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Ein cigarristischer Lebens- und Romanentwurf

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Die Zigarre stirbt eines natürlichen Todes, sofern der geübte Cigarier das letzte Drittel weise weglegt. Hermann Burger, Verfasser des auf vier Bände angelegten cigarristischen Romans „Brenner”, konnte mit seinem Leben nicht so umgehen, wie er es mit den geliebten Stumpen getan hätte. Er hat seiner literarischen Prosamer-Exi-stenz ein Ende gesetzt; ob wirklich „vorzeitig”, wie es idiomatisch heißt, muß dahingestellt bleiben. Möglicherweise sah er den Zeitpunkt des letzten Drittels für gekommen. Jedenfalls ist die Tabak-Epopöe Fragment geblieben. Aus dem Nachlaß Burgers hat der Suhrkamp Verlag das Manuskript des zweiten Bandes zu „Brenner” erworben und nun vorgelegt. Dem üblichen Inhalt einer Zigarrenkiste entsprechend, sollte auch diese Lieferung Burgers 25 Kapitel enthalten, sieben hat er im Kantonsspital Baden offenbar noch geschrieben.

Gedenken kann man des verschwundenen Artisten mit Nachsicht, für sein Kunstwerk gibt es jedoch keinen urteilsmildernden Posthumi-tätsbonus. Das hat „Menzenmang”, so der folgerichtige Titel der Fortsetzung, gar nicht nötig, denn das Fragment ist weit über das Stadium des Konvoluts hinaus, auch wenn Hermann Arbogast Brenner, das kaum kaschierte alter ego Burgers und der nach Zeitblomschem Vorbild angeblich dilettierende Erzähler, wiederein-mal versichert, sein Sortiment entspreche den Möglichkeiten „eines von

Provisorium zu Provisorium taumelnden Moribundus”.

Um eine vorläufige Fassung handelt es sich zweifellos, doch ist sie erstaunlich ausgearbeitet; Burger hätte wohl noch da und dort gefeilt, einzelne Teile mit ventriloquistischer Eleganz weiter ausgeführt und einige Volten mehr geschlagen. Nicht ganz zustimmen kann ich aber dem Klappentext, der meint, Burger würde aufgrund seiner „existentiellen Wahrheiten” und der „Verdüsterungen eines Lebensmüden alle ästhetischen Überlegungen an den Rand drängen”. Das Kompositionsprinzip des Cigariers ist klar erkennbar und konsequent durchgehalten.

Medizinische Sprachartistik

So treffen wir den invaliden „Skri-bifax” in der Heilanstalt Friedmatt wieder, für die er am Schluß des ersten Teils schon die Koffer gepackt hatte. Auch wenn es eine „Taktlosigkeit” sei, „vitale Naturen im Ernst des Lebensgenusses zu stören”, so müsse er doch für „ein paar Cigarrenlängen” von seinen „gesammelten Leiden” reden. Dies tut er dann auch über fünf Kapitel lang. Da nimmt er in der Tat manchmal keine Rücksicht mehr auf Lesbarkeit, so sehr versteift er sich auf medizinische Sprachartistik. Ein Beispiel: „Und was sollen wir (...) von dem naturheilkundlich-paranscht-schattenmedizinisch-Schönbergsch-atonalen Folterkammerkonzert halten, daß man aufgrund einer neueren Mo-noaminhypothese der trizyklisch len-taminen Neurovegetativleptika, welche für supraventikuläre Tachykardien im Sinne parapomenalesker Hauptnebenwirkungen berüchtigt sind, annimmt, daß der präsynaptische Speicher durch eine längere emotionale Belastung dergestalt entleert wird, daß die Erregungsübertragung von Synapse zu Synapse nur noch in einem armenhäuslerischen

Maße stattfinden kann” und so weiter. Was soll man von einer solchen Prosa halten? Ist sie eine Zumutung, und falls ja, sind solche Passagen künstlerisch notwendig?

Ich bin der Ansicht, daß beides zutrifft. Bei Hermann Burger können wir mittlerweile von einem gigantischen Gesamtkrankheitskunstwerk sprechen, die Grenzen zwischen Patientenroman und verkappter Autobiographie sind in diesen Fortsetzungsteilen endgültig fließend geworden. Im Anschlu&an die zitierte Passage bezeichnet sie Brenner selber als „unverständlich” und folgert, daß sich der „Omnipatient” genausogut einem Kommunikationsforscher wie einem Psychiater überlassen könnte. Wenig später zeigt er in einer Antidepressiva- und Psychopharmaka-Litanei, daß der Kranke einer reinen Genesungslotterie unterliegt. Wer nun findet -auch hier baut Burger vor -, daß die Notizen Brenners „sachbuchspröden Parergon-Charakter haben”, der muß ja nicht mit dem Autor durch diesen Depressionstunnel hindurchgehen. Der initiierte Burgerleser jedoch, der vom Autor ohnehin einiges gewohnt ist, braucht sich nur die Mühe zu machen, mal in einem Medikamentenwörterbuch nachzusehen, und schon wird deutlieh, daß der ganze medizinische Wortschrott dem Scherbenhaufen in Brenners Seele entspricht.

Im Leben anders entschieden

Brisant wird es da, wo Burger, scheinbar schon aus posthumer Perspektive, sein alter ego letzte Hilferufe schreiben und letzte Wünsche für die Beerdigung äußern läßt. Hier befürchtet man, daß Privates auf peinliche Weise literarisch öffentlich gemacht werden könnte, daß sich Fiktion und Realität plötzlich im Maßstab eins zu eins decken würden. Jedoch, und das ist weder Schonung noch Trost des Lesers, der dahinsiechende Invalide wird zum Rekonvaleszenten, das Krankenzimmer zum „Genesungsatelier”, das cigarristische Collegium vor den versammelten Weißgöttern zur Apotheose der Tabaktherapie. Brenner kann heimkehren nach Menzenmang, zurück in die verschollene Kindheit. Das Fragment endet in der Kirche, der Junge wünscht sich auf die Kanzel, und kein Schuß fällt. Wie es weitergegangen wäre, wissen wir nicht. Professionelles Rauchen und schreibendes Erinnern hätten der Ausweg sein sollen aus Brenners Tunnel, so war es in der Fiktion geplant, im Leben hat sich Burger doch noch anders entschieden.

Eine Zigarre wird zu Asche, sie läßt sich nur einmal rauchen. Zu Asche wird auch der Mensch, dem Burger zufolge kein „Quentchen Glück” auf dieser Erde vergönnt ist. Anders ergeht es den Büchern, sie lassen sich wieder und wieder lesen. So bleiben uns, nach dem Verschwinden Hermann Burgers, seine Bücher. Sie versprechen Leseglück, auch wenn sie vom Tod handeln, über den hinaus der Schriftsteller Sprache hat. Auch „Menzenmang” brilliert mit ingenuö-sen Neologismen, zwischen Wehmut und einer Spur von Heiterkeit wechselnd, und immer wieder fließt der Strom von Burgers Fabulierkunst, wenn der Geist des „Stechlin” und Brenners Zigarrendunst aus den Seiten wehen. Das Buch „Brenner” ist für eingeweihte Cigariers und Con-naisseurs, für Passivraucher ist es gesundheitsgefährdend.

BRENNER. Band 2: Menzenmang (Kapitel 1, 7). Von Hermann Burger. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1992. 134 Seiten, öS 250,-.

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