6883526-1979_18_10.jpg
Digital In Arbeit

Ein Brief an Freunde

Werbung
Werbung
Werbung

Die erste Frage, die man stellen muß, wenn man das Schreiben des Papstes an die Priester zum Gründonnerstag 1979 verstehen will, ist die Frage nach der literarischen Gatttung dieses Textes. Es handelt sich um keinen Erlaß, sondern um ein geistliches Wort. Es ist ein persönliches Bekenntnis, eine seelsorgliche Stärkung der Brüder. Hier wird nicht etwas angeordnet, sondern der Sinn bestehender Regelungen aufgezeigt und die „Kunst aller Künste“, die Seelenführung, ausgeübt.

Wer diese Perspektive einmal gewonnen hat, der liest das Dokument voller Ergriffenheit und innerer Bewegung. Er ist von der Unmittelbarkeit berührt, mit der hier ein Freund zu Freunden redet, ein „Herz zum Herzen spricht“ (J. H. Newman).

Er findet ein sympathisches Priesterbild: „Das Priestertum, an dem wir durch das Weihesakrament teilhaben ..., bleibt immer ausdrücklich auf das allgemeine Priestertum aller Getauften hingeordnet.“ Es ist dazu da, „den Gläubigen ihr gemeinsames Priestertum bewußt zu machen und sie zu dessen Ausübung anzuregen“.

Priesterliche Seelsorge wird als künstlerische Tätigkeit beschrieben. ' Der Priester soll nicht nur fromm, sondern auch gebildet sein. Er soll nicht nur beten und die Muttter Gottes verehren, sondern sich auch weiterbilden. Er soll ein „Zeuge mit entsprechender Qualifikation“ sein.

Seine priesterliche Tätigkeit wird nicht engstirnig an dem gemessen, was er für die Pfarrseelsorge leistet, sondern er wird auf die vielen Formen priesterlicher Berufung und Tätigkeit hingewiesen: im Bereich der Schule, der Bildung und Jugenderziehung, im Bereich der Entwicklung des sozialen und kulturellen Lebens, im Dienst für die Leidenden, unter Umständen auch als selbst Leidender. Das alles ist Seelsorge, ist priesterlicher Dienst.

Das Dokument spricht gut und schön von der Ehe und zeigt Achtung vor der Tradition anderer Kirchen, die das Sakrament der Ehe mit dem Zeichen des Priestertums verbinden. Der Zölibat wird als Besonderheit der lateinischen katholischen Kirche bezeichnet. „Die Kirche ist entschlossen, diese Tradition fortzusetzen.“

Damit bleibt der Papst innerhalb des faktischen, unter seinen Vorgängern abgesteckten Rahmens. Wer hat im Ernst von einem Papst im ersten Jahr seines Pontifikates etwas anderes erwartet? Wer hat sich vorgestellt, er werde in einem geistlichen Brief zum Gründonnerstag den Zölibat aufheben oder modifizieren?

Stattdessen wird gesagt: Wer den Zölibat übernommen hat oder wer auf dem Weg dazu ist, soll diesen Weg weitergehen. Dieser Weg hat einen Sinn. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist nicht nur ein Zeichen des Glaubens an die zukünftige Welt, sondern sie befähigt den Priester auf besondere Weise, ein „Mensch für andere“ zu sein und macht frei zum Dienst für die Mitmenschen.

Keine neuen Argumente, aber gute, stärkende Worte. Zugleich wird relativiert: Wer sich mit einer Frau zu ehelicher Gemeinschaft verbindet, kann so ebenfalls als Bräutigam und Vater ein „Mensch für andere“ werden, vor allem im Bereich der eigenen Familie, doch nicht nur in diesem. Wer diesen Brief als „römisches Dekret“ mißversteht, der wird sich fragen: Was ist nun entschieden? Wie wird der Priestermangel behoben? Läßt sich wirklich für die Zölibatsfrage in der lateinischen Kirche keine Sonderregelung für Länder finden, in denen das sakramentale Leben ganzer Landstriche dem Zölibat geopfert wird? Kann man durch Gebet, Bildung und Marienverehrung notwendige Maßnahmen ersetzen?

Genügt es, nur an die Völker zu denken, die nach dem Priester hungern, daß er die Wandlungsworte sagt und von den Sünden losspricht? Müssen wir nicht auch an die Vielen denken, die gar keinen Priester sehen wollen, denen erst gesagt werden muß, was Sünde ist und Wandlungsworte bewirken?

Ist der Priester nur zur Versorgung der Gläubigen da und soll er sein Verhalten vor allem so einrichten, daß er „populär und gefragt“ bleibt? Soll er nicht auch Zeuge des Glaubens, für die Ungläubigen sein, Missionar für die alten und neuen Heiden, der sich in Liebe denen zuwendet, bei denen er nicht populär und gefragt ist? Sind die Argumente, die für vorsichtige Neuregelungen sprechen, wirklich so schwach, wirklich genug bedacht und ernstgenommen?

Wer so fragt, dem kann gesagt werden: Es ist zu erwarten, daß ein Papst, der als Seelsorger so ehrliche und herzliche Worte findet, auch für einen Bischof Verständnis haben wird, der in äußerster Not für seine Diözese und sein Land eine Sonderregelung erbittet.

Die Kirche würde damit nicht ihre Tradition verraten, sondern eine Konsequenz aus der Tatsache ziehen, daß sie Weltkirche ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung