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Ein Datum — für wen?

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Die Babenberger haben österreichische, ganz und gar rot-weiß-rote Ausgangspunkte gesetzt. An diesem Faktum ist nicht zu rütteln. Ebensowenig aber ist daran zu zweifeln, daß die Tausendjahrfeier ihres erstmaligen Auftretens in Österreich vorwiegend ein blau-gelbes, ein niederösterreichisches, Ereignis zu werden verspricht. Nicht nur, weil die Ausstellung „Tausend Jahre Babenberger in Österreich“ im niederösterreichischen Lilienfeld stattfindet, das sich für Salzburger, ganz zu schweigen von Innsbruckern und Klagen-furtern, nicht gerade als Ziel für einen Sonntagsausflug anbietet. Es ist auch eine große Frage, ob die Bedeutung dessen, was da tausend Jahre zurückliegt, im Westen Österreichs im selben Maße empfunden wird wie im Osten. Und ist im Osten jedem klar, welches Jubiläum da gefeiert wird?

Wieder einmal wird Österreichs Besinnung auf sich selbst an den Besucherzahlen einer Ausstellung gemessen. Kommen im Lauf des Sommers mehr als 200.000 Menschen in die Babenberger-Ausstellung, deren feierliche Eröffnung am 14. Mai stattfindet, werden, so heißt es, die Veranstalter mit ihrem Erfolg zufrieden sein. Der Wissenszuwuchs der Besucher, und erst recht etwaige Vertiefungen österreichischen Geschichtsbewußtseins, können ja leider nicht gemessen — und von solchen Ausstellungen auch kaum erreicht — werden. Vielleicht könnte ein quantitatives Weniger sogar ein qualitatives Mehr bedeuten. Freilich nicht auf der Ebene, auf der die Ausgaben für eine so große Ausstellung gerechtfertigt werden. Und eine große Ausstellung wird es ja fürwahr.

Ihr Titel Ist allerdings • eine Spräch-Schlamperei — und historisch geradezu eine Untertreibung. „Tausend Jahre Babenberger in Österreich“ — das suggeriert ah

Stelle des dürren Datums eines tausend Jahre zurückliegenden Ereignisses einen tausendjährigen Zustand, aber es gab die Babenberger in Österreich schließlich nicht tausend, sondern 270 Jahre lang, nämlich bis zum Aussterben ihres Mannesstammes.

Die „echte“, die „große“ Feder des tausendjährigen Bestehens Österreichs wird es erst in 20 Jahren geben. So lange müssen wir noch auf die tausendste Wiederkehr des Tages warten, an dem der Name Österreich — als Ostarrichi — erstmals in einer Urkunde (zumindest einer noch existierenden) verwendet wurde. Diese Urkunde wird in der Babenberger-Ausstellung übrigens zum ersten Mal in Österreich zu sehen sein. Aber was wir heute unter Österreich verstehen, wurde eher im Jahr 976, also vor genau tausend Jahren, mit der Ernennung des ersten Babenbergers zum Markgrafen durch Kaiser Otto II. geboren, als 20 Jahre später mit der historisch recht unwichtigen Beurkundung einer kaiserlichen Grundschenkung „in der Gegend, die in der Volkssprache Ostarrichi“ hieß.

Die Gegend Ostarrichi gab es nämlich offenbar schon länger. Aber ein politisches Gebilde, das den Namen Österreich verdient oder zumindest zum Kern Österreichs wurde, entstand erstmals durch die Entsendung jenes „marchio Luitpold“, die alles andere war als eine zufällige Episode mit völlig unabsehbaren Folgen.

Ganz im Gegenteil. Die Babenberger nahmen ihre österreichische Aufgabe mit einer Kraft und einem Weitblick in Angriff, hinter denen man die politische Vision vermuten darf. Vielleicht rührt daher ein Teil ihrer noch immer vorhandenen Faszinationskraft.. Otto II. hatte Leopold I. keinen Ruhesitz,, keinen Lohn für bereits geleistete Dienste, sondern die Inangriffnahme einer harten und schwierigen Aufgabe über-

tragen. Um das Land zwischen Erms und Traisen zur vorgeschobenen Grenzmark des damals keine 200 Jahre alten römisch-deutschen Reiches auszubauen, mußten die Ba-benberger dieses Gebiet erst selbst in die Hand bekommen. Wir wissen fast nichts über den inneren Widerstand, auf den Leopold I. stieß, wenig über die Menschen, die hier lebten. Eines der faßbaren Ereignisse ist die Übernahme der Burg Melk von einem Grafen Sizo.

Zwischen dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft und dem Auftreten des ersten Babenbergers finden sich jahrhundertelang kaum lokalhistorische Fixpunkte, ganz zu schweigen von Ansatzpunkten für eine österreichische Geschichtsschreibung. Österreichs Geschichte beginnt mit den Babenlbergern. Ihre schrittweisen Ostwärts-Verlegungen der Residenz, bis schließlich Heinrich Jasomirgott sich in Wien niederließ, ihr schrittweises Kolonisieren Niederösterreichs, das Leopold III. mit sehr großer Berechtigung als seinen Landesheiligen verehrt, weil es ihm wesentliche Keimzellen seiner Identität verdankt, werden heute im Westen Österreichs vielleicht noch nicht immer und überall als jene bedeutenden Ausgangspunkte österreichischer Geschichte erkannt (und anerkannt), die man im Osten Österreichs (vor allem seit der Babenberger-Renaissance der Zwischenkriegs-zeit) darin sieht. Spätestens unter Leopold III., also 120 Jahre nach der Entsendung des ersten Babenbergers nach Österreich, entstand hier jener neue politische Schwerpunkt, ohne den ein Habsburgerreich (und mit ihm alles, worin die österreichische Identität wurzelt), nicht hätte entstehen können.

