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Ein Dichter wäre zu entdecken

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In seinem letzten Lebens Jahrzehnt, kurz vor den Feiern zu seinem 90. Geburtstag, wurde Franz N a b 1 wiederentdeckt, der viele Jahre in Graz lebte. Auf den Autor einer Reihe von sechs Romanen, zahlreicher Erzählungen und ausführlicher Lebenserinnerungen hatte Hans Weigel aufmerksam gemacht. Mehrere junge Schriftsteller, von denen einige zur „Grazer Gruppe“ gehörten, begannen sich mit seinem Werk zu beschäftigen, suchten sein Gespräch und wurden von ihm freundschaftlich-kollegial empfangen. — Sein bedeutendster Roman, „Der ödhof“ wurde vom Styria-Verlag neu aufgelegt, der Salzburger Residenz-Verlag gab eine Auswahl von Nabls Erzählungen heraus, zu denen Peter Handke ein schönes, einfühlsames Geleitwort schrieb. Ein bedeutender österreichischer Dichter war wiederentdeckt. Vielleicht geschieht dies auch mit Robert Michel, der bereits 1915 den damals begehrtesten „Kleistpreis“ erhielt, dem 1926 der Preis der Stadt Wien und 1927 der „Adalbert-Stifter-Preis“ für den Roman „Jesus im Böhmerwald“ folgten. 1937 wurde Michel für den Roman „Die Burg der Frauen“ mit dem Tschechoslowakischen Staatspreis ausgezeichnet. Also kein unbekannter Dichter...

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In seinem letzten Lebens Jahrzehnt, kurz vor den Feiern zu seinem 90. Geburtstag, wurde Franz N a b 1 wiederentdeckt, der viele Jahre in Graz lebte. Auf den Autor einer Reihe von sechs Romanen, zahlreicher Erzählungen und ausführlicher Lebenserinnerungen hatte Hans Weigel aufmerksam gemacht. Mehrere junge Schriftsteller, von denen einige zur „Grazer Gruppe“ gehörten, begannen sich mit seinem Werk zu beschäftigen, suchten sein Gespräch und wurden von ihm freundschaftlich-kollegial empfangen. — Sein bedeutendster Roman, „Der ödhof“ wurde vom Styria-Verlag neu aufgelegt, der Salzburger Residenz-Verlag gab eine Auswahl von Nabls Erzählungen heraus, zu denen Peter Handke ein schönes, einfühlsames Geleitwort schrieb. Ein bedeutender österreichischer Dichter war wiederentdeckt. Vielleicht geschieht dies auch mit Robert Michel, der bereits 1915 den damals begehrtesten „Kleistpreis“ erhielt, dem 1926 der Preis der Stadt Wien und 1927 der „Adalbert-Stifter-Preis“ für den Roman „Jesus im Böhmerwald“ folgten. 1937 wurde Michel für den Roman „Die Burg der Frauen“ mit dem Tschechoslowakischen Staatspreis ausgezeichnet. Also kein unbekannter Dichter...

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Robert Michel ist in Chabefice in Böhmen geboren und 1957 in Wien gestorben. Von der Balkankrise zur bosnischen Annexionskrise, vom Ersten Weltkrieg zur Ersten und Zweiten Republik, vom Zweiten Weltkrieg zur Wiederherstellung der Republik und dem Staatsvertrag hat er drei Viertel eines Jahrhunderts durchlebt. Diesem Zeitraum stellte er seine drei „Schaffensperioden“ gegenüber: „Die Zeit bis zur Verheiratung (1903), die Zeit bis zum Tode des Sohnes Adalbert (1925) und die restlichen Jahre“ („Einleitung zur Autobiographie“).

In autobiographischen Aufzeichnungen, die größtenteils unveröffentlicht sind, gibt uns der Autor ein getreues Bild seiner Kindheit, seiner Jugend und der literarischen Anfänge im Wien der Jahrhundertwende. Die Landschaft seiner Kindheit und frühen Jugend war der Böhmerwald, den er in den Romanen „Jesus im Böhmerwald“ (1927), „Die Burg der Frauen“ (1934) und „Die Augen des Waldes“ (1946) literarisch verwertet hat In Prag besuchte Michel das deutsche Gymnasium und die Kadettenschule. Der frühe Tod seines Vaters bestimmte die militärische Karriere, die ihm eine sichere finanzielle Basis in Aussicht stellte. Michel selbst hat diesen Schritt nie bereut, wie aus dem autobiographischen Essay „Aus meiner Werkstatt“ hervorgeht: „Man wüßte außer dem Beruf des Landmannes, des Jägers und Seefahrers keinen anderen zu nennen, der einen so vielfältig mit der Natur verbindet und dabei so mannigfach mit dem Leben verknüpft.“

