7037847-1990_04_11.jpg
Digital In Arbeit

Ein Evangelium ohne Geschmack und Genich?

Werbung
Werbung
Werbung

Nur Gerechtigkeit schafft Frie­den, nicht der Markt, der sich jetzt wie ein heilbringendes, Friede und Wohlstand verheißendes System über den ganzen Globus auszu­breiten scheint. Vielmehr ist er mit seinem Primat der ökonomischen Effektivität und seinem Gesetz der Kapitalvermehrung die Heraus­forderung aller drei Aufgaben des konziliaren Prozesses, der Arbeit für Gerechtigkeit, für den Frieden und die Bewahrung der Schöpf ung.

Die Dreifaltigkeit dieser Aufga­benstellung darf nun nicht als eine simple Addition dreier Probleme verstanden werden, als lüden sich die Kirchen in naiver Selbstüber­schätzung gleich drei Probleme auf, von denen doch nicht einmal eines lösbar erscheint. Wir haben es viel­mehr mit drei Aspekten eines Pro­blemzusammenhanges zu tun. Zum Beispiel: Die Rüstung im Norden und der Waffenhandel mit dem Süden - also Friedensaufgabe -verschlingen das Brot der Armen -Gerechtigkeit - und zerstören die Umwelt - Schöpfung.

Ökonomische Ungerechtigkeit führt zur Rodung der Regenwälder am Amazonas durch landlose Bau­ern und transnationale Konzerne, das wieder schmälert den Gen-Pool der Erde und verändert das Erdkli­ma, wie dargestellt im Baseler Dokument, Paragraph 14. Die Vor­bereitungsgruppe für die Welt­versammlung in Seoul hat daher beschlossen, den Kirchen eine Konzentration auf drei Probleme zu empfehlen, bei denen die gegen­seitige Verflechtung der drei Be­drohungstendenzen besonders her­vortritt. Ausgewählt wurden die internationale Schuldenkrise, die Entmilitarisierung der internatio­nalen Beziehungen und die Erhal­tung der Erdatmosphäre.

Damit kommen wir von der Her­ausforderung zur Antwort der Kir­chen. Ich möchte sie in drei Schrit­ten entfalten: die Antwort der Kir­chen im Zeugnis von Umkehr und Schalom, die Antwort der Kirchen als konziliarer Weg und die Ant­wort in einigen europäischen Kon­kretionen...

Hören wir nur wie Bonhoeffer vom Konzil sprach: „Nur das eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann so sprechen, daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und der Friede Christi aus­gerufen wird über der rasenden Welt."

So konnte die Kirche vielleicht in konstantinischer Zeit sprechen, aber kann sie es in einer pluralisti­schen, säkularisierten, mul­tireligiösen Welt? Vor allem: Darf sie so sprechen? Ist dies nicht Aus­druck eines Herrschaftsdenkens, das Einheit von oben und zentrali-stisch herstellen will? Ist es nicht das Einheitsdehken der „Pax Ro­mana", des Herrschaftsfriedens durch einheitliche Lehre, einheitli­ches Recht und starke Zentralge­walt?

Die Harmonie des großen Kon-sensus - schwebt sie nicht über den realen Konflikten, die sie eher zu­deckt als löst? Die lateiname­rikanischen Bischöfe haben schon 1977 diesen christlichen Universa­lismus kritisiert:

„Wir können nicht mit denen un­serer Brüder übereinstimmen, die dem Evangelium den Anschein ei­ner universalen Botschaft geben wollen, die sich in neutraler und uniformer Art an alle richtet. Wir können es nicht akzeptieren, wenn man die Einheit der Kirche mittels eines Evangeliums herstellen will, daß auf allgemein gültige Abstrak­tionen reduziert worden ist, ein Evangelium ohne Geschmack, Ge­ruch und Farbe, in dem alle Men­schen gleich sind ohne den gering­sten Bezug zu ihrer gesellschaft­lichen, wirtschaftlichen und kultu­rellen Position. Der Preis der Ein­heit kann nie und nimmer darin bestehen, daß wir unsere Entschei­dung für die Armen aufgeben."

Nicht als Einheit über den Ge­gensätzen, sondern in den realen Konflikten vor Ort muß die Einheit der Kirche gewonnen werden. Dort haben Christen und Kirchen um die Verleiblichung des Evangeliums und die rechte Gestalt des Glau­bensgehorsams zu ringen. Sie ma­chen dabei die Erfahrung, daß die Frontlinien dieses Streites quer durch die Konfessionen gehen. Diesen Streit im gegenseitigen Sich-Befragen und Korrigieren durch­halten, ihn offenhalten im Unter­wegssein miteinander - das nennen wir den konziliaren Prozeß.

Der Autor ist Propst der evangelischen Kirche in Erfurt (DDR). Auszug aus seinem Referat bei der Österreichischen Pastoraltagung Ende De­zember 1989.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung