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Ein echter Mäzen

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Als ich zu malen anfing, dachte , ich an einen Mäzen. Ich hatte die Tatsache, daß jeder Maler einen Mäzen habe, der Lebensbeschrei- bung Alter Meister entnommen. Die hatten das gemalt, was die Mäzene von ihnen verlangt hatten, und sie hatten die Wunschbilder vorzüg- lich gemalt. Auch ich wollte vor- züglich malen. Mein Mäzen würde mir Aufträge für vorzügliche Bil- der geben. Die Sujets der Alten Meister stammten aus dem Leben und der Umwelt ihrer Mäzene. Den Details der Bilder nach führten diese ein großartiges Leben, hatten eine großartige Umwelt. Auswir- kungen und Inhalte dieses Lebens und der Umwelt hatten die Alten Meister inspiriert. Ich würde mich von der Person und der Umwelt meines Mäzens inspirieren lassen.

Ich suchte die Person mit der großartigen Umwelt unter den Be- kannten, fand sie aber nicht, das heißt, keiner paßte in den Begriff eines Mäzens. Der Pfarrer des Dor- fes hatte keine Beziehung zur Kunst, der Lehrer nur insofern, als er als Organist einige landläufige Messen aufführte, vom Bäckermeister wußte ich, daß er Hinterglasbilder sammelte, vom Friseurmeister, daß er die Schönheit junger Damen verehrte und ihr nachhalf, vom Gla- sermeister, daß er einen kräftigen Bariton und von der Frau des Leh- rers, daß sie einen kräftigen Sopran besaß. Sie kamen wegen ihrer Umwelt als Mäzene nicht in Frage.

Ich las, daß der Ruf, den die Alten Meister hatten, den Mäzenen zu Ohren gekommen war, worauf die- se jene an ihre Höfe berufen hatten. Ich hatte keinen Ruf, und die Leute, vom Pfarrer bis zur Frau des Leh- rers, hatten keinen Hof. Ich dachte mir den Ruf zu erwerben durch Fleiß (daß dies der längste und schwie- rigste Weg ist, ahnte ich nicht), und anstelle des Hofes mußte sich etwas anderes finden. Das eine, dachte ich, müsse die Folge des anderen sein und dem Zufall überlassen werden. Wenn ich die Früchte meines Fleißes betrachtete, so stand ich damit den Alten Meistern nur insofern nach, als ich noch keinen Mäzen gefunden hatte.

Ich malte den Pfarrer, aber in einer Situation, die ihn veranlaßte zu sagen, das schaue ja aus, als ge- nieße er nur irdische Freuden; ich malte den Lehrer beim Baden im Fluß, und der sagte, das schaue aus, als habe er ewig Ferien, ich malte den Bäcker, den Friseur und den Glaser inmitten winziger Details in einer Landschaft, und sie sagten, das wären sie nicht und die Land- schaft sei nicht diese Landschaft hier, was ich bestritt, doch ich bin froh, nicht gesagt zu haben, alle Alten Meister hätten ihre Land- schaften idealisiert. Nur zur Frau des Lehrers bekam ich eine Bezie- hung durch das Bild; ich malte sie auf einem großen Bild, zwei mal vier, als heilige Zäzilia an der Or- gel, umgeben von musizierenden Engeln, und mich selbst malte ich auf dem Bild als arme Seele im Fegefeuer ganz unten rechts.

Ich erfuhr von großen Malern, die durch solche Bilder ihre Auftrag- geber vergrämten. Und hier, mit der Verständnislosigkeit der Zeit- genossen, beginnt das Verständnis der Nachkommen; ich rechnete damit; wenn die Scheinwelt, in der meine Dargestellten existieren, erloschen ist, wird ihre Seins-Welt in den Bildern erhalten sein. Aber auf einen Mäzen wollte ich nicht verzichten. Mäzene, dachte ich, vertragen es schlecht, wenn ihre Scheinwelt durchbrochen wird. Die Alten Meister hatten die Schein- welt ihrer Mäzene nicht zerstört, sondern übersteigert; das entdeck- te ich. Deshalb verstand mich die Frau des Lehrers; ich hatte ihr Wunschbild getroffen.

