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Ein Brief an Karl Rahner

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Am 26. Juli 1932 erhielt Karl Rahner SJ die Priesterweihe. 60 Jahre später schreibt ein junger Jesuit einen Brief an seinen 1984 verstorbenen Mitbruder.

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Am 26. Juli 1932 erhielt Karl Rahner SJ die Priesterweihe. 60 Jahre später schreibt ein junger Jesuit einen Brief an seinen 1984 verstorbenen Mitbruder.

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Lieber Pater Karl Rahner,

vor sechzig Jahren, am 26. Juli 1932, wurdest Du in der Münchener Sankt Michaelskirche zum Priester in der Gesellschaft Jesu geweiht. Kardinal Michael Faulhaber, der sich später den Nazis gegenüber kein Blatt vor den Mund nehmen sollte, legte Dir die Hände auf.

In einigen Monaten werde ich zum Priester geweiht sein. In welche Welt, in welche Kirche hinein? Wer heute Priester wird, so ein Theologe (dem sie mittlerweile verboten haben, „im Namen der Kirche" zu lehren und zu predigen), trete letztlich eine Flucht in die klerikale Existenz an, um seine eigene Verunsicherung, seine Schuldgefühle und seinen mangelhaften Selbstand abzuarbeiten. Der Priester - ein Komplexbündel?

Bin ich nicht, nach Jahren des Studiums, ein Lesemeister geworden anstelle eines Lebemeisters, wie Meister Eckhart sagt? Jetzt, in meinem Gemeindepraktikum, begegne ich einer tiefen Sehnsucht von Menschen nach Offenheit, nach Nähe, nach Glaubwürdigkeit. Mißtraut wird, zurecht, den pseudopräsenten Phrasendreschern, die sich dem Zeitgeist prostituieren, anstatt auf den Geist Gottes zu vertrauen.

Sind wir nicht ein Expertenheer geworden in unserer Kirche, Fach-und Besserwisser? Machen wir nicht ständig Pastoral für eine bestimmte Gruppe, anstatt mit bestimmten Menschen unseren Weg des Glaubens zu teilen? Fördern wir mit einer attraktiven Zielgruppenpastoral nicht die kirchliche Ghettobildung? Träumen

wir Kleriker nicht allzu gerne von Erfolgsstatistiken? Ermöglichen wir wirklich Menschwerdung der Menschen? Treiben wir echte Seel-Sorge? Nehmen wir außer Terminen überhaupt noch etwas wahr?

Deine Welt war auch nicht heil. Aber du wurdest in ein fragloses Prie-stertum hineingeweiht. Wer damals Priester wurde, war wer: ein sozialer Aufstieg. Heute sind wir von allen (un)möglichen Seiten existentiell in Frage gestellt. Die Kirche um die dreißiger Jahre war eine Kirche der Begeisterung und des Aufschwungs. Laien formierten sich. Gertrud von Le Fort, Romano Guardini, Pius Parsch -drei Namen, die für neue Bewegungen stehen. Heute verspüren wir Gegenwind. Es locken (fast) nur noch Gesichter, und es ist schwieriger geworden, Inhalte zu vermitteln.

Bei Deiner Weihe kündigte sich der „braune Schatten" an. Heute bekämpft niemand mehr so die Kirche. Sie ist vielen ganz einfach gleichgültig geworden. Fundamentalistische Kreise reden noch unbeeindruckt einer christlichen Gesellschaft das Wort, die es längst nicht mehr gibt. Vieles ist Traditions-, Trachtenvereins-, eben Tauf scheinchristentum geworden. Sa-kramentenspendung wird allzu oft mit spirituellem Partyservice verwechselt.

Ein Priester, hast Du einmal gemeint, dürfe kein Hansdampf in allen Gassen sein. Als Diener des Glaubens und der Freude anderer bestimmte das auch Dein eigenes Wirken als in der theologischen Wissenschaft arbeitender Priester. Und ich erlebe es als einen Appell, mich auf den (immer wieder notwendigen) Wandel von Priesterbildern einzustellen. „Wir brauchen nicht so zu tun, als ob wir die unbedroht und selbstverständlich Glaubenden wä-' ren", hast du Priestern ins Stammbuch geschrieben.

Priester sein in der Gesellschaft Jesu ist nicht, wie jemand bös' meinte, ein Nebenerwerbspriestertum. Es ist diskreter Dienst. Hingabe bedeutet für Dich die Kapitulation des Menschen in Gottes Unbegreiflichkeit. Ich verstehe und begreife vieles nicht, was heute in der Kirche vor sich geht. Manches macht mir auch Angst. Aber ich will in ihr arbeiten und dienen, als Priester und Jesuit. Kannst du eine Patronanz für mein priesterliches Wirken übernehmen?

Das wünscht sich Dein Mitbruder Andreas R. Batlogg SJ

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