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Ein Buch reizt den Kreml

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Ein in Jugoslawien erschienenes Buch war der Anlaß heftiger Vorwürfe des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow während des kurz zurückliegenden Besuches der jugoslawischen Ministerpräsidentin Milka Pla-ninc in Moskau. Parteichef Gorbatschow verurteilte den zweiten Band der „Moskauer Jahre” des ehemaligen jugoslawischen Botschafters im Kreml, Veljko Micu-novic, als „antisowjetisch und beleidigend”. Pauschal bezichtigte Gorbatschow Belgrad einer antisowjetischen Politik. In einem Aufwaschen soll der neue Herr im Kreml auch die Schreibweise der jugoslawischen Presse heftig kritisiert und Abhilfe gefordert haben.

Veljko Micunovic, der von 1956 bis 1958 und ein zweites Mal von 1969 bis 1971 Jugoslawien als Botschafter beim Kreml vertreten hat, hat mit seinen Büchern offenbar eine ganz empfindliche Stelle des Kreml getroffen. Bereits der erste Band seiner ,.Moskauer Erinnerungen”, der 1979 erschienen ist, war ein politischer Bestseller. Der zweite, erst jetzt nach dem Tode des Autors erschienene Band, ist schon nach wenigen Tagen in den Belgrader Buchhandlungen vergriffen, und eine weitere Auflage ist angekündigt.

Ob es dazu kommt, bleibt offen. Bereits der Ausgabe des zweiten Bandes sind Schwierigkeiten vorausgegangen, und der Umfang soll von ursprünglich vorgesehenen 400 Seiten auf 200 Seiten geschrumpft sein, die noch dazu mit großer Verspätung publiziert wurden. Aber auch so ist die Aussage des Altkommunisten Veljko Micunovic sensationell: Er bezichtigt die Sowjetunion des Hegemoniestrebens über alle sozialistischen Länder und behauptet, mit der Breschnjew-Doktrin sollten der Balkan, das Mittelmeer und Afrika unterjocht werden. Da liegt Jugoslawien schon geographisch quer.

Micunovic hegt keinerlei Illusion über die imperialistische Machtpolitik der Sowjetunion, die sich als Führungsmacht des Sozialismus ausgibt, und unter dem Vorwand des Schutzes der sozialistischen Errungenschaften auch vor militärischen Aktionen gegen sozialistische Länder nicht zurückschreckt.

Die erfolgreiche Niederschlagung des Aufstandes in der DDR 1953, des Aufstandes in Ungarn 1956, aber noch mehr der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Armeen in der Tschechoslowakei 1968 hat nach Meinung Micuno-vics den Kreml in seiner aggressiven Politik nur bestärkt: „Die sowjetische Führung hat sich in ihrer Einschätzung, daß der Einmarsch in der Tschechoslowakei ihren Beziehungen zum Westen und den blockfreien Staaten keinen Schaden zufügen werde, nicht getäuscht”, schreibt der Autor.

Umso schwieriger sei seither die Lage der Ostblockstaaten geworden, die an der Aktion gegen das Dubcek-Regime teilgenommen haben, da sie dadurch den Sowjets das Recht für solche Schritte für alle Zukunft eingeräumt hätten.

Schwierig ist aber auch die Lage der sozialistischen Staaten geworden, die sich dem sowjetischen Anspruch widersetzen: allen voran Jugoslawien, aber auch Rumänien und Albanien. Micunovic schildert sehr plastisch, wie der sowjetische Parteichef Breschnjew während seines Besuches 1971 in Belgrad aufgetreten ist. Im Palais der Föderation hielt Breschnjew der versammelten jugoslawischen Führung einen zweieinhalbstündigen langen Monolog, wobei er immer wieder mit der Faust auf den Tisch schlug und mit sich überschlagender Stimme rief, Lenin und er seien der gleichen Meinung.

Auch bei dieser Gelegenheit wurde klar, daß die Sowjets um jeden Preis an Einfluß in Jugoslawien gewinnen wollten, und sie forderten von Tito zumindest die Büdung von sowjetisch-jugoslawischen Freundschaftsgesellschaften: „In Wirklichkeit handelte es sich um den Versuch der Bildung einer prosowjetischen Organisation in Jugoslawien, die parallel zur KP Jugoslawiens arbeiten sollte”, notiert der Autor.

Doppelgleisige Politik

Bekanntlich ist nur wenige Jahre später die Gründung einer kommunistischen Oppositionspartei in Jugoslawien gescheitert, die von prosowjetischen jugoslawischen Emigranten ins Leben gerufen worden war. Die Einflußreichsten von ihnen lebten in der UdSSR. Wie die Prozesse gegen Festgenommene später in Jugoslawien erwiesen haben, wurden sie auch von der UdSSR finanziert.

„Die sowjetische Politik gegenüber Belgrad war doppelgleisig”, stellt Micunovic fest. Daß Moskau den jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus lächerlich machen wollte, vermerkt er ebenso bitter wie den Wunsch Moskaus, Jugoslawien solle als Vollmitglied zum östlichen RGW beitreten, um dort so zu arbeiten wie alle anderen. „Unsere Systeme sind verschieden”, seufzt Micunovic.

Andererseits zeigten sich die Sowjets bei Waffenlieferungen besonders entgegenkommend, um die jugoslawische Volksarmee in Abhängigkeit zu halten. Man kann sich vorstellen, wie empört die Sowjets auf den Befehl Titos reagierten, eine eigene Waffenindustrie aufzubauen, um von Waffeneinfuhren möglichst unabhängig zu werden.

Tito hatte 1968 klar erkannt, daß die Unabhängigkeit von der Bereitschaft abhängt, diese um jeden Preis zu verteidigen. Daß der Preis für Jugoslawien hoch war und ist, zeigen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die nicht zuletzt den ungeheuren Lasten für Rüstungsausgaben zugeschrieben werden können. „Die sowjetische Regierung war während der tschechoslowakischen Krise viel stärker von der Blok-kierung der jugoslawischen Flugplätze durch die Volksarmee beeindruckt als von Resolutionen der Partei und der Regierung”, stellt Micunovic sachlich fest.

Sartre dankte Micunovic

Die Bücher Micunovics haben nicht nur die Öffentlichkeit in Jugoslawien beeindruckt, auch weltbekannte Schriftsteller. So bedankte sich seinerzeit der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, „daß er ihm die Augen geöffnet habe, ihm, der sich eingebildet hatte, vieles über die Sowjetunion zu wissen”. Ein sowjetischer Historiker sandte einen Brief an Micunovic, in dem er mitteilte, daß er die Arbeit an seinem Buch unterbrochen habe, um zuerst seines zu lesen.

Wie das Buch in die Sowjetunion gelangt ist, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Aber jugoslawische Zeitschriften haben damals festgestellt, daß Matrosen sowjetischer Schiffe in Rijeka, Dubrov-nik und anderen Hafenstädten alle Bücher Micunovics aufgekauft haben.

Die Buchführung im Kreml scheint präzis und das Gedächtnis der Kremlchefs unbestechlich, wenn es um das Ansehen der Sowjetunion und ihrer Politik geht. Die Attacke Gorbatschows gegen die jugoslawische Ministerpräsidentin Milka Planinc zeigt aber auch, daß die Ziele der sowjetischen Außenpolitik unverändert sind.

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