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Ein Brutherd von Revolutionen

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Mittelamerika steht aufgrund der revolutionären Unrast schon seit längerem im Mittelpunkt weltweiten Interesses. Und es gibt keinerlei Anzeichen, daß sich die Situation in nächster Zeit beruhigen wird. Warum, untersucht der nebenstehende Beitrag. Immer mehr Interesse wird auch Brasilien zuteil: Das Riesenland, das demnächst der Papst besuchen wird, setzt auch wirtschaftlich beachtliche Akzente.

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Mittelamerika steht aufgrund der revolutionären Unrast schon seit längerem im Mittelpunkt weltweiten Interesses. Und es gibt keinerlei Anzeichen, daß sich die Situation in nächster Zeit beruhigen wird. Warum, untersucht der nebenstehende Beitrag. Immer mehr Interesse wird auch Brasilien zuteil: Das Riesenland, das demnächst der Papst besuchen wird, setzt auch wirtschaftlich beachtliche Akzente.

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Die fünf zentralamerikanischen Staaten Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Costa Rica, umfassen ein Gebiet von 441.000 Quadratkilometer (ungefähr die Größe des deutschen Reiches von 1937). 1962 hatte dieses Gebiet elf Millionen, 1980 um die 22 Millionen Einwohner. Seit 20 Jahren existiert eine Art zentralamerikanischer, gemeinsamer Markt. Als kolonialer Fremdkörper wird das immer noch von England verwaltete, am karibischen Meer gelegene Beiice empfunden, das Guatemala für sich beansprucht.

In diesem Gebiet standen sich jahrzehntelang die Interessen Englands und der Vereinigten Staaten gegenüber. US-Besatzungen beziehungsweise von ihnen aufgestellte, hörige Armeen, wie das Unterstützen von Militärregierungen aller Art, kennzeichnen die Entwicklung der letzten 100 Jahre. Lediglich Costa Rica konnte sich aus diesem Zyklus befreien und hat sogar seit 1949 kein Militär mehr; wenn auch auf Grund der Entwicklung in Nicaragua die sogenannte Militärpolizei verstärkt wurde und derzeit ein Machtinstrument in den Händen des Innenministers ist.

Guatemala und Honduras haben heute über 65 Prozent reine Indiobevölkerung, Nicaragua und El Salvador sind stark vermischt, aber auch mit hohem Prozentsatz an reiner Indiobevölkerung, Costa Rica hat dagegen nur ge-

„Die armen Menschen wurden meist nur benützt, um einer anderen .Führungsschicht' zur Herrschaft zu verhelfen” ringfügig reine Indios, die in einer Art Reservation leben.

Costa Rica besitzt einen Mittelstand, einen Bauernstand, der von seinem Ertrag leben kann, kein Großgrundbesitz im übergroßen Ausmaß (mit Ausnahme der Fruchtkompanien) und der soziale Unterschied ist für lateinamerikanische Verhältnisse nicht zu groß. Die pluralistische Demokratie funktioniert ebenfalls erstaunlich gut. Soziale Unruhen bestehen nach Meinung der costarizensischen Politiker erst seit dem im Jahre 1972 eine Botschaft der UdSSR mit weit über 50 Botschaftsangehörigen errichtet wurde.

In den anderen mittelamerikanischen Staaten hingegen wird die Kluft der „Besitzenden und Herrschenden” zu den Indios, Marginados (Stadtrandbewohnern), kleinen Bauern, Land-und Plantagenarbeitern immer tiefer und breiter. Hier liegt die Ursache der immer wiederkehrenden Revolutio-nen.wobei diese armen Menschen meist nur benützt wurden, um einer anderen „Führungsschicht” zur Herrschaft zu verhelfen. Für diese, als „Revolutionäre” ausgenützte Menschen ändert sich für ihr Leben dann meistens gar nichts.

Wo liegen nun die Ursachen für diese sich immer wiederholenden menschlichen Tragödien heutiger Revolutionen?

Vor allem doch wohl im Verlust einer Verantwortung und der Liebe für den Nächsten. Weiters im Fehlen einer echten Kommunikation zwischen den beiden sich feindlich gegenüberstehenden Volksschichten, wie im tiefen Mißtrauen von denen, die dieser Macht und dem Besitz ausgeliefert sind.

Zwischen dem von Europa importierten Denken im Sinne unserer „Wettbewerbsgesellschaft” und den noch tief in der indianischen Bevölkerung verwurzelten Vorstellungen einer Kooperationsgesellschaft, wie sie im Inka, -Maya-Reich und im Jesuitenstaat von Paraguay verwirklicht waren, liegen Welten.

