Ein „dritter Weltkrieg“ hat schon begonnen
Der Mensch zerstört seine Umwelt - und sich selbst gleich mit. Das hat auch Folgen für die Sicherheitspolitik.
Der Mensch zerstört seine Umwelt - und sich selbst gleich mit. Das hat auch Folgen für die Sicherheitspolitik.
Jüngst trafen sich in Wien die großen Psychoanalytiker der Welt zu ihrem Jahreskongreß. Sie wollten darüber nachsinnen und diskutieren, wie und wo man am besten dem der Menschheit innewohnenden Aggressionstrieb beikommen könne. Denn, so hieß es, der Mensch gerate durch das ihn umgebende technische, physikalische und chemische Arsenal zusehends in die Gefahr, sich selbst zu zerstören.
Ein ernstes Thema, gewiß. Doch während man sich im erhabenen Raum der Wiener Hofburg tiefgründig über das (Un)Wesen des Menschen äußerte, ist draußen, gleich vor den Toren des Gebäudes und nahezu überall auf der Erde der „dritte Weltkrieg“ bereits im Gange. Er wird nicht unter Menschen geführt, sondern von allen Menschen gegen die sie umgebende Umwelt. Und wie es scheint, wird der Mensch Sieger sein. Freilich mit dem „Erfolg“, noch im Siege die Grundlagen seiner Existenz vernichtet zu haben.
Es begann scheinbar so harmlos mit der, „Wegwerfgesellschaft“, welche die Landschaft bloß verdreckte. Ernst Jünger spottete vor zehn Jahren gelegentlich eines Vortrages über sie. Archäologen, sagte er, werden unsere Zeit einst der Coca-Cola-Kultur zurechnen. Denn überall, wo sie künftig forschen und graben werden, würden sie auf die auch in Jahrtausenden unverrottbaren Millionen Coca-Cola-Flaschen stoßen, auf allen Kontinenten und sogar auf dem Meeresgrund.
Dieser eigentlich katastrophale und ekelhafte Ausblick in ein fernes Jahrtausend hat mittlerweile den Charakter gemütlicher Pflanzerei angenommen. Die gute, alte Coca-Cola- Flasche hat sich nicht bloß um Millionen Tonnen anderer, unverrottbarer Markenartikelemballagen vermehrt, die bereits weite Landstriche und Küstengebiete verunstalten, längst ist die Zivilisation dazu übergegangen Luft, Erde und Wasser gezielt zu vergiften; au; vernichten- und auf die Dauer unbrauchbar zu machen, längst ist da und dort das biologische Gleichgewicht aufgehoben, sind die ökologischen Grundlagen zerstört worden; giftige Luft, tote Gewässer, pestizierte Pflanzen, verseuchte Grundwasser, verkarstende Landstriche dehnen sich immer weiter aus.
Wir wohnen dem von uns — oder angeblich zu unserem Besten! — verursachten Tod der Umwelt voll Optimismus bei, und obschon wir nichts darüber wissen, ob wir die „Herren über das eigene Leben“, für die wir uns halten, auch sind, maßen wir uns an, im Namen des „allgemeinen Glückes der Menschheit“ das Leben ringsum zu vernichten.
Seit sich Politik und Boulevard mit entweder weinerlichem oder skandalwitterndem Unterton der „Umweltverschmutzung“ angenommen haben — man wird den Verdacht nicht los: die einen des auflagenstärkeren Geschäftes, die anderen des populären Alibis und beide der Ablenkung des Interesses von anderen, womöglich noch kritischeren Vorgängen wegen — ist es fast nicht mehr möglich, wirklich ernsthaft darüber zu reden. Denn immer wird zuwenig zugegeben und zuviel verheimlicht, zuviel geduldet und zuwenig verboten. Die zeitweilig in Erregung versetzten Massen erleben daher keine konkreten, sichtbaren und spürbaren Reaktionen. Sie stumpfen ab. So werden sie reif für die Gegenargumente.
Die reichen von: „Es wird schon nicht so schlimm sein“ bis zu: „Hinter mir/uns die Sintflut“. Dermaßen vorbereitet, kann man ihnen dozieren, „wie übertrieben“ das ganze Geschrei ist, was man „ohnedies schon alles dagegen gemacht“ hat und „warum da nix zu machen ist“. Das alles beruht dann natürlich auf „guten Gründen“ (politischen, wirtschaftlichen, technischen, kommerziellen usw.), von denen der einstige französische Ministerpräsident Mendės-France einmal gesagt hat: „Sie alle haben ihre guten Gründe, gewiss. Doch an allen diesen guten Gründen geht leider die Menschheit zugrunde.“
Ist es schon soweit?