Im Zuge seiner militärischen Laufbahn kam er früh nach Wien und wurde 1894 durch seinen Freund Leopold von Andrian-Werburg in den Jung-Wiener Litaraturkreis um Hermann Bahr eingeführt. Hier fand er auch in Hugo von Hofmannsthal einen Förderer, der ihm in 'einer schriftstellerischen Tätigkeit stets mit Rat und Hilfe zur Seite stand. „Sie beide (Andrian und Hofmannsthal) lasen meine Tagebuchaufzeichnungen und einige Versuche, und da sie mich daraufhin als einen Dichter ansprachen, war meine Zuversicht sehr gefestigt“ („Aus meiner Werkstatt“).

Das Cafe Griensteidl mit seinem renommierten Literaturkreis zählte auch Michel zu seinen Besuchern und die Jung-Wiener Autoren wurden ihm zwar Anreger zu eigenem Stil und Erlebnis, nicht aber seine Lehrmeister.

Die erste Veröffentlichung Michels im Jahre 1898 in der Wiener Wochenzeitschrift „Die Zeit“, zu deren Herausgebern auch Hermann Bahr zählte, die Erzählung „Osmna-begovic“ verweist schon mit ihrem Titel und ihrer Thematik aui eine andere Welt, als wir sie sonst in der Jung-Wiener Literatur vorfinden. Dieser ersten Begegnung mit der südslawischen Welt entspringen in der Folge wohl die besten Erzählungen, Novellen und Romane des Autors.

Im Herst 1898 wurde nämlich Robert Michel ins foosniseh-herzego-winische Mostar versetzt. „loh war gleich nach dem Übersetzen der Grenze bei Bosnisch-Brod von der Merkwürdigkeit dieser südslawischorientalischen Welt berührt und mein Interesse steigerte sich noch, je weiter ich ins Land hineinkam, je großartiger die Landschaft wurde.“

Der Name des jungen Offiziers der alten k. u. k. Armee ließ im Jahre 1907 aufhorchen, als von ihm ein Band Novellen mit dem Titel „Die Verhüllte“ in den Buchhandlungen auftauchte. Neue Novellenbücher zählten zwar damals nicht zu den Seltenheiten, erstaunlich daran war nur, daß dieses Buch eines bislang völlig unbekannten österreichischen Schriftstellers in dem Berliner S.-Fischer-Verlag herauskam. Von diesem Verlag mit einem Werk aufgenommen zu werden, bildete seinerzeit wohl den Sehnsuchtstraum eines jeden jungen Schreibenden. Samuel Fischer war der Verleger Gerhart Hauptmanns, Thomas Manns, Arthur Schnitzlers, Hermann Hesses und Hugo von Hofmannsthals, und unter einer solchen Schutzmarke ein Buch zu •veröffentlichen, setzte schon den Grundstein des Erfolges. Ein Grund für den Vorzug, der Robert Michel damit zuteil wurde, mag darin liegen, daß er in seinen Erzählungen literarisches Neuland erschlossen hatte. Fast alle spielen in Bosnien und der Herzegowina, dem damaligen Okkupationsgebiet. Doch dies konnte nicht der einzige Grund, für die Annahme der Erzählungen gewesen sein, denn 1909 erschien im gleichen Verlag ein Roman, „Der steinerne Mann“, und dieser spielte nicht im erschlossenen Neuland, sondern in der sudetendeutschen Heimat des Dichters. Auch Michels drittes Buch, die 1911 erschienenen „Geschichten von Insekten“, waren nicht an den Balkan gebunden.

