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Ein Fall von Vergessenheit

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Die Beziehung zwischen Zemlinsky und Mahler reicht in das Jahr 1897 zurück. Bereits damals interessierte sich Mahler nach dem Erfolg der „Sarema“ für den jungen Komponisten und ließ in München anfragen, ob er das Werk während seiner Deutschlandtoumee sehen könne. Eine Aufführung der „Sarema“ in Wien kam nicht zustande, aber Mahler nahm Zemlinskys nächstes Bühnenwerk, die Märchenoper „Es war einmal“, zur Uraufführung an der Hofoper an. Nachdem Mahler Musik und Text im Einvernehmen mit Zemlinsky überarbeitet hatte, wurde die Oper am 31. Jänner 1900 unter seiner Leitung uraufgeführt. Daß Mahler Zemlinskys Ballettkomposition nicht aufführte, beweist sein künstlerisches Verantwortungsbewußtsein, das die Bedenken gegen Hofmannsthals Szenar höher stellte als den Wunsch, seinen jüngeren Kollegen durch eine Aufführung mit zweifelhaften Erfolgsaussichten zu „fördern“. In den Orchesterkonzerten der „Vereinigung“ dirigierte Mahler eigene Lieder sowie die Wiener Erstaufführung der „Sinfonia domestica“ von Strauss, Schönberg die Uraufführung seiner symphonischen Dichtung „Pelleas und Melisan-

de“ und Zemlinsky die Uraufführung seiner Orchesterphantasie „Die Seejungfrau“ (nach einem Märchen Christian Andersens). ,

Seit der Zusammenarbeit in der „Vereinigung“ vertiefte sich der persönliche Kontakt zwischen Mahler und Zemlinsky und dessen Freund Schönberg. Beide verkehrten häufig in Mahlers Haus, besuchten ihn während seiner Sommeraufenthalte in Maiernigg und nahmen regen Anteil an seinem Schaffen. Zemlinksy fertigte den Klavierauszug zu Mahlers VI. Sinfonie an, begleitete ihn nach Prag zu den Proben und der Uraufführung der VII. Sinfonie und nach Graz zur österreichischen Erstaufführung der „Salome“. Mahler nahm Zemlinskys dritte Oper „Der Traumgörge“ - nach einem Libretto von Leo Feld - zur Uraufführung an.

Im Gründungsjahr der „Vereinigung“ 1904 hatte Zemlinsky nach vier Jahren Operettenfron eine Stellung erhalten, die seinen Fähigkeiten angemessen war: Er war erster Kapellmeister der Volksoper geworden, die Rainer Simons im gleichen Jahr ins Leben gerufen hatte. Endlich bot sich Zemlinsky die Gelegenheit, das Opemrepertoire zu erarbeiten.

An der Wiener Volksoper gelangen Zemlinsky denkwürdige Aufführun gen, die auch von der Kritik lobend anerkannt wurden; und die musikalische Öffentlichkeit begrüßte es, daß der Spielplan der Hofoper eine Ergänzung erfuhr, wenngleich die Kräfte für eine echte Konkurrenz nicht ausreichten. Bei der Zusammenarbeit mit den Sängern und Instrumentalisten der Volksoper, die den von Zemlinsky gestellten anspruchsvollen Aufgaben manchmal kaum gewachsen schienen, entwickelte Zemlinsky jene minutiöse Probentechnik, die ihm später ermöglichte, Werke der Wiener Schule mit Musikern auszuführen, die mit dem neuen Stil ähnliche Schwierigkeiten haben mochten, wie ehedem ein mäßig begabter Tenor der Volksoper mit der Partie des Tannhäuser.