Lassen wir einige aus der engeren und weiteren Umwelt stammende Beispiel für sich sprechen:
Eine weltberühmte biologische Station an der Nordsee stellte fest, dass aus fünf Vogeleiern jeweils nur ein Junges schlüpft. Die anderen vier enthalten nicht keimendes Leben, sondern infolge der durch Nahrungsaufnahme in den Organismus der Elterntiere gelangten „Schädlingsbekämpfungsmittel“ (sogenannte Pestizide, oder harmloser: Dichlordiphenyltrichloräthan!), die nicht mehr abgebaut werden, sogenannte „Giftcocktails“.
Im Bodensee, der laut wasserbiologischer Untersuchung in den letzten 20 Jahren „um 10.000 Jahre gealtert“ ist, lagern sich mit den von 1,2 Millionen Menschen und ihren privaten, wirtschaftlichen und sonstigen Bedürfnissen verschmutzten Abwässern jährlich 41.000 Tonnen (!) Kochsalz, 17.900 t Stickstoff und 1750 t Phosphor! Der Sauerstoffgehalt des Sees ist bis in die tiefsten Wasserschichten in den vergangenen fünf (!) Jahren um 60 Prozent zurückgegangen und liegt vergleichsweise nur noch um 11 Prozent über dem berüchtigten Brackwasser des Hafens von New York!
Nicht nur der Bodensee, sondern nahezu alle Abwässer aufnehmenden Seen im Industrie- oder Fremdenverkehrsgebieten stehen vor dem „umkippen“.
Im Plankton der Ost- und Nordsee, des Ärmelkanals und sogar noch in dem der Biskaya wurde soviel DDT festgestellt, dass der Zeitpunkt abzusehen ist, an welchem der Genuss dort gefangener Speisefische verboten werden müsste.
In einigen Fjorden Skandinaviens musste der gewerbliche Fischfang bereits stellenweise verboten werden: die gefangenen Fische enthielten zu viel äußerst giftiges Quecksilbermethyl.
Über die Bucht von Triest musste im heurigen Frühjahr vorübergehend ein Badeverbot verhängt werden; etwa 70 Prozent der Badenden war anschließend an die gesuchte Erfrischung mehr oder weniger schwer erkrankt.
Die Ölverschmutzung der Weltmeere hat einen Grad erreicht, der entlang der großen Schifffahrtsstraßen ganze Inselgruppen, Kulturlandschaften und Küstengebiete zu „asphaltieren“ drohte. Auf dem Atlantik, auf dem Mittelmeer und überall auf den Weltmeeren werden Öl- und Schmutzinseln“ vom Ausmaß der gesamten Fläche Osttirols festgestellt, die große Wasserkulturen verdrecken und vernichten.
Jahrzehntelang tröstete sich die Menschheit damit, dass ihr nach der totalen Ausbeutung und Verrottung der Erde immer noch das Lebensreservoir des „endlosen Meeres“ bleibe. Damit hat sie nun Schluss gemacht. Auch das Meer wurde mit größtem Erfolg in die Vernichtungsaktion einbezogen!
Gelegentlich wird nach Forschung gerufen, die das ganze Ausmaß des Schadens feststellen soll. Ebenso gelegentlich erfolgt dann die Beteuerung, dass man a) schon viel dagegen gemacht habe, b) mehr nicht tun könne, weil c) Wirksames so teuer sei, dass niemand es bezahlen könne, am allerwenigstens der, der es letztlich ja bezahlen müsse, der hochverehrte Konsument, um dessentwillen das alles in Szene gesetzt worden sei. Der hochverehrte Konsument nickt, geistig abwesend wie stets, und frisst weiter, woran der Vogel bereits gestorben ist.
Wie die Dinge liegen, ist weder von der Wissenschaft noch von der Wirtschaft Abhilfe zu erwarten. Beide für sich wären dazu auch gar nicht fähig. Die eine nicht, weil sie keine exekutive Gewalt besitzt, die andere nicht, weil sie nie gelernt hat, quasi „gegen sich“ zu denken.
Zu beheben ist der Schaden, wenn er noch zu beheben ist, nur durch Politik. Nicht durch eine, wie sie die Parteien treiben oder auch die großen „ideologischen Lager“ von Ost bis West (denn sie alle, alle wirken aus tausendundeinem Grund auf ihre Weise am weltweiten Zerstörungswerk teils leicht-, teils stumpf-, teils hintersinnig mit), sondern durch eine neue Programmierung derselben im Sinne der Welt-Polis.
Einzelkräfte vermögen da, nichts zu tun. Wie soll der schwache, kleine Staat der entweder keine Industrie besitzt oder aber diese hinsichtlich „Umweltvernichtung“ scharf an die Kandare genommen hat, den vom Oberlauf der Flüsse, im Gewölk des Himmels und unter der Erde herankriechende tödlichen Schwall bannen? Wer behütet die nichtatomaren Mächte vor den Folgen des atomaren Treibens unter der Erde, zu Wasser und in der Luft, um nur zwei Beispiele zu geben?
