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Ein Erdbeben

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Papst Johannes Paul II. wird indirekt für aufwendige und menschenreiche 1. Mai-Feiern in Polen sorgen. Denn - so vermuten katholische Kreise im Land an der Weichsel - die Kommunisten werden den Nachweis zu führen versuchen, daß nicht nur das Oberhaupt der katholischen Kirche Massen mobilisieren kann, sondern auch die Partei.

Indirekt bestätigt das auch der „Kirchenminister“ Polens, Kazi-mierz Kakol. Die Frage „Fürchten Sie nicht, daß rein optisch für die Tage des Papstbesuches in Polen sozusagen der Kommunismus außer Kraft gesetzt wird, wenn weitaus mehr Menschen dem Papst zujubeln als je bei einem Besuch Breschnjews oder am 1. Mai der politischen Führung?“ beantwortet Kakol so:

„Warum sollten wir das fürchten? Alle Menschen hier im Lande arbeiten für das Wohl des Sozialismus. Es

„Es läßt sich bereits jetzt erkennen, wie das herrschende kommunistische Regime den Besuch für seine Zwecke nutzen will“ gibt keine Ebene der Konfrontation, keinen Grund dafür. Im übrigen darf ich sagen, daß am 1. Mai in jeder Stadt, in jedem Ort Feiern stattfinden, an denen Millionen Menschen teilnehmen.“

Die Frage, wer denn nun mehr Menschen auf die Beine zu bringen vermag, Partei oder Kirche, deutet aber nur auf eine der vielen Ebenen, auf denen vor dem Papstbesuch ein subtiler Wettstreit zwischen Staat und Gläubigen in Polen ausgefoch-i-tenwird. IM i.iU

Es läßt sich bereits jetzt erkennen, wie das herrschende kommunistische Regime den Besuch für seine Zwecke nutzen will. „Bisher ist in den offiziellen polnischen Medien noch kein Wörtchen darüber erschienen, daß diese Visite einen reli-: giösen Charakter hat“, meint kämpferisch ein führender katholischer Intellektueller in Warschau.

Und tatsächlich - so schreibt etwa Adam Wysocki in der regierungsnahen Zeitung „Zycie Warszawy“: „Das, was sich auf der Linie Warschau-Vatikan abspielt, wird der Festigung des Friedens in der Welt, der Eindämmung der Kräfte der Aggression und des Krieges, der Festigung der Zusammenarbeit und der Freundschaft zwischen den Völkern dienen.“

Und auch der Intimus des Parteichefs Gierek, „Polityka“-Chefredak-teur Mieczyslaw Rakowski, betont die „staatliche Dimension“ der Visite und meint dann wörtlich: „Mit diesem Besuch verbinden wir die Uberzeugung, daß er der Einigkeit aller Polen, der Vertiefung der Zusammenarbeit der Kirche mit dem Sozialistischen Staat... förderlich sein wird.“

Diplomatisch gewunden und vorsichtig, zwischen den Zeilen gelesen aber eindeutig, zerstreut der Vorsitzende der katholischen ZNAK-Frak-tion im polnischen Parlament, Ja-nusz Zablocki, die Hoffnungen der Kommunisten, daß der Besuch propagandistisch für sie nutzbar gemacht werden kann: „Sicherlich ist die Visite als ein wichtiges Element im Dialog zwischen Ost und West, für die Entspannung und internationale Zusammenarbeit zu werten. Der Papst wird diesen Intentionen auch nicht widersprechen und sein Besuch muß sicherlich der Sache des Friedens dienen. Aber ich habe keine Angst davor, daß die Äußerungen des Papstes hier in Polen für die kommunistische Propaganda ausgenützt werden können. Der Papst wird sagen, was er für wichtig hält und w.as der katholischen Doktrin entspricht.“

Und der Journalist einer katholischen Wochenzeitschrift ergänzt:

„Sicherlich wird man von staatlicher Seite versuchen, zu sagen, daß der Papst mit seinem Besuch die herrschenden Zustände sozusagen anerkannt habe. Aber das wird ein Versuch bleiben. Die Leute hier sind doch an Verdrehungen gewöhnt, sie wissen wie man die Zeitung lesen soll. Wenn der Papst hier vom Frieden redet, und die Kommunisten darüber schreiben, dann werden die Menschen Polens wissen, daß der Papst nicht von einem Frieden im Moskauer Sinn spricht.“

Auch in der Frage des Termins des Papstbesuches kämpfen Staat und Kirche Polens nachträglich und prestigebewußt um die ihnen genehme Interpretation. Bekanntlich plante . der Papst ursprünglich zu den 900-Jahr-Feiern des Heiligen Stanislaus im Mai nach Krakau zu kommen (Stanislaus symbolisiert den schärfsten Konflikt zwischen Kirche und Staat in der 1000jährigen Geschichte Polens). Nun kommt er im Juni.

ZK-Mitglied Rakowski dazu: „Die Staatsführung hatte klarerweise das Recht, zum Termin des Besuches Stellung zu nehmen. Dieses Recht konnte niemand in Frage stellen.“ Im katholischen Lager sieht man das begreiflicherweise etwas anders. Der ehemalige katholische Abgeordnete Stomma, eine der bedeutendsten katholischen Persönlichkeiten Polens, meint noch relativ milde und verstehend: „Es wäre eine Demütigung für den Staat gewesen, wäre der Mai-Termin durchgegangen.“

Andere führende Intellektuelle des katholischen Polen vertreten aber offen die Meinung, daß dieses geringe Zugeständnis in der Terminfrage mehr als kompensiert wurde: „Die Dauer der Visite wurde verlängert, der Papst wird mehr Städte als ursprünglich geplant besuchen und er wird es sich nicht nehmen lassen, vom heiligen Stanislaus ausgehend, zwar nieht: aggressiv, aber unmißverständliche Worte über Kirche und menschliche Gerechtigkeit zu sagen.“

Subtil schließlich auch, wie Kirche und Staat schon jetzt, vor dem Besuch, das Ergebnis vorwegzunehmen versuchen. Mit durchaus drohendem Unterton meint etwa das ZK-Mit-

„Der Papst wird sagen, was er für wichtig hält und was der katholischen Doktrin entsprich?' glied Rakowski: „Unabhängig von diesem Besuch wird Polen doch weiterhin ein weltlicher Staat bleiben. Wenn es im katholischen Lager Leute gibt, die der Meinung sind, daß der weltliche Charakter unseres Staates abgeschwächt werden könnte, dann muß man ihnen offen sagen, daß sie sich Illusionen hingeben.“

Im katholischen Lager gibt man sich ebenso siegesgewiß, aber offenkundig gelassener. So meint der katholische Abgeordnete Zablocki: „Wir beobachten bei vielen Marxisten, daß bei ihnen das Gefühl der Bedrohung gestiegen ist. Der Besuch des Papstes aber müßte diese Ängste, und Vorbehalte zerstreuen und zeigen, daß auch eine gestärkte polnische Kirche keine Gefahr für den weltlichen Staat ist.

Viel schärfer formulieren es andere katholische Führer: „Dieser Besuch wird ein Sieg der Kirche sein, die Bande zwischen Volk und Kirche festigen und diese katholische Nation wird spirituell profitieren - das ist von vornherein gesichert.“

Jedenfalls nimmt man aus Polen -zwei Monate vor dem Papstbesuch -durchaus den Eindruck mit, daß dieses Jahrhundertereignis ein „psychologisches Erdbeben“, wie es Wiens Kardinal König formuliert hat, auslösen dürfte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Der Autor ist außenpolitischer Redakteur des „Kurier“.)

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