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Ein familienfreundlicher Wohnbau scheitert auch an den Familien selbst

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Die modernen Wohnungen sind zu klein, zu teuer, familienfeindlich und ermöglichen keine Kontakte zwischen Familie und Gemeinschaft. Und wer ist daran schuld? Der Gesetzgeber? Die Gesellschaft? Die Baumeister? Oder die Architekten? Keiner ist an der Misere Wohnbau „unschuldig”, aber auch jeder einzelne von uns trägt wenig dazu bei, die Situation zu verbessern.

Die Debatte um die Förderung des Wohnbaues konzentriert sich - zumeist aus politischen Gründen - in erster Linie auf die finanzielle Frage und vernachlässigt fast völlig die Notwendigkeit einer Änderung der Wohn- struktur. Nur so ist es zu erklären, daß es zu Förderungsbestimmungen kommen konnte, durch die alles, was nicht Wohnraum ist, weniger gefördert wird - also Kinderspielplätze, Einkaufszentren, Bildungseinrichtungen usw. - und daß Garagen besser gefördert werden als jede Art der Infrastruktur.

Das sind Bestimmungen, die Familien-, Kinder- und Kommunikationsfeindlichkeit Vorschub leisten. Obwohl man auch im Bautenministerium nicht gerade der Meinung ist, daß das Gesetz den heutigen Bedürfnissen entspricht, steht eine Änderung der Förderungsbestimmungen anscheinend gar nicht zur Diskussion.

Den Baumeistern wird vorgeworfen, sie bauten ausschließlich gewinnorientiert, den Architekten, sie verstiegen sich in kostspielige und undurchführbare Phantasiemodelle, und den Genossenschaften, sie gingen den Weg des geringsten Widerstandes und arbeiteten lieber mit Baumeistern und Architekten - zusammen, weil diese weniger Schwierigkeiten (als etwa Wohnungsuchende) machen.

Zweifellos sind diese Vorwürfe in vielen Fällen berechtigt. Dennoch: die finanzielle Frage ist zwar sehr wichtig, aber keineswegs allein ausschlaggebend. Vielfach ist es auch die man gelnde Gesprächsbereitschaft der Architekten und Baumeister oder das Ignorieren der Bedürfnisse der Wohnungsuchenden, die aber selbst ein großes Problem darstellen.

Im Rahmen einer vom Bautenministerium finanziell unterstützten Wettbewerbsreihe „Wohnen morgen” haben Architekten unter großem persönlichen Einsatz (Prof. Uhl in Hollabrunn, Prof. Huth in Deutschlandsberg und Prof. Matzinger in Linz-Leonding) den Wohnungsuchenden die Möglichkeit gegeben, an der Detailplanung ihrer Wohnungen mitzuwirken.

Mit diesen und ähnlichen Mitbestimmungsmodellen haben Architekten und Genossenschaften recht unterschiedliche, zumeist aber betrübliche Erfahrungen gemacht. Es hat sich gezeigt, daß ein großer Teil der Wohnungswerber total überfordert ist. Menschen, die nie gelernt haben, ihr Leben aus eigenem Bewußtsein zu gestalten, stehen der Frage der Gestaltung ihrer Wohnung völlig hilflos gegenüber. Dazu kommt, daß der Wohn- bau-Laie keinerlei Informationen darüber hat, worauf er beim Kauf und bei der Einrichtung einer Wohnung zu achten hat. Fragen der Schall- und Wärmedämmung sind ihm ebenso fremd wie rechtliche und finanzielle Überlegungen.

In manchen Fällen sind die Wohnungsuchenden in der Lage, den Grundriß ihrer Wohnung mit Hilfe eines Architekten zu gestalten, die Bildung einer Hausgemeinschaft aber hat sich bisher überall als unmöglich erwiesen, selbst dort, wo Hobbyräume oder auch Kommunikationszentren eingeplant wurden. Die mit viel Geld errichteten Räumlichkeiten blieben entweder ein ständiges Streitobjekt zwischen den Bewohnern oder unbe- nützt.

In krasser Form zeigt sich die Unfähigkeit zur Kommunikation und zur Gemeinschaft im Text der Hausordnungen, in denen die Forderung nach Ruhe an erster Stelle steht und lautes Sprechen im Stiegenhaus verboten ist. In Dänemark gibt es seit Jahrzehnten Laubengänge. Architekt Mühlewalde hat in der Schweiz sogar Laubenstraßen in den Stiegenhäusem gebaut, in denen Kinder spielen und die Mütter gemeinsam ihre Kinder beaufsichtigen. Bei uns sind nicht einmal Ansätze zu einer solchen Gemeinschaft vorhanden.

Solange Wohnungsuchende aus finanziellen Gründen zur Mietwohnung - sogar als endgültige Lösung- greifen müssen, ist keine Verbesserung der Wohnstruktur zu erwarten. Das trifft im besonderen auf den sozialen Wohnbau und hier vor allem auf den Gemeindebau in Wien zu.

Die Argumentation der Stadt Wien konzentriert sich nach wie vor auf die Anzahl der gebauten Wohnungen und wird vom politischen Gegner immer wieder in diese Richtung gedrängt. Dabei werden die Gestaltung der Wohnungen, die Bedürfnisse der Wohnungsuchenden und ganz besonders die Infrastruktur stark vernachlässigt.

Eine Alternative für den sozialen Wohnbau in Wien glaubt Architekt Glück gefunden zu haben. Obwohl, wie er sagt, sein Wohnbau weniger kostet als der Gemeindebau, wird er sowohl von der Gemeinde Wien als auch vom Bautenministerium ignoriert.

Glück stattet die Wohnbauten mit Schwimmbad auf dem Dach, mit Sonnendeck, Sauna und gedecktem Kinderspielplatz aus, und ist der Meinung, daß sich diese Freizeitangebote positiv auf das Gemeinschaftsleben in den Häusern auswirken.

Wenn die Hausbewohner die Voraussetzungen auch von vornherein nicht mitbringen - vielleicht lernen sie die Bereitschaft zu Kommunikation und Gemeinschaft im Wohnhaus, wenn das entsprechende Angebot da ist?

Was bedeutet das? Einerseits, daß es sehr bequem wäre, die Schuld an der Zerstörung der Familie und der Kommunikation den Baumeistern, den Genossenschaften und Architekten in die Schuhe zu schieben. Anderseits, daß positive Versuche in den meisten Fällen an der Unfähigkeit oder Unwilligkeit zur Gemeinschaft in und außerhalb der Familie scheitern. Die geschilderte Situation zeigt aber auch, daß Mitbestimmung ein Lernprozeß ist, der bereits in der Familie beginnen und in der Schule und am Arbeitsplatz fortgesetzt werden muß.

Die Situation des Wohnbaues spiegelt somit unsere gesamte gesellschaftliche Situation und ihre Wertigkeiten deutlich wider. Eine Veränderung kann nicht durch die Politiker und Fachleute allein erfolgen, sie muß auch von jedem einzelnen in Angriff genommen weden.

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