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Ein Element der Revolution

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FURCHE: Eine der ersten Sorgen, die Sie in Prag erwarten, wird der sehr weltliche Streit um die Restitution enteigneter Kirchengüter sein.

ERZBISCHOFMILOSLAVVLK: Dazu muß ich sagen, daß ich noch keine genaue Konzeption habe, weil es nicht nur um meine Ansicht geht, sondern auch um die der anderen Bischöfe von Böhmen.

FURCHE: In der Slowakei will die Kirche ja sämtliche einmal verlorene Güter zurück.

VLK: Die religiöse Situation in der Slowakei ist anders. Deswegen könnte man auch in dieser Frage eine andere Haltung einnehmen. Das ist variabel. Wir haben bei uns in Böhmen und Mähren schon darüber geredet, sind aber noch zu keinen Richtlinien gekommen. Grundsätzlich möchten wir gerne nicht zu viel verlangen, weil es nicht um das Eigentum selbst geht, sondern um ein Mittel, die Tätigkeit der Kirche zu ermöglichen und die Kirche zu erhalten.

Zugleich müssen wir ein Modell der Finanzierung der Kirche generell finden. Wir spüren, daß unser Staat uns nicht für immer finanzieren kann. Deswegen müssen wir die Restitutionsfrage auch in diesem Zusammenhang überlegen. Es gibt verschiedene Modelle: das deutsche, das österreichische und das italienische. Wir sind dabei, zu prüfen, welches für uns am besten paßt.

FURCHE: Wird es eine Kirchensteuer geben?

VLK: Ja, aber es gibt noch kein fertiges Modell.

FURCHE: Weiß man, wann der Staat seine Zahlungen einstellen wird?

VLK: Vor einiger Zeit wurde unverbindlich von drei, vier Jahren gesprochen. Unverbindlich.

FURCHE: Wie erklären Sie sich den Klimasturz in der öffentlichen

Meinung über die Kirche bald nach der sanften Revolution?

VLK: Den habe ich auch gespürt. Aber meiner Ansicht nach ist er ganz logisch. Die Kirche war an der Revolution beteiligt, besonders durch die Persönlichkeit des Kardinals Tomasek, aber nicht nur durch ihn. Wir waren ein Element der Revolution. Deswegen diese Euphorie am Anfang. Dann kam die Angst, daß die Kirche zur Macht kommt. Schließlich folgte die Abwendung, die vielleicht mit den Wahlen zusammenhing. Mit der Angst, daß die Kirche Macht und Einfluß durch die politischen Parteien bekommt, die christlichen Parteien zum Beispiel.

FURCHE: Hat sich die Kirche zu sehr mit den christlichen Parteien identifiziert?

VLK: Das würde ich nicht sagen. Wir haben klaren Abstand gezeigt. Es ist wahr, daß die politischen Parteien Interesse zeigten, sich von der Kirche her unterstützen zu lassen. Zum Beispiel haben sie sich mit Kardinal Tomaäek fotografieren lassen und so weiter. Ich spreche jetzt nur von der Situation hier in Böhmen und Mähren.

FURCHE: Kardinal Königs Begriff der „Äquidistanz" der Kirche

zu den Parteien ist für Sie also Ausdruck einer richtigen Haltung der Kirche zur Politik?

VLK: Ja. Die Laien sollen sich in der Politik engagieren, das ist ihre Pflicht. Aber nicht die Kirche als Institution.

In der Slowakei ist die Lage anders. Dort sind die meisten Einwohner katholisch. Deswegen sind die Bischöfe in der Slowakei auch anders. Weil sie hinter sich eine Mehrheit haben. Und deswegen ist der Einfluß der Kirche in der Gesellschaft dort ein wenig stärker. Wir versuchen - das ist genauso wie anderswo in der Gesellschaft - eine Brücke zu bauen, oder eine Einheit im Pluralismus herzustellen. Das ist unsere Aufgabe.

FURCHE: Funktioniert die Brüderlichkeit in der Kirche?

VLK: Ja. Ich war am Anfang sehr überrascht, daß wir den slowakischen Bischöfen bei der Bischofskonferenz im Gespräch sehr nahe gekommen sind.

Jetzt halte ich es für ganz wichtig, die Konstitution des Zweiten Vatikanums „Lumen Gentium" hier zu realisieren. Der Staat hat früher nicht gewollt, daß die Laien in der Kirche mitarbeiten, so sind diese ein passives Element geworden. Es fehlt auch am innerkirchlichen Dialog zwischen Laien und Priestern, auch unter Laien selbst - zum Beispiel auf den Seiten der katholischen Zeitungen.

FURCHE: Sie waren als amtsbehinderter Priester jahrelang als Archivar, Fensterputzer und Fabriksarbeiter tätig. Empfinden Sie das als Zeitverschwendung?

VLK: Das ist kein Verlust für mich gewesen, sondern ein großer Gewinn an geistlicher Erfahrung mit Gott. Ich habe die Nähe Gottes, würde ich sagen, in meinem Leben wirklich erlebt. Einerseits, als ich so allein war, und andererseits in den kleinen Gemeinschaften, in denen ich während dieser Zeit gelebt habe.

FURCHE: Fürchten Sie sich vor Ihrer neuen Aufgabe?

VLK: Wenn man spürt, daß man nicht allein ist mit dieser großen Verantwortung, daß man von Gott getragen ist, dann kann man auch große Aufgaben wie die Leitung des Prager Erzbistums annehmen: Mit diesem Glauben, mit dieser Hoffnung, mit dieser Überzeugung, mit dieser Sicherheit.

Mit dem neuen Prager Erzbischof, MILOSLAV VLK, bisher Oberhirte in Budweis, der am 25. Mai 1991 in sein Amt eingeführt wird, sprach THOMAS GÖTZ.

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