Ich traf mich selbst, als ich die Ausstellung veranstaltete. Plötzlich wußte ich, was ich in der Abgeschiedenheit des Dorfes getan hatte. Die Ausstellung fand in ei- nem Hinterhof gebäude in der Lan- deshauptstadt statt. Die Besucher waren verlegen, die Kritiker fein- deten mich an, waren aber beim Besuch der Ausstellung sehr freundlich. Ich lief mit einem Zei- chenblock umher und bat den ei- nen oder anderen Besucher, ihn zeichnen zu dürfen; der Porträtier- te war niemals zufrieden mit der Ähnlichkeit, nur ich war es. Je- mand bestellte ein Porträt und machte eine Anzahlung. Ich dach- te, der sei der erste Mäzen. Das Porträt kam über die Übertragung von Skizzen auf die Leinwand nicht hinaus. Ich wollte den Auftragge- ber als Jäger darstellen (und mir einiges von den Alten Meistern entleihen), anstatt ihn zum Hiero- nymus im Gehäuse zu machen. Du hast sein Wunschbild nicht getrof- fen, dachte ich, die Alten Meister waren darin unfehlbar; geh' die Sache verkehrt an, mal' die nackte Existenz!

Und um mich darin zu üben, malte ich einige Selbstporträts vor dem Spiegel, ohne Requisiten und Hin- tergrund. Ich vertiefte jede Falte an mir, betonte jeden unschönen Zug, wagte mich an alltägliche Dinge, die ich in ihrer Alltäglichkeit über- steigerte. Pfarrer, Lehrerund Hand- werksmeister waren längst nicht mehr eingenommen von mir; sie wunderten sich, daß ich noch lebte. Nur die Frau des Lehrers, die ich als heilige Zäzilia an der Orgel gemalt hatte, fragte mich auf der Straße nach meiner Arbeit.

Da kam eines Tages ein Mann, der mich zu sprechen wünsch- te. Ich war im Garten, es war ein heißer Sommer und es verdroß mich, zwischen den verdorrten Pflanzen und den verfärbten Blättern herum zu werken, als ich den Mann sah, der, noch außerhalb des Gartens, dem primitiven Mechanismus des Türriegels beikommen wollte; ver- sucht man von draußen die Tür auf- zustoßen, fordert einen der Wider- stand auf, die Tür zu umgreifen und den einfachen Holzriegel, der sich an einem Nagel bewegt, aus der Halterung, in der er liegt, zu heben. Der Mann tat dies mit allen Fingern einer Hand, hielt den Riegel fest, während er die Tür unter seinen Armen durchzog, nachdem er, im Garten stehend, eine halbe Dre- hung gemacht hatte. Den Augen- blick, da er mir den Rücken kehrte, benützte ich, mich ihm zu nähern.

Ich kam mir nackt vor; der Mann trug eine Pelerine und einen Hut und in der Hand, mit der er den Riegel nicht zurückgelegt hatte, einen Stock, den er in dem Augen- blick, da er sich umwandte, anhob, indem er ihn unterhalb des Griffes faßte. Wir sahen uns an, ich spürte seinen Blick hinter der dunklen Brille, ohne seine Augen zu sehen.

Ich bestätigte seine Frage, ja, der sei ich. Mein Mäzen, dachte ich, wie in einem Film, in einer Geschichte von Gogol, und ich fühlte mich angehoben und gewarnt, weil alle Geschichten Gogols etwas Dämo- nisches haben. Der Mann sagte etwas über den Garten, als habe er selbst einen und ging, und ich ging, und ich merkte dann, daß wir auf dem Weg zur Gartenhütte waren, in der meine Bilder hängen und in der ich male. Wir sprachen über die Trockenheit, und der Mann nahm die Brille nicht ab. Er läßt sich Zeit, dachte ich, er ist gewiegt, ich öffne- te die Tür, ließ ihn eintreten und beobachtete ihn scharf.

Er tat, als sähe er die Bilder nicht; ein ganz Schlauer, dachte ich, und ich wollte die Unordnung entschul- digen, auf meine Arbeit verweisen und ihm eine Frage leichter ma- chen, war bereit, ihm meine Ent- wicklung als Maler zu schildern, da sagte er, er habe als Notar den ver- wickelten Nachlaß meiner verstor- benen Großmutter endlich geklärt und es bestehe unter anderem die noch fällige Summe aus einer Lebensversicherung der Verstorbe- nen, die sie mir testamentarisch zugedacht habe.

Von diesem Augenblick an er- schien mir der Mann unwahrschein- lich, und ich war entschlossen, das Spiel mitzuspielen und bin über- zeugt, daß er, während er mir die Unwahrscheinlichkeit mit der Hinterlassenschaft auseinander setzte, meine Bilder genau betrach- tete. Er hatte die Brille nicht abge- nommen, als er ging, er wird wie- derkommen, einen richtigen Mäzen wird man nicht los, ein richtiger Mäzen ist aus einem ganz bestimm- ten Grund ein richtiger Mäzen, auch wenn ihn, wie bei den Alten Mei- stern, die Mode oder die Eitelkeit dazu machen; den Alten Meistern war dies gleichgültig.

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