Die Babenberger-Ausstellung im Zisterzienserstift Lilienfeld, der letzten Babenberger-Gründung, ist also noch nicht die „eigentliche“, die „richtige“ Tausendjahrfeier Öster-

reichs, in einem gewissen Sinn aber doch die legitimere gegenüber allem, was man in zwanzig Jahren in Szene setzen wird, nur deshalb, weil dann eine Urkunde, in der zufällig das Wort „Ostarrichi“ vorkommt, tausend Jahre alt geworden sein wird.

Fragt sich nur, wie fruchtbar der Boden sein wird, den die Botschaft dieser jetzigen Ausstellung im ganze Österreich findet. Und ob nicht manchem das Jubiläum einer Zufallserwähnung in einer Urkunde gerade wegen seiner Unverbindlich-keit sympathischer ist als die Erinnerung an den Ausgangspunkt einer Entwicklung von frappierender Folgerichtigkeit.

Denn mit der Ernennung des Markgrafen wurde auch bereits die Eigenständigkeit des an der Donau entstehenden politischen Gebildes programmiert. Die Marken genossen ein hohes Maß an Autonomie, und Markgrafen standen zwar im Rang unter den Reichsfürsten, hatten aber oft größeres politisches Gewicht. In der weiteren Folge wurde denn auch das Reich selbst zum Objekt der von den Marken aus betriebenen Machtpolitik, eine Entwicklung, die erst 1866 mit der Auseinandersetzung zwischen Österreich, der ehemaligen Ostmark, und dem aus der Mark Brandenburg hervorgegangenen Preußen ihren Endpunkt erreicht

Noch befindet sich die Ausstellung im Aufbau. Es ist schwer abzusehen, welche Wirkung sie entfalten wird. Ob die Besucher die Ankunft der Babenberger als ein österreichisches, ein europäisches Datum — oder als einen niederösterreichischen Nationalfeiertag emnfinden werden. Ob sie österreichisches Geschichts- und Kontinuitätsbewußtsein im selben Maß fördern wird wie niederösterreichisches Selbstbewußtsein. Wip sie auf die Wiener Besucher wirken wird. Wien pflegt eine hypertronhe Erinnerung an seiine römische Vergangenheit und vergißt über seiner zweitausendiSbrisen Kontinuität, daß es die Bedeutung, deren es sich durch Jahrhunderte erfreute, einigen keineswegs vorgegebenen Willensakten. Bahenberper-Tsten. verdankt. Wenn es Epochen gibt, deren Stu-

ddum den Blick für Alternativen Im geschichtlichen Geschehen, für historische „Lostage“ zu schärfen vermag — die der Babenberger ist eine.

Die Ausstellung selbst ist eine der größten und bestvorbereiteten, höchstversicherten und gründlichst bewachten, die es je in Österreich gegeben hat. Die Objekte aufzuzählen oder die Einteilung wiederzugeben, erscheint sinnlos — man muß sie sehen. Daß die Ostarrichi-Urkunde anläßlich dieser Ausstellung zum erstenmal nach Österreich kam, wurde schon erwähnt. Eines der Objekte, der sogenannte Gött-weiger Altmanni-Taustab, kommt sogar aus Leningrad als Leihgabe. Das Pendant zu der in Göttweig aufbewahrten Altmanni-Krümme (dem elfenbeinernen Bischofsstab) muß irgendwann in der Barockzeit auf unbekannten Wegen nach Rußland gelangt sein — ein Göttweiger Pater, der vor zwei Jahren in Ostberlin eine Ausstellung alter Elfenbeinarbeiten besuchte, entdeckte dort durch Zufall das aus Göttweig stammende Stück, das dem Ostberliner Museum von der Leningrader Eremitage und nun auch uns leihweise zur Verfügung gestellt wurde.

Hier sei nur noch erwähnt, daß sich die Ausstellung keineswegs auf Exponate aus babenbergischer Zeit beschränkt. Einen wichtigen Teil nimmt die Darstellung des Babenberger-, .Nachlebens“ ein, das heißt: ihrer Nachwirkungen in späterer Zeit. Was nicht nur willkommener Anlaß war, zahlreiche berühmte Barockdarstellungen, vor allem des niederösterreichischen Landespatrons, nach Lilienfeld zu bringen, sondern auch deutlich machen wird, in welchem Ausmaß die Erinnerung an die Babenberger im Osten Österreichs fortlebt.

Audi und gerade in den vom Haus Habsburg bestimmten Jahrhunderten mag die Erinnerung an den Helligen Leopold und andere Babenberger auch ein Quentchen Heimweh nach einem Herrscher enthalten haben, der sich mit dem Land im direkten Umkreis seiner Residenz stärker identifizierte als irgendeiner jener, die ihm folgten.

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