Gerade in diesen eigenartigen, formal außerordentlich knapp gehaltenen Kurzgeschichten gelingt dem Autor die Verbindung seines speziell erzählerisch-beschreibenden Talentes mit einer künstlerischen Intention, die man in Michels Prosa durchwegs vorfinden kann. Der Autor selbst hat seinen Ausgangspunkt, der an Adalbert Stifter und Maurice Maeterlinck erinnert, folgendermaßen dargelegt: „Stellt man etwa ein bedeutsames Ereignis, das auf die Entwicklung von größtem Einfluß zu sein scheint, in Vergleich zu den unmeßbairen und vielfältigen Einwirkungen, die das Leben in jedem Augenblick ausüben kann, so wird man alsbald mißtrauisch und wagt es nicht, zu entscheiden, ob für die Entwicklung am Ende nicht manches scheinbar Geringfügige, etwa das Anschauen eines Baumes oder eines Insektes, vielleicht wichtiger war als Erlebnisse, die sich der Erinnerung tief einzuprägen vermochten.“

Schon 1901 hatte Hugo von Hofmannsthal nach der Lektüre einer Insektengeschichte an Michel geschrieben: ..Was du arbeitest, seht

aus diesem so üppigen Lebensgefühl hervor, aus einer solchen Lebensatmosphäre, daß du wohl von Natur davor bewahrt bist, etwas von der trockenen Häßlichkeit des Metiers zu empfinden.“

Auch Ludwig von Ficker gefielen einige dieser Insektengeschichten.

Schon vor 1911 erschienen aus dieser Sammlung vier Erzählungen in den ersten Nummern der von Ficker gegründeten Zeitschrift „Der Brenner“. Mit Ficker verband Michel eine Lebensfreundschaft von den Jahren seines Innsbruck-Aufenthaltes an. 1900 bis 1909 war Michel hier als Deutschlehrer an der Kadettenschule tätig. Die Beziehungen des Autors zu Innsforuck und zu Fiokers „Brenner“ führten 1913 zu einer öffentlichen Lesung, gemeinsam mit Georg Trakl.

Die Rückkehr ins Land seiner literarischen Anfänge vollzieht sich in den Bänden „Mostar“ (1909) und den „Fahrten in den Reiohslanden“ (1912). Hier versucht Michel in der Zeichnung südslawischer Landschaft sowie der Lebensart ihrer Bewohner den mitteleuropäischen Leser auf diese weithin unbekannten Reichsgebiete aufmerksam zu machen.

1915 gelang Michel mit dem Roman „Die Häuser an der Dza-mija“ ein weiterer schriftstellerischer und verlegerischer Erfolg. Einen Vorabdruck des Romans hat S. Fischer in die Hefte seiner „Neuen Rundschau“ aufgenommen, deren Mitarbeiter er nach strengen Gesichtspunkten auswählte. Im Jahre 1912 war im Deutsch-Öster-reiohisohen Verlag ein zweiter Novellenband, „Das letzte Weinen“, erschienen.

Es soll keine Etikettierung bedeuten, wenn man den Höhepunkt von Michels Schaffen in seinen bosnischen Erzählungen sieht. Für ihn selbst dürfte darin auch der Ansporn bestanden haben, erzählerische Werke in dramatische umzuformen („Mejrima“, 1910 im deutschen Theater in Prag aufgeführt, „Der weiße und der schwarze Beg“, 1930 im Akademietheater in Wien uraufgeführt). Daß ihm jedoch ein Erfolg als Dramatiker weitgehend versagt blieb, zeigen die nur wenigen Aufführungen seiner Stücke und ihre eher negative Bewertung in der damaligen Theaterkritik. Rückblickend rechnet sich Michel selbst zu „jenen zahlreichen Fällen in der Literatur, wo sich Epiker auch für das Drama berufen halten und allen Enttäuschungen zum Trotz sich von diesem Wahn nicht loszumachen vermögen.“

Er verfaßte auch das Libretto „Die geliebte Stimme“ (1928 als Roman im Reclam-Verlag erschienen). Die gleichnamige Oper, vertont von Jaromir Weinberger, wurde immerhin mit nachaltigem Erfolg an der Staatsoper in München aufgeführt. Im letzten veröffentlichten Drama („Der heilige Candidus“, 1919) ver-

arbeitet der Autor ein Erlebnis aus dem Ersten Weltkrieg.

Der Erste Weltkrieg war für Robert Michel ein zwar bitteres, doch für literarische Zwecke durchaus verwertbares Ereignis. Zunächst wurde er ins Kriegsministerium einberufen, dann mit einer Sondermission als militärischer Berater in Galüzien betraut, zuletzt kämpfte er 1917 in der Pasufoiostellung an der italienischen Front. „Es ist selbstverständlich, daß das -Erlebnis des Krieges auf mein Schaffen einen ausschlaggebenden Einfluß geübt hat. In dieser Zeit war es für den Schriftsteller kaum möglich, sich

anderem als dem Ablauf der Ereignisse zu widmen.“ Michel veröffentlichte zahlreiche Kriegsberichte in der „österreichischen Rundschau“ und in der „Vossischen Zeitung“. Außerdem übernahm er auf Anregung des Fischer-Verlages, der eine einträgliche publizistische Chance witterte, die Redaktion der österreichischen Kriegsberichterstattung. In Zusammenarbeit mit dem Verlag brachte Michel seine „Briefe eines Hauptmanns an seinen Sohn“ und die „Briefe eines Landsturmileutnants an Frauen“ 1916/17 heraus.

