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Ein „christlich-patriotisches Bürgerfest“

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Irgendwie ähnelt die Situation der Aufklärung des Kennedy-Mordes: Über den Anschluß Österreichs an Deutschland im März 1938 und die unmittelbar vorangehende Zeit ist ungeheuer viel Offizielles gesagt worden, ohne daß damit alle Vorgänge erhellt oder befriedigend analysiert worden wären. In unserem aktuellen Beitrag angesichts der Wiederkehr des Anschlußtages geht Fritz Rebhann den kulturhistorischen Ursachen des März 1938 nach, wie sie vor allem in Wien gegeben waren.

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Irgendwie ähnelt die Situation der Aufklärung des Kennedy-Mordes: Über den Anschluß Österreichs an Deutschland im März 1938 und die unmittelbar vorangehende Zeit ist ungeheuer viel Offizielles gesagt worden, ohne daß damit alle Vorgänge erhellt oder befriedigend analysiert worden wären. In unserem aktuellen Beitrag angesichts der Wiederkehr des Anschlußtages geht Fritz Rebhann den kulturhistorischen Ursachen des März 1938 nach, wie sie vor allem in Wien gegeben waren.

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Das Jahr 1937 wird im heutigen Sprachgebrauch als das letzte der 1. Republik Österreich bezeichnet. Die Nationalsozialisten nannten es das letzte Jahr der „Systemzeit vor dem Umbruch oder Anschluß, also vor der Machtübernahme und der Heimkehr der Ostmark bzw. Donau-und Alpengaue ins Reich!“ Jedenfalls nahm die Politik der europäischen Mächte 1937 eine für diesen Staat derart ungünstige Entwicklung, daß die inneren Wechselfälle für sein künftiges Schicksal nahezu bedeutungslos wurden. Wien war seit 1934 kein eigenes Bundesland mehr, sondern die einzige bundesunmittelbare Stadt Österreichs. Ein Vizekanzler außer Dienst und ehemaliger Bundesminister sowie Funktionär der Vaterländischen Front, dem später auch die Wiener Landesleitung übertragen wurde, hatte am 13. Februar 1934 die Stellung eines Bundeskommissars im Wiener Rathaus angetreten. Am 31. März 1934 wurde von dem nämlichen Dr. Richard Schmitz eine Stadtordnung erlassen und er selbst am 6. April vom Bundeskanzler zum Bürgermeister ernannt. Schmitz gehört einer bis heute politisch außerordentlichen tätigen Wiener Familie an. Er wird von Zeitgenossen als eine schwer zugängliche, strenge Persönlichkeit geschildert, deren Wissen und Fleiß unbestritten sind. Mit Ausnahme des von ihm sehr geförderten Wiener Volks-biidungswerkea zeigte er für kulturelle Belange nur dann Interesse, wenn sie seinen politischen Absichten oder der katholischen Glaubensverbreitung förderlich waren. Die Geistigkeit des 1934 verstorbenen Polyhistors Richard von Kralik dürfte ihm richtunggebend gewesen sein: „Eine durch die Vorherrschaft des Religiösen charakterisierte Synthese von Christentum, antiker Kultur und Germanentum, sodann warmer österreichischer Patriotismus und Universalismus. Das alte Österreich als Fortsetzung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und das heutige Österreich als Zelle einer neuen großen Aufgabe des österrei-chertums für Deutschland und die Welt.“

Das also war zu einer Art Leitbild für das Regime Schmitz in Wien geworden! Unter seiner Amtszeit wurde der jüdische Anteil am Wiener Kulturleben rückläufig, die Unterhaltungsbranche, in der die Nationalsozialisten immer wieder nach „semitischen Umtrieben“ Ausschau hielten, hatte bis 1937 stark an Bedeutung verloren. Während der Spielzeit 1934/35 waren noch 92 Operetten und Revuen in Wien aufgeführt worden, 1936/37 nur noch 35. Die Filmproduktion und der Verleih wurden zwar fühlbar von Deutschland aus kontrolliert, Erziehungsarbeit und künstlerische Leistung jedoch von vaterländischer Hand behütet, die auch den Kulturkonsum der Massen über diverse Kunststellen zu dirigieren suchte.

