher mit diesem Phänomen beschäftigt, über die Ursachen des frühkindlichen Autismus gibt es aber ebenso widersprüchliche Meinungen wie über die Therapie.
Eltern solcher Kinder sehen sich daher den Problemen mit ihrem autistischen Kind meist hilflos ausgeliefert.
Mehr Licht in die Entstehung und richtige Erziehung autistischer Persönlichkeiten scheint nun eine Studie zu bringen, die von der Leiterin der Abteilung für Entwicklungspsychologie der Universität Wien, Brigitte Rol- lett, erarbeitet wurde.
„Grundsätzlich“ , so die Autorin, „entsteht Autismus, wenn negative Erbeinflüsse und ungünstige Umweltbedingungen Zusammentreffen. Hat das Kind die
Neigung zur Introversion und fühlt sich die Mutter bereits während der Schwangerschaft überlastet, kann es zum autistischen Störungsbild kommen.“ Um das seelische Gleichgewicht zu halten, blocken schon die Babies äußere Reize ab und wehren sich gegen jeden Körperkontakt. Dies geschieht durch Apathie, Desinteresse bzw. völligen Rückzug („Muschelkinder“ ) oder durch aktive Abwehr,unbeeinflußbares
Schreien.
Die Psychologin meint, daß autistische Kinder mit diesen Verhaltensweisen den bedürfnislosen Zustand vor der Geburt wiederherstellen wollen: „In diesem Sinn kann man sie als Kinder bezeichnen, die nicht geboren werden wollen.“ Verschärft wird die Situation dadurch, daß Kontaktabwehr und Schwierigkeiten des Kindes für die Eltern wiederum eine erhebliche Belastungdar stellen. Die Mutter fühlt sich frustriert und überlastet, was sich wieder negativ auf das Kind auswirkt.
Wie eine Vergleichsuntersuchung bei autistischen, behinder ten und gesunden Kindern und deren Pflegepersonen zeigte, erkennen die Eltern die Bedürfnisse ihrer autistischen Kinder nicht. Insbesondere kommt es zu einer typischen Wechselwirkung zwischen Kind und Pflegepersonen, entdeckte Rollett: „Die Belastung der Mutter führt dazu, daß das Kind unbefriedigt bleibt - es verweigert eine liebevolle Kontaktaufnahme, neigt zu Sprachentwicklungsstörungen und setzt Zwangshandlungen, wie zum Beispiel Hand-Finger-Mechanismen oder eine automatenhafte Nachahmungssucht.“
Damit geraten die Betroffenen in ein „Aktions-Reaktions-Düem- ma“ , einen gefährlichen Regelkreis, der die Kommunikation zwischen Kind und Eltern erschwert, wenn nicht unmöglich macht.
Dieser gestörten Beziehung versuchen viele Eltern mit strikten Erziehungsmaßnahmen zu begegnen. So wird großer Wert auf Disziplin und Ordnung gelegt. „Da autistische Kinder durch übliche Erziehungsmethoden nicht beeinflußbar sind, müssen diese
Maßnahmen scheitern“ , so die Psychologin, „dies fanden wir auch bestätigt. Die Eltern sind nicht in der Lage, ohne gründliches Training auf ihr autistisches Kind einzugehen, Alltagstheorien über Erziehung nützen hier nichts.“
Hilfestellung wurde jedoch geboten, als familiäre Situationen gefilmt und gemeinsam analysiert wurden. So konnte die Kommunikation signifikant verbessert werden, vor allem, wenn es gelang, die Eltern von ihren Erziehungsmethoden und Kontroll- ansprüchen abzubringen.
Unter 10.000 Kindern dürfte es jeweils zwei bis vier Autisten geben. Auch heute wird diese extreme Störung der zwischenmenschlichen Kontaktfähigkeit, die 1943 erstmals von Leo Kanner beschrieben wurde, oft nicht oder verspätet erkannt.
Die vom Familienministerium unterstützte Untersuchung Brigitte Rolletts beweist, daß Eltern sehr wohl neue Wege im Umgang mit ihren autistischen Kindern und damit eine positive Wechselbeziehung finden können, wenn man ihnen Hilfe bietet, denn, so Rollett: „Ist das Kind zwar .schwierig*, versteht es die Mutter aber, diese seine Verhaltensweisen zu kompensieren, kommt es ebensowenig zu ausgeprägten autistischen Störungen wie im umgekehrten Fall.“
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