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Ein Brief an Freunde
Es zahlt sich eigentlich nicht mehr aus, Euch zu schreiben, weil Ihr in 14 Tagen hier landen werdet, aber vielleicht erreicht Euch mein Brief noch vor dem Abflug. Also versuch ich's. Mir scheint es nämlich wichtig zu sein, Euch auf einiges vorzubereiten, damit Ihr nicht überrascht seid, wenn Ihr feststellen müßt, daß sich einiges verändert hat in Österreich.
Ihr werdet noch die freundlich von den Plakatwänden lächelnden Gesichter der Wahlwerber für die Wiener Landtagswahl sehen, aber laßt Euch nicht täuschen. So nett, wie sie sich da darstellen, sind manche gar nicht. Hinter dem korrekt gezogenen Scheitel und der Bonhommie eines Schmunzlers verbirgt sich eine Geisteshaltung, die gefährlich ist: Ausländerhaß, Ausländerhatz! Das alte, ewige „Mir san guat, ös seids schlecht" der beständigen 20 Prozent, die sich aus Protestlem, Deutschnationalen, Alt- und Neu-Nazis zusammenballen. Laßt Euch nicht erschrecken, auch Ihr seid denen willkommen, denn Ihr seid Urlauber, die Geld bringen und hier ausgeben. Ihr wißt ja, wie das ist bei uns. Egal wer es ist, ob Juden, Neger, „Tschuschen" - gehaßt muß werden. Die Religion der Trottel eben, die es geben wird, solange es Primitive gibt; und die sterben nicht aus, auch wenn sie sich längst mit akademischen Titeln schmücken dürfen.
Einer auf dem Plakat ist Verkehrsampel-freudig, einer Künstler-umar-mend. Wie gehabt also. Lustig nur die Kummerin, die es nicht mehr gibt: Trotz Umbau geöffnet!
Dabei ist es noch immer schön, hier zu leben. Und Chancen hat man hier! Ein 25jähriger gewinnt den Austria Jackpot! 12 Millionen Schilling! Zwei deutsche Nobelpreisträger (Medizin) erhalten in Oslo ebensoviel. 6 Millionen für jeden. Da denkt sicher mancher Schlaukopf: Für was studieren? Spielen muß man - da kriegt man das gleiche. Dabei sind wir Österreicher sonst nicht so risikofreudig. Eher zurückhaltend, abwartend. Aber manchmal bricht der Urtrieb der Lemminge in uns durch und wir rennen sehenden Auges ins Chaos. Dieses ist im Rot-weiß-roten-Land noch nicht ausgebrochen, aber es wird von gewissenlosen Leuten oft herbeigeredet - von manchen auch herbeiregiert.
Wißt Ihr, manchmal ist mir kalt, so kalt wie es dem Herrn Vorfahren im Eis gewesen sein muß. Aber das sind nicht die Herbsttage mit ihren kalten Nächten - das sind die Zustände der Sorge und der, ja, ich geb's zu, der Angst. 45 Jahre Aufbau, Arbeit, Plage und dann im Wohlstand, im Fett sitzend: Ignoranz, Selbstzerstörung, Va-banque-Spieler.
Alles nicht so schlimm?
Laßt Euch nicht beeindrucken, wenn Ihr hört, daß da und dort Hitlerbilder aufgehängt werden! Die waren ja eh immer da, nur eben versteckt. Und wenn Ihr erfahrt, daß in Wien an manchen Spitälern 50 Prozent philippinische Krankenschwestern arbeiten, so glaubt ja nicht, daß sich ein Radikaler und Ausländer-raus-Brüller weigert, sich im Notfall von so einem Engel in Weiß betreuen zu lassen.
Wiegle ich ab? Sage ich schon wieder, es ist nicht so arg? Gut - ich neige dazu, ich beruhige mich selber - und Euch natürlich, weil ich will, daß Ihr Euch hier wohlfühlt. Unser Kanzler war in den USA - zum Austausch kommt Ihr hierher. So ist es gut, so soll es sein. Seid willkommen. Und wenn Ihr etwas seht, das Euch nicht gefällt - tröstet Euch damit: Ihr fahrt wieder weg. Ich, wir, wir bleiben hier und leben weiter gerne da. Und wir kämpfen um Frieden, Vernunft und Menschlichkeit. Aus Überzeugung und aus Liebe zu diesem unserem Österreich.
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