Kommende Ereignisse warfen ihre Schatten voraus. Während sich deutsche Theoretiker des Katholizismus im Refugium Wien sammelten, kehrten Max Reinhardt und Stephan Zweig als erste der Donaumetropole den Rücken. Zu diesem Schritt hatte sie ihre Einsicht in die Entwicklung der Dinge, die von vielen Lyrikern und Erzählern unabhängig von deren Herkunft vorausgefühlt wurde, bewogen. Die 1938 einsetzende, allgemeine Emigration der kulturellen Spitzenkräfte, die Reinhardt und Zweig nachfolgten, war vielleicht die schwerste Hypothek, mit der die Re-organisatoren der Wiener Kultur in der NS-Zeit belastet sein sollten.Denn auch das Einordnen der 1938 zurückgebliebenen Schriftstellerschar österreichischer Geistesherkunft wurde zum Provisorium. Nur bei einer einzigen, wirklich großen Dichterpersönlichkeit dieser Gruppe gelang den Nationalsozialisten fast die erstrebte Dauerverbindung. Von ihm hatte das Amtsblatt der Stadt Wien mit Erscheinungsdatum vom 12. März 1938 noch berichten können: „Die Landessachwalterschaft Wiens des VF-Werkes „Neues Leben“ veranstaltete gemeinsam mit der Hochschülerschaft Österreichs, der Kernstock-Gesellschaft und dem Verband katholischer deutscher Schriftsteller eine Eigenvorlesung von Josef Weinheber, die am 15. März stattfindet. Einleitende Worte spricht der Volksbildungsreferent Dr. Hans Meiringer.“

Die Rathausverwaltung der „Systemzeit“ zeigte sich von der geschilderten Situation nicht sonderlich berührt. Man kontrollierte die Durchführung des neuen Stadtgesetzes über die Schulbehördenorganisation, erprobte die Zensur auf dem Gebiete des Lichtspielwesens und veranstaltete allerlei Ehrungen für Hausge-hilfen, Salvatormedaillenempfänger und kinderreiche Mütter, die ein Bürgermeisterbild und ein Lebensmittelpaket erhielten.

Um die Weiterbildung der Schulentlassenen und Erwachsenen kümmerten sich damals mehrere private Vereinigungen. Der Wiener Volksbildungsverein besaß Volkshochschulen im 5., 10., 13., 18. und 19. Bezirk. Das Volksbildungshaus Urania gründete die beiden Arbeitervolkshochschulen „Favoritner Urania“ und „Flo-ridsdorfer Urania“ sowie die „Urania Volkshochschule Lainz-Speisin%“. Die Volkshochschule „Wien-Volksheim“ mit ihrem Schwerpunkt in Ottakring und die Vokshochschule Wien-Alser-grund verstärkten die lehrreiche Aktivität, die noch von Volksbildungseinrichtungen der katholischen, evangelischen und jüdischen Glaubensgemeinschaften und durch die Wiener Volksbüchereien ergänzt wurde.

Im Juli 1935 hatte der Bund die Vollziehung hinsichtlich der in Wien bestehenden volksbildnerischen Anstalten und Einrichtungen, deren Tätigkeit sich auf Wien erstreckte, der Stadtverwaltung übertragen. Ein diesbezügliches Stadtgesetz folgte fast ein Jahr darauf, womit die Zuständigkeit eines neugeschaffenen Volksbildungsamts gegeben war. Das von ihm ins Leben gerufene Wiener Bildungswerk umfaßte die Volksbildungshäuser, die Volkshochschulen, die Aktionen zur Weiterbildung der arbeitslosen Jugend. Aber dies war nicht alles. Die damalige Gemeindeführung hatte sich neben den Straßenbauvorhaben die „Linderung der Wiener Seelsorgenot“ zum Aufgabengebiet erkoren und in diesem Zusammenhang den Kirchenbau gefördert. So wurden die für den kulturellen Zeitausdruck nicht unbedeutenden Vorhaben, wie die Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche, die Pfarrkirche zur Königin des Friedens, die Kaiser-Karl-Gedächtniskirche u. a., in Angriff genommen. In mehreren Fällen sprach der Volksmund einfach von Holzmeister-Kirchen, weil der international anerkannte Architekt Clemens Holzmeister wieder eine aufsehenerregende Lösung der Raumfrage unternahm.