Hier können nur „Weltkonventionen“ helfen, die freilich gegen gewaltige Interessengruppen durchgesetzt werden müssten. Aber wenn Überhaupt noch zu etwas Vernünftigem dann sind die Staaten dazu da!
Eine Chance für die UNO
Stellen wir die Frage mit der größten Fernwirkung zuerst: warum widmet sich die UNO-Generalversammlung mit so großem Eifer allerhand durchsichtigen, machtpolitischen Spielereien und gar nicht dem Problem wie man die Welt konkret vor ihrer „Vernichtung durch friedliche Nutzung“ bewahren könnte?
Ja, fragen wir überhaupt: welchen Sinn hat Machtpolitik noch, wenn sie um „Todeszonen“ geführt wird, deren Bewohner mit dem „Glück“, das die diversen büro- und technokratischen Ideologen und Ideologien ihnen aufzwingen wollen auch die vielfältigen tödliche Gifte einsaugen, die unter eben der Berufung auf die „Beglückung“ erzeugt werden?
Schwenken wir ein in Richtung auf Naheliegendes: seit einiger Zeit probiert man eine „Europäische Sicherheitskonferenz“ zustande zu bringen. Dafür gibt es Gründe und dagegen gibt es Widerstände. Eine gewisse Trägheit rührt auch daher, dass Europa sich gegenwärtig vermeintlich nicht bedroht wähnt. Konflikte, die rasch in Aggression Umschlägen könnten, sind nicht zu sehen oder werden so geschickt verborgen, dass ihre Grundstoffe nur schwer ausfindig zu machen sind. Die Frage, was denn auf die „Tagesordnung“ gesetzt werden solle, erhebt sich gebieterisch. Denn keine Konferenz ohne Tagesordnung! Was natürlich auch seine guten Gründe hat.
Wie wäre es, wenn nun ein kleiner Staat wie Österreich, besser noch: einige kleine Staaten, am besten: vor allem die kleinen neutralen Staaten ihre Stimme erhöben, der Tagesordnung einer „Sicherheitskonferenz“ den Schutz der Umwelt vor der überall im Schwünge befindlichen Vernichtungsaktion einzuverleiben? Nicht, um dann einmal mehr das unausstehliche Alltagsgeschwätz einzuleiten oder zuvor garantiert steril gemachte „Studienkommissionen“ nach Ausflüchten und Leerformeln suchen zu lassen. Sondern indem man mit Rahmen- und Ausführungsgesetzen beginnt, die relativ einfach sein können, wenn sie nur nicht auf die „guten Gründe^* der jeweils an der fahrlässigen Tötung der Menschheit beteiligten Gruppe eingehen!
Kann es dagegen irgend einen logischen, ethischen, moralischen oder ideologischen Widerspruch geben außer den, man wolle die Vernichtung der Umwelt absichtlich beschleunigen? Könnte da nicht nur der „gute Wille“, sondern auch die „Vernunft“ und das „Ideal“ aller politischen Mächte und Kräfte gemessen werden?
Das Thema könnte die machtpolitischen Absichten, die sich mit „Sicherheits- und Friedenskonferenzen“ stets verbinden, seit die Menschheit eine Geschichte hat, gar nicht sonderlich stören. Gerade deshalb könnte es als Haupt- und Dauerthema angenommen werden.
Und zu guter Letzt noch eine Frage: warum sollte sich Österreich, warum gerade die „Kongressstadt Wien“ es entgehen lassen, zu einer so erweiterten Sicherheitskonferenz einzuladen? Entspräche das nicht dem genius loci eines kleinen, hochkultivierten und hochzivilisierten Landes, das sich so gerne als das „Herzstück Europas“ fühlt?
Der Einwand kommt gewiss und wird dadurch nicht besser: man könne die Umwelt nur weltweit schützen, Europa allein, das sei zu wenig. So haben (Denk-)Faule immer gedacht. Wenn Europa, immer noch eines der gewaltigsten Industrie-und Ideenzentren der Welt — man muß es diesbezüglich vom Ural bis an den Atlantik sehen! — damit beginnt, werden Asien, Amerika und Afrika nicht Zurückbleiben können. Denn schließlich geht es auch in jeder dieser Zonen auf sehr spezifische Weise ums Überleben!
Der „dritte Weltkrieg“ — Mensch gegen Natur — ist im vollen Gange. Er muss — und sei es durch einen harten Frieden — beendet werden, ehe die Menschheit statt das Weltall zu erforschen in dessen Unendlichkeit flüchten müsste um der Pest und dem Ekel zu entkommen, die sie auf der Welt angerichtet hat.