Hier nun Brücken zu schlagen, miteinander wirklich in ein Gespräch zu kommen, sich vor allem der Verantwortung für Besitz und Macht wieder bewußt zu werden, jedweder Waffengewalt, sei sie von oben oder von unten, zu entsagen, wurde von Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch im Januar 1979 in Puebla-Mexiko als die vordringlichste Aufgabe der Kirche bezeichnet.

Der Kirche gehören aber auch alle Laien an, somit ist dieser Apell an alle Christen gerichtet, zu denen sich auch die Besitzenden und Herrschenden rechnen. Es liegt an ihnen, den ersten Schritt hier zu tun und aus eigener Kraft den Weg zu finden, - ohne Einmischung von Außen, - diesem leidgewohnten und tiefgläubigen Volk die brüderliche christliche Hand zu reichen. Nur in so einer Haltung liegt die friedliche Zukunft dieses Kontinents. Bis dahin wird aber wohl noch viel Leid erduldet werden müssen.

Die entscheidende Wende in der Politik der Vereinigten Staaten in Mittelamerika, brachte der Kampf und Sieg der sandinistischen Revolution in Nicaragua, der ohne das Fallenlassen der „Dynastie Somoza” und ihrer Nationalgarde durch die USA kaum möglich gewesen wäre.

Die USA konnten es sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit nicht mehr leisten, ein System zu unterstützen, das eindeutig die Ausbeutung und Bereicherung durch die herrschende Familie und ihre Clans zum Inhalt hatte. Haben aber die USA wirklich begriffen, um was es letzten Endes in Mittelamerika geht?

Die Entwicklung in Guatemala und die Vorfälle in El Salvador zeigen, daß in Washington der Prozeß einer klaren Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen ist. Die Interessen verschiedener Gruppen und Personen scheinen immer wieder gute Ansätze zu verhindern, so daß nach wie vor Verwirrung über die wirklichen Absichten und Vorstellungen der USA herrschen.

In El Salvador sind es die sogenannten 14 oder heute vielleicht mehr Familien, die über 90 Prozent des Grundbesitzes verfügen und ihr Lobby in den USA haben. In diesem dichtbevölkerten Staat Zentralamerikas, gibt es auf der anderen Seite praktisch nur Land-und Industriearbeiter und keinen Mittelstand. Es wird hier erst dann Ruhe einkehren, wenn echte Sozialreformen durchgeführt werden und die Bevölkerung Vertrauen in eine Regierung gewinnt.

In Guatemala sind es die unglaublichen Grundstücksspekulationen der Oberschicht, durch die den Indios immer mehr und mehr ungerechtfertigt Boden weggenommen wird und die durch ihre radikalen Unterdrückungsmaßnahmen diese armen Menschen dafür bereit machen, radikalen Gruppen und Terroristen leicht anheim zu fallen. Terror und Gegenterror sind das tägliche Bild in den Straßen der Haupt-

„Die Revolution, wie die heutige Entwicklung in Nicaragua ist ein Fanal, auf das die Länder in Mittelamerika blicken”

Stadt, wie in den weiten Bergen und Wäldern des Landes. Eine Schraube der Eskalation, die nur durch eine grundsätzliche Änderung im Verhalten der Regierenden und wirtschaftlich Starken gegenüber diesen wehrlosen, verängstigten Menschen, geändert werden kann.

Die Revolution, wie die heutige Entwicklung in Nicaragua ist ein Fanal, auf das diese Länder blicken. Hier hofft man auf ein lateinamerikanisches Beispiel, auf einen Ausweg aus dieser bisher aussichtslosen Situation, wo sich die Privilegierten und die Nichtprivilegierten feindlich bis haßerfüllt gegenüberstellen.

Nicaragua ist ein zutiefst christliches Land, vielleicht in Europa mit Polen vergleichbar. Es gibt keine Kluft zwischen kirchlicher Hierarchie und Volk, im Gegenteil. Bischof und Volk haben gemeinsam genauso Anteil an der Befreiung wie die Guerilleros der Sandini-sten.

Man kämpft gegen die Ausbeutung des Menschen durch anonymes oder staatliches Kapital. Es sind darin sicher auch Ansätze einer auf die eigene Vergangenheit bezogenen, neuen „indioamerikanischen Gesellschaftsform” enthalten, die sich sowohl im Sozialismus eigener Art als auch in neuen Formen kirchlichen und religiösen Lebens auszudrücken beginnt.

(Der Autor ist Geschäftsführer des Europäischen Arbeitskreises für Erwachsenenbildung in der Dritten Welt)

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