Die gemeinsame Fremdenverkehrskommission von Wien und Niederösterreich war von Dr. Schmitz aufgelöst worden, und die Messe AG hatte das Wiener Erbe dieser Verwaltungsgemeinschaft zu verdauen. Bei ihr wurde die „Fremden-verkehrsstelle der Stadt Wien“ geschaffen, die alsbald gegen den rapiden Rückgang des Inländerreiseverkehrs au Felde zog. Der Verein „Wiener Festausschuß“, der sich mit den „Wiener Festwochen“ und dem „Fasching in Wien“ befaßte, erhielt etwas finanzielle Rückendeckung. Auch das „christlich-patriotische Bürgerfest“, worunter der Ball der Stadt Wien zwischen 1890 und 1914 verstanden worden war, ging ab 5. Februar 1935 jährlich wieder in Szene.

Die Situation der bildenden Künstler Wiens charakterisierte folgendes Zitat aus einem magistratischen Rechenschaftsbericht im Februar 1937: „Nach dem Amtsantritt des Bürgermeisters Richard Schmitz waren die Augen der Künstlerschaft hilfesuchend und erwartungsvoll auf ihn gerichtet. Die Not der Künstlerschaft war ins Unerträgliche gestiegen, die private Kunstförderung in der verarmten Stadt auf einen Bruchteil gesunken, eine auf Sport und andere flüchtigere Lebenswerte gerichtete Erziehung hatte das Ihre getan, den größten Teil der Bevölkerung der bildenden Kunst zu entfremden.

Dieser großen Not und Erwartung sah sich nun Bürgermeister Schmitz, voll bestem und ehrlichem Willen zu helfen, mit großem Interesse für Kunst, aber mit kleinen und beschränkten Mitteln gegenüber. Es galt, diese kleinen Mittel aufs beste zu nützen und neue Wege zur Belebung des Kunstschaffens zu finden. Ein Kunstbeirat unter dem Vorsitz des 1. Vizebürgermeisters Fritz Lahr steht dem Bürgermeister helfend und beratend zur Seite.“

Wer war dieser mit Kunstfragen befaßte Fritz Lahr, zu dem Doktor Schmitz kaum eine persönliche Beziehung finden konnte und mit dem er deshalb gerne nur mittels Dienstzetteln verkehrte? Major a. D. Fritz Lahr, von eher kleiner Statur, aber mit einem sehr ansprechenden Gesicht galt als Exponent der aufgelösten Heimwehren. Der Posten des 1. Vizebürgermeisters war ihm 1934 mit Rücksicht auf den Anteil, den diese Formation an den Februarkämpfen hatte, zugefallen. Erst die zweite Vizebürgermeisterstelle wurde damals einem ehemaligen Christlichsozialen überantwortet. Lahr und sein Freundeskreis standen dem Wiener Heimwehrführer Vizekanzler a. D. Major Emil Fey nahe. Lahr teilte das Schicksal des Genannten am 1. 10. 1936, ohne seine Funktion im Rathaus einzubüßen. Mit diesem Datum meldete die Pressestelle des Bundesführers des österreichischen Heimatschutzes über eine Führertagung: „Der Ausschluß des Major Fey erscheint allen anwesenden Führern als völlig gerechtfertigt. Ebenso wird der Ausschluß des Vizebürgermeisters von Wien, Major a. D. Lahr, aus dem Heimatschutz gebilligt, da dessen vollständiges Versagen auf seinem Posten als Vizebürgermeister von Wien bereits wiederholt augenfällig in Erscheinung getreten ist. Mein Befehl lautet daher: Unverzüglich jede wie immer geartete Verbindung zu Fey und Lahr abzubrechen, schärfstens gegen alle Umtriebe der beiden Genannten oder ihrer Drahtzieher aufzutreten. Ernst Rüdiger Starhemberg e. h.“ Lahrs wiederholte Versuche als Lyriker waren damit wohl nicht gemeint!