Im Frühjahr.j.907 verpflichtete Mahler schließlich Zemlinsky an sein Haus, da dessen Erfolge an der Volksoper dieses Engagement rechtfertig-

ten und den etwaigen Vorwurf der Protektion entkräfteten. Im Herbst debütierte Zemlinsky in der Hpfoper mit Verdis „Otelio“ und sein „Traum- görge“ Wurde einstudiert, dessen Ur aufführung für das Frühjahr 1908 geplant war. Da reichte Mahler zum Ende des Jahres 1907 seine Demission als Hofopemdirektor ein, eine Ent- Scheidung, die Zemlinsky schwer traf. An Alma Mahler schrieb er: „… schließlich geht jetzt leider Ihr langjähriger Wunsch in Erfüllung: Direktor Mahler geht von der Oper weg! und da fängt meine Leidensgeschichte an. Ich kann mir vorläufig gar nicht vorstellen, wie es überhaupt wird und für mich im Besonderen. Für mich ist das direkt ein Unglück zu nennen! ich weiß genau, was ich für alle Fälle, wer immer der Nachfolger sein wird, verliere. Ich bin auch in einer furchtbaren Verfassung.“

Nachfolger Mahlers wurde der allzugewandte Felix Weingartner, der bemüht war, alles möglichst anders zu machen als Mahler. So wurde auch die Uraufführung von Zemlinskys Oper abgesetzt. Mahler schrieb Zemlinsky aus Amerika: „Lieber Freund!… Leider waren mir die Mitteilungen über Ihre Abenteuer mit dem neuen Regime nicht unerwartet. Trotzdem hätte ich nicht gedacht, daß Weingartner sein Versprechen, vor allem anderen Ihre Oper herauszubringen, so ohne weiteres ignorieren werde. Das ist fatal für Sie, wie ich mir leicht konstruieren kann. Überhaupt fühle ich mich sehr mitschuldig, wenn auch ,ohne Schuld', und ich habe sehr häufig,Gewissensbisse. Aber - wer konnte das alles voraussehen!“ Zemlinsky bat, maßlos enttäuscht, um seine Entlassung, die Weingartner „sehr gerne“ bewilligte, und kehrte zur Spielzeit 1908/09 an die Volksoper zurück.

1906 heiratete Zemlinsky Ida Gutt- mann, die Schwester seiner Jugendliebe Melanie Guttmann; aus dieser ersten Ehe stammte Zemlinksys einziges Kind, Johanna, das 1908 geboren wurde. Ida Zemlinsky starb 1929 in Berlin. Ein Jahr später heiratete Zemlinsky dort die Prager Sängerin Luise Sach- sel (geboren 1900), die heute in New York lebt.

Während des zweiten Engagements an der Wiener Volksoper gipfelte Zemlinskys Kapellmeistertätigkeit in der Wiener Erstaufführung von Dukas’ „Ariane et Barbe-Bleue“ nach Maeterlincks gleichnamigem Drama - bei der Einstudierung assistierte ihm Franz Schrecker - und von „Salome“, deren Aufführung an der Hofoper von der Zensur verboten worden war. Bereits während seines zweiten Engagements an der Wiener Volksoper setzte also Zemlinsky Novitäten im Spielplan durch, um auch in der Oper über die zeitgenössische Produktion zu informieren, eine Konzeption zur Erziehung des Publikums, die er dann in Prag noch intensiver durchführen konnte.

Auch die Produktion des Komponisten Zemlinsky erreichte in dieser Zeit einen Höhepunkt: um das Jahr 1908 entsteht die Oper „Kleider machen Leute“, der die Kellersche Novelle zugrunde liegt und die sicher die lebensfähigste Oper Zemlinskys war; sie wird 1910 in der Volksoper unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Im gleichen Jahr erklingen erstmalig der „23. Psalm“ für Chor und Orchester mit dem Wiener Philharmonischen Chor unter der Leitung Franz Schrekers und die Materlinck- Gesänge (in der Klavierfassung), die vielleicht neben der „Lyrischen Symphonie“ aus den zwanziger Jahren die bedeutendste Komposition Zemlinskys sind.

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