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Ein Brief in das Jenseits

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Erinnerungs-Bilder an den Historiker Friedrich Heer, der am 10. April 75 Jahre alt geworden wäre

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Erinnerungs-Bilder an den Historiker Friedrich Heer, der am 10. April 75 Jahre alt geworden wäre

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Iieber Friedrich Heer, persönlich j habe ich Sie nicht gekannt, aber durch die Eindrücke von den persönlichen Erinnerungen anderer sind Teile eines Bildes entstanden.' Robert Jungk meinte, Sie wären ein „spekulativer Geist" gewesen - darf ich versuchen, die Bildteile auf eben diese Weise zu einem Ganzen zu formen?

Zeit Ihres Lebens hat man Ihnen Ihre „Grenzgängerschaft" (Peter Pawlowsky) übelgenommen, und so landeten Sie zwischen allen Stühlen: in der Kirche, an der Sie litten und die Sie doch nicht verlassen konnten; in der Wissenschaft, weil

Sie als künstlerischer Mensch nicht „exakt" genug waren; in der Gesellschaft, weil Sie sich nie einer Richtung oder Gruppe verschreiben wollten; und in Österreich insgesamt, wo der ehemalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel Sie als „den größten Verleumder" dieses Landes bezeichnet hat. Sie waren ein Schwieriger, der es auch seinen Freunden nicht immer leicht machte, Sie so zu lieben, wie Sie es gerne gewollt hätten. Mit Thomas Bernhard hat Sie Erika Weinzierl, mit Franz Grillparzer Trautl Brand-staller verglichen; war der eine nicht die Kehrseite des anderen und Sie tatsächlich eine Mischung aus den beiden, ebenfalls an Österreich Gescheiterten?

Für junge, rebellierende Katholiken waren Sie schon in den sechziger Jahren faszinierend. Sie sprachen aus, was (nicht nur) in der Kirche und nicht nur damals tabu war: „Das Wesentliche am Menschen ist der Widerspruch" und dazu ist der Mensch mehr verpflichtet als zum Ja-Sagen, zum Mitmachen und zur Demut (Hubert Feichtlbauer). Und Ihr Buch über 2000 Jahre christlichen Antisemitismus - „Gottes Erste Liebe" - löste einen Sturm der Entrüstung aus. Sogar Kardinal Franz König meinte damals zu Adolf Holl, ob Sie sich nach diesem Buch „eigentlich noch zu Recht als Katholiken bezeichnen dürfen". Ihr ganzes Leben haben Sie unter der Schuld gelitten, die die Kirche gegenüber den Juden auf sich geladen hat. Kurt Schubert bezeichnet „Gottes Erste Liebe" noch heute als eine „Polemik aus Liebe" - aus Liebe zur Kirche und zu den Juden, deren Tragödie Sie, wie Simon Wiesenthal betont, besser gekannt haben als viele Juden selbst.

Ebenso haben Sie Zeit Ihres Lebens unter den Gewalttaten des

Nationalsozialismus gelitten. Auch hier war es vor allem der Katholik Friedrich Heer, der alles dazu beitragen wollte, daß so etwas nie wieder geschehen kann: „DerGlau-be des Adolf Hitler" ist immer noch ein brisantes Buch. Sie waren es auch, der Kardinal König auf den „Fall Jägerstätter" aufmerksam gemacht hat. Nein, ein Bequemer waren Sie nie. Den Lehrstuhl für Geistesgeschichte, den Sie an der Universität Wien einrichten wollten, wurde dem Historiker Friedrich Heer, dessen weiter, universaler Horizont viele faszinierte, verweigert. Obwohl Viktor Matejka schon 1949 den Würdigungspreis der Stadt Wien für Sie durchsetzte, der sonst nur für das Lebenswerk großer Wissenschaftler vorgesehen war. Ihre größte Widersacherin war die „exakte" Wissenschaft. Wahrscheinlich wären Sie „der große Stern der österreichischen Historiker geworden" (Kurt Schubert), „wenn Sie nicht von Herrn Santi-faller abgewürgt worden wären". Er lehnte Ihr Mittelalter-Buch, das später in viele Sprachen übersetzt worden ist, als Habilitation mit der Begründung ab, der Anmerkungsapparat wäre nicht archivgerecht. Allerdings soll dabei auch Ihre eindeutig antinationalsozialistische Einstellung eine Rolle gespielt haben.

Ihre Tochter Johanna erinnert sich, daß Ihnen Universitäten in Paris und London einen Lehrstuhl angeboten haben, aber Sie haben abgelehnt: Ihre Bücher müßten Sie in Wien schreiben, meinten Sie, auch den „Kampf um die. österreichische Identität". Ihre Liebe zu „Wien, dunkle Mutter" war eine zwar ungebrochene, aber immer wieder enttäuschte Liebe. Die - im Gegensatz zur Bundesrepublik - verweigerte offizielle Anerkennung und die Position als Außenseiter, in die Sie auch dadurch immer wieder gedrängt wurden, macht es verständlich, daß viele Sie als Getriebenen, Ungeduldigen, Rebellierenden, ja „Um-sich-Schla-genden" in Erinnerung haben.