Die Kunstförderung der Gemeinde Wien knapp vor 1938 konzentrierte sich auf meist religiöse Hauszeichen für Familien-Asyle, Assanierungsbauten und sogenannte Gartenstädte, ferner auf die künstlerische Ausgestaltung sakraler Bauwerke, auf Straßenzeichen und Markierungssteine am Stadtrand. Die neue Höhenstraße und das neue Kahlenbergrestaurant gaben Gelegenheit zu künstlerischem Schmuck, wobei auch jener Platz für Türkenzeiterinnerungen vorbereitet worden ist, den dann der bekannte „Perlen“-Ausspruch Adolf Hitlers zierte. Hiezu kamen einige Bildankäufe des Historischen Museums, darunter zeitgenössische Porträts und Stadtansichten. Für den Steinernen Saal im Rathaus wurde ein Gobelin nach dem Entwurf von Andre und Kosak hergestellt, auf dem die „Huldigung der Stände Wiens, 1. Mai 1934“, vor Mik-las, Schmitz, Dollfuß und anderen bekannten Teilnehmern festzuhalten versucht wurde. Bei allen Ankäufen und Aufträgen handelte es sich um gegenständliche Darstellungen, die sich vom Stil der Periode nach 1938 durch Bindung an frühere Kunstrichtungen Wiens sowie durch Zartheit im Ausdruck unterscheiden.

Wenngleich niemals zur Kompetenz der Stadtverwaltung gehörig, muß hier doch das Wiener Heldendenkmal als größtes künstlerisch gestaltetes Bauwerk dieser Epoche Erwähnung finden. 1934 war das Äußere Burgtor von Rudolf Wondracek zu dieser Weihestätte umgestaltet und durch Betonschnitte von H. Dim-mel und L. Schmid geschmückt worden. Im Winter 1937/38 stand das Denkmal für die Übernahme durch die österreichische Heeresverwaltung bereit, während ein im Innern des Hauses tätiger Künstler nationalsozialistische Geheimzeichen einzugravieren suchte.

Jede Silvesterzeit gibt Anlaß zu Erinnerungen und Ausblicken: So konnte die Wiener Stadtverwaltung zum Jahresschluß 1937 das Auslaufen ihres ersten kleinen Investitionsprogramms registrieren, desgleichen die mäßigen Jahressubventionen für Kunst, Wissenschaft, Bildung und Sportförderung, ferner den Ideenwettbewerb für das erweiterte Ausstellungsgelände im Prater, der jetzt in städtisches Eigentum übergehen soll, den Rechnungseingang für die beendete Hygiene-Ausstellung im Messepalast und den Wiener Kostenanteil an der österreichischen Exposition bei der Pariser Weltausstellung. Das Fremdenverkehrsergebnis

1937 wird mit vorsichtiger Befriedigung vermerkt, obwohl die Zahl der Wien-Besucher aus der CSR, der Schweiz und aus Italien gesunken ist. Aber die deutschen Frequenzen sind beträchtlich gestiegen. Die Dichter Ernst Scheibelreiter, Rudolf orte 1 Alma Holgersen und Georg Karl Herrmann warten den Dramatikerpreis der österreichischen Kunststelle und der Zeitschrift „Die Pause“, den sie von einer Jury unter Vorsitz Max Mells erhalten sollen. Vizebürgermeister Fritz Lahr und Mirko Jelusich bereiten ihre Lesungen im Kleinen Festsaal der Universität vor, das Herrenkomitee für den am 3. Februar stattfindenden Ball der Stadt Wien wird in 11 Tagen zu seiner ersten Sitzung zusammentreten.

In den Berliner Amtsräumen des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht verarbeiten währenddessen die Stabsoffiziere das Ergebnis der Sitzung vom 5. November 1937 beim Führer und Reichskanzler hinsichtlich einer Niederwerfung der Tschechoslowakei und Österreichs. Unter der Rubrik SRC/24-5/C g. Kdos wird dort die Operation Otto vorbereitet, bei deren modifizierter Abwicklung Adolf Hitler am 11. März

1938 als Operationsaufgabe anordnen wird: „Das erste Ziel der Armee ist die rasche Besetzung Wiens.“

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