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Ein doppelzüngiges Gespenst

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Das kommunistische Gespenst, das in jüngster Zeit vor allem in den lateineuropäischen Ländern herumgeht, hat sich zwar schon zu erkennen gegeben, die wahren Absichten des „Eurokommunismus” bleiben jedoch nach wie vor „geisterhaft”. Ist es Berlin- guer, Marchais und Carrillo mit ihrem Bekenntnis zu den demokratischen Grundfreiheiten, zur Parteienvielfalt ernst? Akzeptieren sie die freie Marktwirtschaft, das private Eigentum an Produktionsmitteln wirklich? Sind die Mehrheitsregeln der parlamentarischen Demokratie im Falle einer Machtübernahme einer Euro-KP garantiert? Treten sie dann die Macht nach einer Wahlniederlage auch wieder ab? Ist die freie Religionsausübung im Falle einer kommunistischen Machtübernahme in Italien, Frankreich oder Spanien sichergestellt?

Fragen, die bis jetzt unbeantwortet geblieben sind, denn bislang konnte noch keine der drei wichtigsten eurokommunistischen Parteien allein an den Schalthebeln der Macht walten. Oder ist es dann schon zu spät? Noch ist unklar, ob es sich bei der politischen Vorgangsweise der KPI, KPF und KPSp um ein raffiniert ausgeklügeltes taktisches Manöver zur Machteroberung oder um ein langfristiges strategisches Konzept zur Installierung eines Sozialismus handelt, der die demokratischen Spielregeln anerkennt.

Deshalb auch das große Mißtrauen und Unbehagen bei allen jenen, die sich mit dem Phänomen Eürokom- munismus kritisch auseinandersetzen. Niemand - außer den Eurokommunisten selbst - ist sich bis jetzt im klaren darüber, ob Berlinguer, Marchais und Carrillo mit ihren Thesen des „demokratischen Sozialismus” lediglich taktisch motivierte Lippenbekenntnisse ablegen.

Die Angst westlicher Politiker, der Eurokommunismus könnte ein mit ideologischem Sprengstoff beladenes trojanisches Pferd aus Moskau sein, ist jedenfalls nicht von ungefähr. Zuviel steht auf dem Spiel: die Schwächung des westlichen Verteidigungsbündnisses, die Gefährdung der Demokratie, kurzum die Zerstörung des poli- tisch-militärischen Gleichgewichtes zugunsten Moskaus.

Tatsache ist aber auch, daß durch das eigenmächtige und selbstbewußte Auftreten der Eurokommunisten erneut Unruhe in die von Moskau kontrollierte kommunistische Weltbewegung gekommen ist, daß sich selbst in dem vom Kreml dirigierten osteuropäischen Raum zunehmend Zersetzungserscheinungen zeigen. Kann es sich die KPdSU leisten, den eurokommunistischen Bruderparteien völlig freie Hand zu lassen, mit der Gefahr, daß ein „demokratischer Sozialismus” das eigene Lager infiziert?

Bei CarriUo schien das Faß übergelaufen zu sein: Der spanische KP-Chef, der bis jetzt als schärfster Kritiker des Kremls aufgetreten ist, hat mit den Thesen seines Buchs „Eurokommunismus und der Staat” die Grenzen des von Moskau tolerierbaren eigenen Weges überschritten. Was er betrieb, war in den Augen der sowjetischen Staatssozialisten Ketzerei, deshalb traf ihn auch der Donnerkeil aus Moskau so heftig. Allerdings wurde nur wenig später die Kritik an der KPSp wieder abgeschwächt. Von einem neuen Schisma ist also wohl verfrüht gesprochen worden.

Was gibt dem Eurokommunismus überhaupt diese Eigendynamik, die Ost und West anscheinend gleichermaßen verschreckt? Der Politologe Heinz Timmermann vom Kölner Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien glaubt, „daß die Eurokommunisten den Grundrechten und politischen Freiheiten der bürgerlichen Demokratie jetzt prinzipiellen Wert auch für die sozialistische Gesellschaft beimessen und sie nicht nur taktisch^instrumen- tal als bessere Voraussetzung für den Kampf um den Sozialismus bewerten”. Daneben glauben sie, „daß tiefgreifende politische, wirtschaftliche und soziale Reformen nur dann durchgesetzt werden können, wenn man sich in jeder Etappe auf einen breiten Konsens der Bevölkerung stützt”.