Am meisten haben Sie darunter gelitten, daß man Ihnen so oft den Dialog verweigert hat. Gerade Ihnen, der den kulturpolitischen Dialog - den Österreich heute mehr denn je nötig hätte - erfunden hat. „Der Dialog der Feinde", der Dialog mit politischen Gegnern, auch mit Atheisten, die Überwindung des Hasses, die Fähigkeit zur Macht-Zurücknahme - das waren für Sie die wesentlichen Elemente einer Gesellschaft. Leopold Rosenmayr erinnert sich an eine zufällige Begegnung in der Kärnterstraße. Sie erzählten ihm, Sie wären soeben, wie jeden Tag, in der Sakramentskapelle gewesen, um Ihre „Empörung und Ihre Bitterkeit hochkommen zu lassen", damit es Ihnen dann vielleicht gelingt, „einen Schritt weiterzugehen und jeden Haß zu überwinden".

Sie wußten um die Bedeutung des Unterbewußten; die Psychoanalyse - noch immer ungeliebtes Kind in ihrer Geburtsstadt Wien - war Ihnen, dem Generalisten, nicht nur vertraut, sondern auch selbstverständlich. Vielleicht lag darin der Zwiespalt, daß Sie den „Dialog der Feinde" oft besser bewältigt haben als den Dialog mit Menschen, die Ihnen nahestanden. Als „begnadeter Polemiker" (Trautl Brandstal-ler), der oft „gar nicht zimperlich im Verurteilen gegnerischer Positionen war" (Hubert Feichtlbauer), liebten und suchten Sie den Widerspruch, aber auch gleichzeitig Anerkennung bei Ihren Gegnern.

Gleichgesinnte fühlten sich von Ihnen oft erdrückt, überfahren; Ihnen gegenüber fühlten Sie sich offensichtlich frei genug, alles, was Sie beschäftigte, wovon Sie erfüllt waren, „loszuwerden". Ihren anspruchsvollen, assoziativen, scheinbar sprunghaften Gedanken und Ihrem umfassenden Wissen konnten nur wenige gerecht werden. Das mag der Grund sein, daß Sie nur wenige dauernde Freundschaften eingehen konnten. Vielleicht hat es

_ Ihnen aber auch Ihre

„Verletzlichkeit und Dünnhäutigkeit" (Trautl Brandstal-ler), auch daß Sie ein „weicher, musischer und sinnlicher Mensch" waren (Robert Jungk) schwer gemacht, sich in persönlichen Beziehungen wirklich zu öffnen. Wenn Sie mit jemandem nur wenige, aber intensive geistige Begegnungen hatten, dann war das für Sie Freundschaf t. Simon Wiesenthal sagt, die „geistige Verwandtschaft" mit Ihnen hat für ihn „größere Bedeutung gehabt als jede Blutsverwandtschaft".

Freunde dieser Art müssen es wohl gewesen sein, die Ihnen als Dramaturg im Burgtheater einen (zweifellos unkonventionellen) Status, vor allem Ihre materielle Existenz sicherten. Günter Bauer, damals Assistent von Ernst Häussermann, sah Ihre Aufgabe darin, „einen geistigen Vorort innerhalb des Burgtheaters zu bilden und den Humanismus, den Sie ausstrahlten, dort einzubringen".

Vor allem aber hatten Sie dort Platz und Zeit, Ihre populärwissenschaftlichen Bücher, Ihre zahlreichen Artikel und die vielen Buchrezensionen für die FURCHE zu schreiben. Sie hatten „immer keine Zeit, weil Sie immer vieles gleichzeitig gemacht haben und vieles gleichzeitig im Kopf hatten" (Günter Bauer).

Sie waren ein Leidender: an der Kirche, an Österreich, an der Gewalt, an der Gesellschaft und zuletzt auch an Ihrer Krankheit. Dabei mag auch das Künstlerische in Ihnen, das bei politischen Menschen bei uns so selten ist (Robert Jungk), eine Rolle gespielt haben, auch „der Verschleiß, den die Kreativität an körperlichem Tribut fordert" (Heribert Steinbauer). Und letztlich waren Sie ein Leidender an Gott. Kurt Lüthi traf Sie wenige Wochen vor Ihrem Tod am Graben. Er war erschrocken, wie sehr Sie vom Blutkrebs gezeichnet waren. „Was ist das eigentlich mit eurem Gott, der einen in der Art leiden läßt?" fragten Sie verzweifelt. Die Frage des Katholiken erinnerte den evangelischen Theologen an den jüdischen Propheten Hiob. Hat sich hier der Kreis der Auseinandersetzung zwischen Christen und Juden, der Ihnen so wichtig war, geschlossen?

Sie waren ein Schwieriger und Unbequemer, ein Grenzgängerund Außenseiter, ein Verfemter und Verehrter, ein verletzlicher Polemiker und ein dünnhäutiger Einzelkämpfer. Und trotzdem mag Robert Jungk recht haben, wenn er meint: „Es wäre wichtig, daß man ihn nicht nur als Friedrich Heer sieht, sondern als exemplarischen Fall des Intellektuellen zwischen den Stühlen und zwischen den Machtgruppen; das ist der richtige Platz für den Intellektuellen."

Ein Nachtrag zur „Heer-Schau", die 1985 im Böhlau-Verlag erschienen ist.

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