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Ein Dominoeffekt bei den Schulden?
Bei den Wirtschaftsgesprächen in Alpbach hing die Frage: „Kommt der große Zusammenbruch?” im Raum. Pessimisten fragen inzwischen nur mehr „Wann?”.
Bei den Wirtschaftsgesprächen in Alpbach hing die Frage: „Kommt der große Zusammenbruch?” im Raum. Pessimisten fragen inzwischen nur mehr „Wann?”.
Unbestritten ist, daß die derzeitige Krise sich grundsätzlich von .früheren konjunkturellen Rückschlägen, die immer nur von relativ kurzer Dauer waren, unterscheidet. Die 1980 begonnene Rezession wird übereinstimmend als tiefgreifende und langfristige Stabilisierungs- und Anpassungskrise bezeichnet.
Der Grund für diese Erscheinung dürfte in den überzüchteten Erwartungen, Hoffnungen und Versprechungen liegen, die in den „goldenen dreißig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg” ein Klima und eine Situation geschaffen haben, deren Bewältigung uns heute schwerfällt.
Wir werden uns auf einen flacheren Wachstumspfad — die OECD schätzt etwa 2 Prozent real pro Jahr — einstellen müssen. Dieses Bremsmanöver hat natürlich den gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich zu erfassen oder, wie es Finanzminister Salcher in Alpbach überdeutlich ausdrückte, es kommt der „Ubergang von der Zeit des großen Verteilens durch einen wenig strukturierten Einsatz der Staatsmittel zu einer mehr qualitativen Budget- und Steuerpolitik”.
Das ist sicherlich ein positiver Vorsatz, dessen zügige Realisierung jedoch bezweifelt werden darf, da die Eigendynamik der Budgetstrukturierung sowie der Staatsverschuldung (jeder dritte Schilling der Staatseinnahmen dient zur Bedienung der Alt-Schulden) keine großen Spielräume lassen.
Neben der steigenden Verschuldung der westlichen Industriestaaten sind es vor allem auch die Länder des COMECON-Raumes sowie der Dritten Welt, die in der letzten Zeit für negative Schlagzeilen sorgen. Die Schwierigkeiten Polens und Rumäniens sind bekannt. Mexiko, mit Schulden in Höhe von rund 80 Milliarden US-Dollar (das sind etwa 1.400 Milliarden Schilling!), ist leider nicht das einzige südamerikanische Land, das der internationalen Bankenwelt Kopfzerbrechen bereitet.
Auch Argentinien und Brasilien sind hoch verschuldet und haben Schwierigkeiten, mit diesen Schulden zurecht zu kommen. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, daß in den Entwicklungsländern mehr als die Hälfte der neuen Schulden bereits dazu verwendet wird, alte Schulden zu bedienen.
Wie ist es eigentlich zu dieser gigantischen Verschuldung gekommen? Die Wurzeln sind in der Periode der Hochkonjunktur zu suchen, als in immer stärkerem Maße Vorfinanzierungen vorgenommen wurden und man auch — lange Zeit zu Recht - mit der steigenden Inflation spekulierte. Diese wurde durch den Vietnam-Krieg sowie auch durch die gewaltige Preisexplosion bei Erdöl und anderen Rohstoffen in den siebziger Jahren angeheizt.
Die Liquidität wuchs in einem stürmischen Tempo: Noch 1971 betrug das Volumen der Euromärkte 71 Milliarden Dollar, 10 Jahre später (Ende 1981) war diese Ziffer auf 940 Milliarden gestiegen (lt. Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich).
Die Situation hat geradezu zum Schuldenmachen angereizt, so lange jedermann damit rechnen konnte, die Kredite später mit schlechterem Geld zurückzahlen zu können. Das Ölgeld-Recycling wurde überperfektioniert. Zweifellos wurde damit in den siebziger Jahren die Weltwirtschaft in Schwung gehalten. Die Probleme wurden dadurch aber nur in die achtziger Jahre verschoben.
Diese Schuldenspirale hat dazu geführt, daß Schätzungen zufolge noch in diesem Jahr bei bis zu 30 Ländern „Kreditumstrukturierungen” notwendig sein werden. Als Mindestbetrag — bereits unter Ausklammerung Mexikos — werden Umschuldungssummen in der Höhe von 30 Milliarden Dollar genannt. Um an Globalziffern die regionale Aufteilung der internationalen Verschuldung zu zeigen, sei angeführt, daß Lateinamerika mit 182 Milliarden Dollar, Asien mit 108, der Ostblock mit 77 und Afrika mit 36 Milliarden verschuldet sind.
Es ist zu hoffen, daß in diesem Bereich die Besonnenheit von Regierungen und Banken weiterhin dafür sorgt, daß dieses Problem schrittweise entschärft werden kann. An einer Panikreaktion mit einem möglichen Dominoeffekt kann niemand Interesse haben.
Aber nicht nur die Entwicklungsländer, sondern auch die westlichen Industriestaaten haben lange Zeit ihre Zahlungsbilanzprobleme durch extensive Kreditausleihungen hinausgeschoben. Sie haben es verabsäumt, in den guten Tagen für eine entsprechende Umstrukturierung des realwirtschaftlichen Unterbaus zu sorgen — ein Problem, das in besonderem Maße auch für Österreich gilt.
Die Phrase von der Umstrukturierung klingt zwar abgedroschen, das Problem wird aber dadurch nicht kleiner, wenn treuherzig versichert wird, man hätte das Problem ohnehin schon vor 10 oder 15 Jahren erkannt. Auch einige andere „Grundwahrheiten”, die manche nicht mehr in die Diskussion einzubringen wagen, da sie zu banal klingen, sollten wieder mehr Beachtung finden: So z.B. der Umstand, daß der monetäre Bereich nur der Uberbau ist, der durch einen gesunden und soliden realwirtschaftlichen Unterbau gestützt werden muß.
Wenn keine marktgängigen Waren mehr produziert werden bzw. Güter und Leistungen verteilt werden, die noch nicht verdient wurden, dann kann dieses Spiel eine Zeitlang gespielt werden, auf Dauer ist es jedoch unmöglich, über die eigenen Verhältnisse zu leben, Verteilungspolitik auf Kosten anderer zu machen.
Was daher neben einer Senkung des Anspruchsniveaus not tut, ist ein geordneter Rückzug aus dem Strukturkonservativismus der letzten Jahre.
Sicherlich wäre dies in Zeiten der Hochkonjunktur leichter gewesen, doch ist es sinnlos, heute Versäumtes zu bejammern. Jedes weitere Zuwarten würde jedoch die Probleme vergrößern.
Ein derartiges Programm durchzuziehen, bedarf zweifellos gemeinsamer Bemühungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken müssen. Strukturpolitik lediglich immer nur mit Blickrichtung auf den nächsten Wahltermin zu betreiben, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Wie wollen denn die westlichen Industriestaaten, die ja das Tempo der internationalen Wirtschaftsentwicklung bestimmen, die Probleme der Dritten und Vierten Welt auch nur annähernd zu lösen versuchen, wenn es ihnen nicht gelingt, im eigenen Haus die Anpassungskrise zu bewältigen?
Der Autor ist Leiter der Abteilung für Volkswirtschaft, MarkeUng und Werbung der Girozentrale Wien.
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