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Ein Evangelium ohne Geschmack und Genich?
Nur Gerechtigkeit schafft Frieden, nicht der Markt, der sich jetzt wie ein heilbringendes, Friede und Wohlstand verheißendes System über den ganzen Globus auszubreiten scheint. Vielmehr ist er mit seinem Primat der ökonomischen Effektivität und seinem Gesetz der Kapitalvermehrung die Herausforderung aller drei Aufgaben des konziliaren Prozesses, der Arbeit für Gerechtigkeit, für den Frieden und die Bewahrung der Schöpf ung.
Die Dreifaltigkeit dieser Aufgabenstellung darf nun nicht als eine simple Addition dreier Probleme verstanden werden, als lüden sich die Kirchen in naiver Selbstüberschätzung gleich drei Probleme auf, von denen doch nicht einmal eines lösbar erscheint. Wir haben es vielmehr mit drei Aspekten eines Problemzusammenhanges zu tun. Zum Beispiel: Die Rüstung im Norden und der Waffenhandel mit dem Süden - also Friedensaufgabe -verschlingen das Brot der Armen -Gerechtigkeit - und zerstören die Umwelt - Schöpfung.
Ökonomische Ungerechtigkeit führt zur Rodung der Regenwälder am Amazonas durch landlose Bauern und transnationale Konzerne, das wieder schmälert den Gen-Pool der Erde und verändert das Erdklima, wie dargestellt im Baseler Dokument, Paragraph 14. Die Vorbereitungsgruppe für die Weltversammlung in Seoul hat daher beschlossen, den Kirchen eine Konzentration auf drei Probleme zu empfehlen, bei denen die gegenseitige Verflechtung der drei Bedrohungstendenzen besonders hervortritt. Ausgewählt wurden die internationale Schuldenkrise, die Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen und die Erhaltung der Erdatmosphäre.
Damit kommen wir von der Herausforderung zur Antwort der Kirchen. Ich möchte sie in drei Schritten entfalten: die Antwort der Kirchen im Zeugnis von Umkehr und Schalom, die Antwort der Kirchen als konziliarer Weg und die Antwort in einigen europäischen Konkretionen...
Hören wir nur wie Bonhoeffer vom Konzil sprach: „Nur das eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann so sprechen, daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und der Friede Christi ausgerufen wird über der rasenden Welt."
So konnte die Kirche vielleicht in konstantinischer Zeit sprechen, aber kann sie es in einer pluralistischen, säkularisierten, multireligiösen Welt? Vor allem: Darf sie so sprechen? Ist dies nicht Ausdruck eines Herrschaftsdenkens, das Einheit von oben und zentrali-stisch herstellen will? Ist es nicht das Einheitsdehken der „Pax Romana", des Herrschaftsfriedens durch einheitliche Lehre, einheitliches Recht und starke Zentralgewalt?
Die Harmonie des großen Kon-sensus - schwebt sie nicht über den realen Konflikten, die sie eher zudeckt als löst? Die lateinamerikanischen Bischöfe haben schon 1977 diesen christlichen Universalismus kritisiert:
„Wir können nicht mit denen unserer Brüder übereinstimmen, die dem Evangelium den Anschein einer universalen Botschaft geben wollen, die sich in neutraler und uniformer Art an alle richtet. Wir können es nicht akzeptieren, wenn man die Einheit der Kirche mittels eines Evangeliums herstellen will, daß auf allgemein gültige Abstraktionen reduziert worden ist, ein Evangelium ohne Geschmack, Geruch und Farbe, in dem alle Menschen gleich sind ohne den geringsten Bezug zu ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Position. Der Preis der Einheit kann nie und nimmer darin bestehen, daß wir unsere Entscheidung für die Armen aufgeben."
Nicht als Einheit über den Gegensätzen, sondern in den realen Konflikten vor Ort muß die Einheit der Kirche gewonnen werden. Dort haben Christen und Kirchen um die Verleiblichung des Evangeliums und die rechte Gestalt des Glaubensgehorsams zu ringen. Sie machen dabei die Erfahrung, daß die Frontlinien dieses Streites quer durch die Konfessionen gehen. Diesen Streit im gegenseitigen Sich-Befragen und Korrigieren durchhalten, ihn offenhalten im Unterwegssein miteinander - das nennen wir den konziliaren Prozeß.
Der Autor ist Propst der evangelischen Kirche in Erfurt (DDR). Auszug aus seinem Referat bei der Österreichischen Pastoraltagung Ende Dezember 1989.
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