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Ein Codex mit Widersprüchen

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Zwanzig Jahre sind seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vergangen. Wie hat es sich ausgewirkt? Zum Beispiel im 1983 publizierten neuen Codex Iuris Canonici...

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Zwanzig Jahre sind seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vergangen. Wie hat es sich ausgewirkt? Zum Beispiel im 1983 publizierten neuen Codex Iuris Canonici...

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Wenngleich die Gesetzgebung -auch im Bereich der katholischen Kirche — nicht mehr den Anspruch erhebt, für Jahrhunderte zu gelten, so gehen zweifellos von einem Gesetzbuch wie dem am 25. Jänner 1983 promulgierten Codex Iuris Canonici (CIC/1983) Einflüsse auf das Erscheinungsbild der Kirche für die nächsten Jahrzehnte aus. Umgekehrt lassen sich aus den Aussagen des Gesetzbuches Rückschlüsse auf das Selbstverständnis der Kirche im gegenwärtigen Zeitpunkt ziehen.

Uberblickt man den neuen Codex nach Aufbau und Inhalt, so zeigt sich, daß er zweifellos einen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Codex aus dem Jahre 1917 (CIC/1917) darstellt. Die Kirche sieht sich nunmehr, aufbauend auf den Aussagen des II. Vatikanischen Konzils, als pilgerndes Gottesvolk, in dem nicht mehr (wie früher) das Trennende zwischen Klerikern und Laien im Vordergrund steht. Die Kirche versteht sich jetzt als eine Gemeinschaft von grundsätzlich Gleichen (can. 208), die gemeinsam zum Heilsdienst an den Menschen gerufen sind (can. 211).

Während der CIC/1917 im wesentlichen Klerikerrecht darstelle te, ist der CIC/1983 in wohltuender Weise von einer deutlichen Aufwertung der Rechtsstellung des Laien gekennzeichnet. Nicht nur daß Grundrechte für alle Christgläubigen und nochmals gesondert für die Laien festgelegt werden, an vielen Einzelbestimmungen zeigt sich, daß dem Laien, soweit dies dogmatisch überhaupt möglich ist, weitgehende Rechte aufgrund seiner durch die Taufe bewirkten Gliedschaftsstellung in der Kirche eingeräumt werden.

Dem Gesetzgeber des CIC/1983 ist somit zu bescheinigen, daß er Impulse des II. Vatikanischen Konzils, Richtlinien konziliarer und nachkonziliarer Theologie und Ekklesiologie aufzugreifen und in ein rechtliches Normgefü-ge zu gießen vermochte.

Freilich ist ein umfassendes Gesetzeswerk immer ein Kompro-,miß zwischen verschiedenen Kräften, die auf sein Zustandekommen eingewirkt haben. Dies ist auch beim CIC/1983 zu beobachten, der im Laufe seines mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Entstehens—die Ankündigung einer Neukodifikation des Kirchenrechts erfolgte bekanntlich schon durch Papst Johannes XXIII. am 25. Jänner 1959 beim Gottesdienst in St. Paul vor den Mauern — mitunter durchaus heterogenen Einflüssen ausgesetzt war.

Wenngleich der CIC/1983 in seiner Systematik und seinem normativen Inhalt weitgehend von den „Vorgaben” des Konzils beeinflußt ist, so fällt doch auf der anderen Seite auf, daß er strek-kenweise nicht nur in der Diktion, sondern auch inhaltlich hinter dem Konzil zurückbleibt bzw. daß mitunter die Auswahl der Konzilsaussagen, die in den CIC/ 1983 Eingang gefunden haben, nach Kriterien erfolgt, die einen vom Konzil zumindest so nicht intendierten Sinn ergeben.

So wird etwa die Bezeichnung „Vicarius Christi” (Stellvertreter Christi) vom Konzil gleichermaßen für den Papst wie für die Bischöfe verwendet. In den CIC/1983 hat indes nur die Aussage über den Papst als Vicarius Christi Eingang gefunden (cau. 331), die Parallelaussage in bezug auf die

Bischöfe fehlt.

Gewisse Widersprüchlichkeiten in den einzelnen Partien des CIC/1983 und Unstimmigkeiten zwischen grundsätzlichen Aussagen (Grundrechten) auf der einen und konkreten Einzelnormen auf der anderen Seite sind festzustellen. Hierbei geht es nicht um eine verbale Glättung rechtssprachlicher Unscharfen, sondern um tie-! fer reichende Gegensätze.

So zeigt sich etwa, daß die Aussage des can. 208 über die „fundamentale Gleichheit” aller Christgläubigen und die Einbeziehung aller in den Heilsdienst der Kirche (can. 211) einer nicht in allen Details ausreichend begründbaren Konzentrierung kirchlicher Kompetenz in der Hand der Bischöfe gegenübersteht. Das hat unter anderem dazu geführt, daß wichtige Befugnisse, die bisher (nach dem CIC/1917) nichtbischöflichen Klerikern zukamen, nunmehr ausschließlich auf die Bischöfe übergegangen sind.

Das ökumenische Konzil etwa, dem der höchste Stellenwert als kollegialem Leitungsorgan der Kirche zukommt, hat sich in seiner Zusammensetzung gegenüber dem bisherigen Recht erheblich gewandelt. Hatten bisher neben den Diözesanbischöfen auch die Inhaber bestimmter höherer Kirchenämter (z. B. Abtprimas, Abtpräses einer monastischen Kongregation und die Generaloberen von bestimmten Klerikerorden) von Amts wegen Sitz und Stimme auf dem Konzil, so sind der neuen Rechtslage zufolge ausschließlich Bischöfe (Residential- und Titu-larbischöfe) teilnahmeberechtigt. Von allen übrigen, die namentlich gar nicht mehr genannt werden, heißt es, daß sie zum Konzil gerufen werden können, wobei dann auch ihre Rechtsstellung zu bestimmen ist; d. h. ob sie auch Stimmrecht haben oder nicht, wird erst bei ihrer (eventuellen) Einberufung entschieden.

