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Ein Fall für zwei

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Gepriesen und hochgehalten, verdammt und denunziert: Das Heldenzeitalter der Großen Koalition der Jahre 1945 bis 1966 erfuhr immer eine sehr wechselnde Deutung.

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Gepriesen und hochgehalten, verdammt und denunziert: Das Heldenzeitalter der Großen Koalition der Jahre 1945 bis 1966 erfuhr immer eine sehr wechselnde Deutung.

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„Ein Fall für zwei“ ist der Titel einer der zur Zeit beliebtesten Fernsehkrimiserien. Nicht weniger Spannung und Dramatik, freilich von ganz anderer Art, so wie sie nur erlebte Geschichte bietet, vermittelt das jüngste unter dem Titel „Die Zwei“ erschienene Werk von Manfried Rauchensteiner.

Es ist eine Geschichte der Großen Koalition der Jahre 1945 bis 1966. Genau genommen werden in diesem umfangreichen Werk die ersten zwei Jahrzehnte der Zwei-

ten Republik mit all ihren Höhen und Tiefen, mit ihren Zwischenspielen vor und hinter dem Vorhang, wieder in Erinnerung gerufen, beziehungsweise den Nachgeborenen nahegebracht.

Der bekannte Militärhistoriker hat sich für seinen Erkundungsritt in die österreichische Innenpolitik wohlvorbereitet. Kaum eines der einschlägigen Werke, sei es die bereits umfangreiche Memoirenliteratur, seien es die nüchternen Berichte von Akteuren oder Interpretationen von Zeithistorikern, blieb von ihm ungenutzt. Dazu kam die Absicht, bei aller Zurückhaltung auch eigene Akzente zu setzen und von persönlichen Deutungen nicht zu-rückzuscheuen.

So gewann das vorliegende Werk Farbe und Leben, und es läßt bei allem Bemühen um Objektivität den heißen Atem entscheidungsreicher Jahre spüren. Fern einer nüchternen Chronik oder eines Sachregisters von Regierungskrisen und Kabinettsumbildungen gibt es trotzdem einen guten Uberblick über das Personenkarussell der Politik zweier Jahrzehnte. Die Bilddokumentation der Kabinette, angefangen von der provisorischen Sta'atsregie-rung Renner über Figl I. bis hin zu Klaus I., ruft aber auch die zahlreichen Akteure der österreichischen Innenpolitik jener Jahre, die bis auf wenige längst ins Schattenreich hinübergewechselt sind, in Erinnerung.

„Ubi sunt qui ante nos?“ So möchte man die elegische Frage eines bekannten Studentenliedes wiederholen. Wo ist ein Oskar Helmer, dessen mutige Sonntagsreden in der sowjetischen Besatzungszone den moralischen Widerstand breiter Volksschichten gegen Willkür und Ungerechtigkeit mobilisierte? Oder ein Ferdinand Graf, der mit der dik-ken Zigarre im Mund in dunklen Jahren Gleichmut markierte und für die Exekutive und später für den Aufbau des Bundesheeres verantwortlich war?

Sind Persönlichkeiten wie der gelehrte liberale Innsbrucker Professor Franz Gschnitzer, dessen Reden im Nationalrat stets aufmerksame Zuhörer fanden, öder ein Sozialist der ersten Stunde wie Alfred Miksch heute noch in Gedichten der Nachwelt präsent? Zwei Namen, die für eine Reihe anderer stehen, denen unser Land viel verdankt und deren Geist und staatspolitisches Engagement kaum ebenbürtige Nachfolger gefunden hat.

Wie wenig haben mit unserer Gegenwart der „Staatsvertragskanzler“ Julius Raab und auch ein Bruno Kreisky mehr zu tun. Zwei Männer, mit deren Namen sich jeweils eine ganze Ära verbunden hat und die andere Regierungschefs heute als Ubergangskanz-

ler erscheinen lassen. Sie alle und die Zeit ihres Wirkens werden in dem vorliegenden Band wieder vor den Vorhang der Geschichte gerufen.

Die Große Koalition, als Zusammenarbeit zweier einstiger „Lager“, die sich anno 1934 in einem Bürgerkrieg gegenüberstanden, erfuhr in den letzten Jahrzehnten eine wechselnde Deutung. Als eine „Art Mirakel des Hauses Österreich“. 1945 gepriesen und lange als Lebensgesetz der Zweiten Republik hochgehalten, wurde sie in ihrer Spätphase als „Faulbett“ und üble Packelei denunziert, bevor nach wechselnden Alleinregierungen in den Jahren des rot-blauen Regierungsbündnisses der Ruf nach Erneuerung der Regierungsformel der ersten Stunde zur Bewältigung verschiedener durch Fehlentscheidungen eingeleitete Entwicklungen immer lauter wurde.

Nun haben wir seit über einem Jahr wieder eine Zusammenarbeit der beiden großen Parteien. Zum Unterschied von der Großen Koalition des Heldenzeitalters der Zweiten Republik nach 1945 wird diese große Koalition, die sich als Sanierungs- und Erneuerungsgemeinschaft versteht, von den Redakteuren immer mit klei-

nem „g“ geschrieben.

Dabei stößt man auf ein Phänomen. Während Bruno Kreisky bekanntlich von der Großen Koalition 1966 nur zögernd Abschied nahm, da er nach ihrem Ende ein „Aufbrechen alter Gegensätze und Reminiszenzen in der Innenpolitik, deren Konsequenzen sich recht schwer abschätzen ließen, befürchtete“, erleben wir gegenwärtig genau eine Situation, die Kreisky vor zwei Jahrzehnten für die unmittelbare Zukunft sich ausmalte. Und das alles, obwohl am Ballhausplatz wieder eine große Koalition regiert.

Koalition hin oder her. Die Enkel sind drauf und dran, die Erkenntnisse der Väter gering zu achten und mangels eigener Ideen geistige Anleihen bei den Großvätern zu nehmen.

Ohne Zweifel, ein Hauch von Erster Republik weht wieder durchs Land. Ob Bücher wie das vorliegende, das neben einer fesselnden Geschichtsbetrachtung auch Aufschluß über die Vorteile konstruktiver Zusammenarbeit gibt, zur Besinnung beitragen können?

Wir möchten es hoffen.

DIE ZWEI. Die Große Koalition, Osterreich 1945 bis 1966. Von Manfried Rauchensteiner. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1987. 576 Seiten, Ln., öS 580,-.

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