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Ein erster Schritt

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In einer gemeinsamen Veranstaltung wollten Katholiken, Evangelische und Israelitische Kultusgemeinde „dem Ungeist der Zeit widerstreiten“ (s. Seite 5).

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In einer gemeinsamen Veranstaltung wollten Katholiken, Evangelische und Israelitische Kultusgemeinde „dem Ungeist der Zeit widerstreiten“ (s. Seite 5).

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Eine Religion wie die katholische, deren Heilsgeschichte mit dem Unheil beginnt, daß für ihren Erlöser, kaum daß er geboren ist, kleine Kinder (- wozu der Zusatz „unschuldig“? -) sterben müssen, auf daß er zu einer Stunde, die noch lange nicht nahe ist, mit wahrhaft göttlichem Anspruch nicht für bestimmte Menschen, sondern für alle Menschen aller Zeiten sterben könne -welchen anderen Tod als, ebenfalls umgebracht, einen Opfertod, zu dessen Verhängung und Vollstreckung als Voraussetzung der Auferstehung es notwendigerweise Handlanger geben mußte der Heilsgeschichte;

eine Religion wie die katholische, in deren Selbstdarstellung als den Bildern, die sie sich von

Gott-Vater und von Gott-Sohn machen darf, nicht etwa der Auferstandene dominiert, sondern der Hingerichtete so vielmals wiederkehrt in seinen mehr oder weniger übel zugerichteten Leichen, als wäre er vielmals gemartert und hingerichtet worden, viel seltener aber auferstanden;

eine Religion, im Laufe deren Geschichte solche von der Auferstehung isolierten Kreuzigungsbilder die Sünder nicht bloß ermuntert haben zu einem Mitleiden und einem Bereuen der Sünden, für die er gestorben sei, sondern auch Abscheu und Unbarm-herzigkeit erwecken durften oder mußten gegenüber den so lange einer Art Erb- und Kollektivschuld schuldig Befundenen, als sie dem Alten Bund verbunden blieben und dem Warten auf den Messias —

dieses Bild von der Religion und Kirche, der ich angehöre, mag sich anläßlich einer jüdischen und christlichen Feier besonders geschmacklos ausnehmen, es sei aber gerechtfertigt zur Sichtbarmachung der Beklemmungen, die in ein freieres Atmen sich auflösen, seit der Geist, den Johannes XXIII. seiner Kirche eingehaucht hat, auch in vielen unserer Kirchen weht, geistesverwandt dem Geist Lessings Nathan, also auch seit das Erkennen indirekter Mitschuld an dem Grauen Repräsentanten der Kirche und Laienverbände nach Versöhnung suchen macht mit Repräsentanten der jüdischen Religion, was wohl auch dem Bedürfnis entspringt nach

Verzeihung von Seiten der Uberlebenden —

wie karg auch immer man die sogleich zitierte Passage aus dem Konzilstext befinden mag, wie befremdlich nach dem Weder die Formulierung des Noch („kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen“), so mag dies als schüchterner erster Schritt zu bedanken sein, und vermutlich sagt mancher Religionslehrer seinen Schülern, von der Ermordung unseres Herrgotts könne schon deshalb nicht die Rede sein, weil die Theologen sich nicht einmal noch gut dreihundert Jahre danach einig waren, ob Jesus nun gottgleich oder gottähnlich gewesen sei, Streitfrage, die wohl nicht leichter wird durch die Frage, wieweit ihm gleichen würden die nach seinem Ebenbild Geschaffenen -

endlich wieder darf Jesus einer der Seinen sein, nicht erschrockenes Erkennen einer peinlichen Tatsache (oder gar eine Drohung gegenüber seinen Anhängern, der eine Razzia folgen würde unter unerschütterlichen Christen) tut ein katholisches Plakat kund, auf dem es in großen Lettern Jesus war Jude heißt, sondern eine Wahrheit, die den noch immer Verstockten ins Herz fahren soll, Aufruf zu brüderlicher Liebe, aus den Schriften, die ihm heilig gewesen sind, wird ostentativ oder schon ganz selbstverständlich in katholischen Gottesdiensten vorgelesen, nicht länger muß er sich radikal von den Seinen gelöst haben und Jude zu sein aufgehört haben (nach einer milderen Bestimmung aus dem Jahr 1923 hätte er aufgrund seiner vornehmen Herkunft für die Aufnahme in den Jesuitenorden immerhin noch sechzehn nichtjüdische Ur-urahnen nachweisen müssen, nicht aber zwanzig, wäre also als getaufter Jude und erster Christ ordensunwürdig gewesen und nicht in die Gesellschaft aufgenommen worden, die nach ihm heißt und in seinem Namen...)

erspart geblieben ist es meiner Generation, in einer Zeit des Terrors sich als halbwegs anständig zu bewähren — verzeihlicher fände ich es, wenn ich mich in Todesangst um mein Leben blind und taub gemacht hätte gegen die Stimme des Gewissens, zur Rettung eines anderen mein Leben zu riskieren, als wenn ich am Beginn dieser Schreckenszeit an dem Späteren mich mitschuldig gemacht hätte durch ein Rasten auf einer Parkbank mit der Aufschrift „Nur für Arier“, durch das

Betreten eines Geschäftes, gekennzeichnet mit der feineren österreichischen Umschreibung „Juden unerwünscht!“, und nicht vorstellen kann und mag ich mir die Scham, die man empfunden hätte, Mitbürgern, wie man so sagt, begegnen zu müssen, die einen gelben Stern angeheftet tragen mußten —

so lese ich Ihnen ein etwa zwanzig Jahre altes Gedicht über die mir gottlob nur aus Photographien und Filmen bekannten Pein-und Schreckensbilder, die wohl jedem, der ein fühlendes Herz hat, unversehens aus alltäglichen Beobachtungen und harmlos gebrauchten, aber zeitlebens belasteten Wörtern aufsteigen — die Jüngeren unter Ihnen wissen vielleicht gar nicht mehr, daß zum Beispiel „abspritzen“ „tödliches Gift injizieren“ bedeutet hat; ich weiß nicht, ob ich sie deshalb beneiden wollte

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