Machen diese Neueinschätzungen den Eurokommunismus aber schon demokratiereif? Kaum, denn bislang blieb der schlagende Beweis dafür aus. Außerdem - schrieb die „Neue Zürcher Zeitung” - seien die Grenzen der Emanzipation von Moskau ebenso deutlich geblieben wie die weit publizierten Emanzipationssignale. Von einem Bruch der KPF und der KPI mit dem Kreml ist weit und breit nichts in Sicht.

So sehr sich die Euro-KP’s auch bemühen, auf nationaler Ebene mit „über-Bord-werfen” von marxistisch- leninistischem Gedankengut (Tun sie es wirklich?) die Wählergunst zu erwerben und sich dadurch den Anstrich einer von Moskau unabhängigen Partei geben wollen, außenpolitisch unterstützen sie den Kreml in den wesentlichsten Punkten. Das geschah nicht nur auf der Östberliner Konferenz der kommunistischen Parteien Europas im vergangenen Sommer, erst unlängst hat Berlinguer die „Friedenspolitik” der Sowjetunion als im „allgemeinen Interesse der Menschheit liegend” bezeichnet. Im Falle einer schweren Ost-West-Krise würde sich die KPI „selbstverständlich” auf die Seite der Sowjetunion stellen.

Dabei ging die KPI bei den westeuropäischen Politikern noch kurz vorher mit der Feststellung hausieren, die NATO sei ein potentieller Schutzschild des eigenen Weges zum Sozialismus. Diese widersprüchlichen Aussagen müßten eigentlich Beweis genug dafür sein, wie ernst es den Eurokommunisten mit ihren Bekenntnissen wirklich ist.

Zweifel an der demokratischen Glaubwürdigkeit der Eurokommunisten aber nicht nur wegen ihrer permanenten Widersprüchlichkeiten: Bis jetzt hat außer Carrillo weder die KPI noch die KPF eine Distanzierung von Moskau gewagt. Alle drei Parteien halten immer noch am leninistischen Organisationsprinzip des „demokratischen Zentralismus” fest, unterbinden dadurch auch jegliche freie innerparteiliche Willensbildung: Den demokratischen Heiligenschein trägt man nach außen, nach innen herrscht eine stalinistische Hammer-und-Sichel- Disziplin! So sieht der „demokratische Sozialismus” aus?

Trotz alledem erfolgt in der Öffentlichkeit weiterhin die Verniedlichung und Verharmlosung der Eurokommunisten. Blindlings stürzt sich ein Großteil der Presse auf jedes Wörtchen eines Berlinguer, Marchais oder Carrillo, um aus der marxistisch-leninistischen Phrasologie jene Teile herauszulösen, die scheinbar westlichdemokratischen Inhalt haben. Die Folge: Eurokommunistische Parteien werden beinahe schon als politische Gruppierungen sozialdemokratischen Typs angesehen. Dazu die „Neue Zürcher Zeitung”: „Sie sind es nicht; sie sind keine Sozialreformer, sondern Kommunisten, die über die Macht denken, wie Lenin es sie gelehrt hat.”

Die Gefahr ist also permanent, daß aus dem Inneren des „trojanischen Pferdes” in Italien, Frankreich und Spanien plötzlich kriegerische Kommunisten entspringen könnten, die mit orthodox-marxistisch-leninistischem Rüstzeug bewaffnet sind. Die Revolution geht dann nicht mehr auf Raten. Wie sagte im November 1976 der KPI-Präsident Luigi Longo: „Von der Revolution will ich nicht reden, weil das Wort zu viele Ängste hervorruft. Erst nachher wird es Zeit sein, ein genaues Programm festzulegen.” Dieses Wort gilt immer noch!

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