1918 sagte sich Michel vom Militärberuf los, und er übte — jeder sicheren finanziellen Basis beraubt — den Beruf des freien Schriftstellers aus. Vor Ende des Krieges wurde er vom österreichischen Armeekbmmando beauftragt, eine Filmexpedition nach Bosnien zu leiten. Michel hatte schon vor dem Krieg eine Beteiligung am Film und die Verwendung literarischer Werke für das Kino erwogen, deshalb kam ihm dieser Auftrag sehr gelegen. Doch das Projekt wurde bald aufgegeben, und Michel wandte sich in der Nachkriegszeit der Errichtung einer Filmfabrik in Wien zu, die aber bald finanziell zusammenbrach.

Das letzte Ergebnis auf diesem Gebiet war die Verfilmung seines Romans „Die Wila“ (1948 als Roman erschienen).

Im Sommer 1918 wurde Robert Michel von dem eben neuernannten Generalintendanten der beiden Hoftheater, Leopold von Andrian, gemeinsam mit dem Schauspieler Max Devrient und mit Hermann Bahr, in die Leitung des Burgtheaters berufen. Doch der Zusammenbruch der österreichischen Monarchie bereitete dieser Laufbahn, die nur drei Monate dauerte, rasch ein Ende.

In der Zwischenkriegszeit konzentrierte sich Michel — bedingt durch eine verzweifelte finanzielle Lage — auf den publizistischen Sektor, wo er mit Buch- und Premierenbespre-chungen in reiohsdeutschen und österreichischen Zeitungen unterzukommen versuchte.

1927 gelang ihm wieder ein Bucherfolg mit dem schon eingangs erwähnten Roman „Jesus im Böhmer-wald“. Kurz vorher war sein Sohn Adalbert plötzlich gestorben und der Roman spielt inhaltlich auf dieses traurige Ereignis an. Einen wertvollen Beitrag zur Volkskunde büden die von Michel gesammelten und nacherzählten „Slowakischen Märchen“ (1941 bis 1944). Rasch aufeinander folgten die Erzählsammlungen „Slawische Weisen“ (1940), „Das Ringelspiel“ (1943) und Der verschwundene Stern“ (1946). — In den Jahren 1943, 1945, 1946 unterhielt Robert Michel den Feudlletonbetrieb ,ROMI“, in dem er Erzählungen und Aufsätze bekannter und unbekannter Autoren, wie Hermann Hesse und J. Friedrich Perkonig, an namhafte Zeitungen weiterleitete.

Daß die österreichische Tradition Robert Michel nie aus ihrem Bann gelassen hat, zeigt der 1947 erschienene Roman „Die allerhöchste Frau“; die Thematik war zwar dem Leser der Nachkriegszeit noch vertraut, hatte aber ihre Aktualität eingebüßt. Deshalb mutet dieses letzte veröffentlichte Werk, in dem Michel eine Lebensgeschichte der Kaiserin Elisabeth erzählt, wie ein verlorenes Märchen an.

Es bleibt zu untersuchen, wieweit die Figur des Schriftstellers Robert Michel, die in Einzelheiten ihrer Erzählweise viel unverkennbare und erinnernswerte Eigenart hat, vom österreichischen Literaturgeschehen ihrer Zeit geprägt ist. Sicher war Michel mit diesem Geschehen und seinen bedeutendsten Trägern sehr eng verbunden. Man kann in ihm einen im besten unpolitischen Sinn „österreichischen Menschen“ sehen, gerade auf Grund der Vielfalt der von ihm herangezogenen Stoffe und Schauplätze, in welchen er überzeugend gestaltete Charaktere agieren läßt. Als Offizier hatte er die Möglichkeit, sich seiner schriftstellerischen Tätigkeit voll zu widmen; als freier Schriftsteller war er genötigt, Literatur auch im Zusammenhang mit ihren kommerziellen Erscheinungen zu sehen...

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