Damit hat sich der Charakter des ökumenischen Konzils von einer Klerusversammlung — es hatten im Laufe der Kirchengeschichte auch schon Laien Sitz und Stimme — zu einer reinen Bischof sversammlung verengt. Dies scheint weder vom historischen Befund noch von der Sache her ausreichend begründbar, auch nicht von der Aufwertung des Bischofsamtes durch das II. Vatikanum. Ausdem Index des CIC/1983 ist nunmehr auch die Rubrik „ökumenisches Konzil” verschwunden; die Aussagen über das Konzil sind unter der Uberschrift „Papst und Bischofskollegium” zu finden.

Auch bei den auf der Ebene von Teilkirchenverbänden (Provinzi-alkonzil für die Diözesen einer Kirchenprovinz und Plenarkonzil für mehrere Kirchenprovinzen) stattfindenden Konzilien (Synoden) hält der CIC/1983 am Charakter dieser Synoden als Bischof sverSammlungen (diese allein haben entscheidende, alle anderen Teilnehmer nur beratende Stimme) fest. Dies bedeutet zwar keinen Unterschied zum bisherigen Recht des CIC/1917, trägt aber anderseits der im Zuge der nach-konziliaren Entwicklung eingetretenen Bewußtseinsänderung in keiner Weise Rechnung.

Ein bedauerlicher Mißgriff, der erst im letzten Revisionsstadium in den CIC/1983 Eingang gefunden hat, ist im Zusammenhang mit den ansonsten erfreulich „entschärften” Bestimmungen über die konfessionell gemischten Ehen festzustellen. Während der bisherigen (nachkonziliaren) Rechtsentwicklung zufolge bereits alle Strafbestimmungen gegen den katholischen Elternteil wegen Nichteinhaltung der Verpflichtung zu katholischer Taufe und Erziehung der Kinder weggefallen waren, enthält can. 1366 des CIC/1983 wiederum die Möglichkeit einer Bestrafung für Eltern, die die nichtkatholische Taufe oder Erziehung ihrer Kinder veranlassen.

„Anderseits verletzt diese Bestimmung einen rechtsethischen Grundsatz . . .”

Es ist gewiß nicht zu erwarten, daß von dieser „Kann-Bestimmung” übertriebener Gebrauch gemacht wird. Dennoch ist allein das Vorhandensein einer solchen Bestimmung bzw. deren Wiedereinführung angesichts schon aufgehobener Straf normen geeignet, das ökumenische Klima zu belasten.

Bedenklich ist schließlich im neuen kirchlichen Strafrecht die Generalnorm des can. 1399, derzu-folge eine Strafe ohne vorausgehendes Strafgesetz oder vorausgehenden Strafbefehl verhängt werden kann, wenn die besondere Schwere der Rechtsverletzung eine Bestrafung fordert und die Notwendigkeit drängt, Ärgerriissen zuvorzukommen oder sie zu beheben.

Es kann zugegeben werden, daß die praktische Anwendbarkeit dieser Norm gering ist. Die Bedenklichkeit liegt aber vor allem in der Optik: Der kirchliche Gesetzgeber widerspricht damit einerseits einer sich selbst in der Grundrechtskodifikation (can. 221 - 3) gezogenen Schranke, wonach eine Strafe nur nach Maßgabe des Gesetzes verhängt werden kann. Anderseits verletzt diese Bestimmung einen rechtsethischen, jeder rechtsstaatlichen Strafrechtspflege immanenten Grundsatz, der auch in die Europäische Menschenrechtskonvention Eingang gefunden hat: Nulla poena sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz).

Als zumindest befremdend muß in diesem Zusammenhang die von einigen Kommentatoren des neuen Kirchenrechts vorgetragene

Begründung des can. 1399 bezeichnet werden, die auch für die im neuen CIC - entgegen den schon ziemlich ausgereiften Entwürfen — fehlende Verwaltungs-geriphtsbarkeit auf teilkirchlicher Ebene herhalten muß: Die pastorale Zielsetzung der Kirche erfordere nämlich, daß einer raschen und effizienten Durchsetzung von Maßnahmen der kirchlichen Obrigkeit nicht ein an staatlichen Vorbildern ausgerichteter Hemmungsmechanismus entgegengesetzt wird. Dabei sei es freilich im Interesse der kirchlichen Gemeinschaft mitunter nicht zu vermeiden, daß subjektive Rechte des einzelnen verletzt würden. Dies möge dann aber im Zeichen des Kreuzes getragen werden.

Dem Rechtsuchenden, der sich einer, seine subjektiven Rechte nicht ausreichend gewährleistenden Gesetzgebung gegenübersieht, werden solche Argumente indes kaum mit Aussicht auf Verständnis vorgetragen werden können.

Vielleicht wird die Kirche heute nachhaltiger als früher nach ihrer Glaubwürdigkeit befragt. Diese wird auch daran gemessen, wie ernst die Kirche den Christen nimmt, der in der kirchlichen Ordnung Rechtsschutz sucht. Der Satz, wonach das Seelenheil oberstes Gesetz zu sein habe (can. 1752), darf nicht nur abstrakt-unverbindliche Feststellung sein, sondern muß sich an neuralgischen Punkten der kirchlichen Rechtsordnung konkretisieren.

Der Autor ist ordentlicher Professor für Kirchenrecht an der Universität Wien.

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