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Ein Fest, das zur Umkehr provoziert ?

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Fast ein Jahr ist seit dem österreichischen Katholikentag vergangen. In der Bundesrepublik Deutschland versammeln sich die Katholiken regelmäßig alle zwei Jahre zu einer solchen Großveranstaltung.

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Fast ein Jahr ist seit dem österreichischen Katholikentag vergangen. In der Bundesrepublik Deutschland versammeln sich die Katholiken regelmäßig alle zwei Jahre zu einer solchen Großveranstaltung.

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Am Ende der sich für die Dauer von vier Tagen über die bayerische Landeshauptstadt ergießenden Veranstaltungsflut—es waren immerhin etwa 1.000 insgesamt — mag wohl nicht nur für den Gast aus Österreich, sondern auch für viele der an einzelnen Tagen bis zu 140.000 Teilnehmer die Frage nach den Konsequenzen aus den Gesprächsformen, den Vorträgen, den Diskussionen gestanden sein. Gewichtig genug waren die unter dem Motto „Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt", einem Wort des von den Nazis hingerichteten Jesuiten Alfred Delp, behandelten Themenbereiche.

Die lebendige Gemeinde und die Weltkirche, die Situation der Frau in der Kirche, in der Gesellschaft standen ebenso im Mittelpunkt von Veranstaltungsreihen wie — noch immer — das Thema Frieden. Probleme der Arbeitswelt (mit dem heißen Eisen Jugendarbeitslosigkeit) wurden ebenso diskutiert wie die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik, vielschichtig kamen die Aspekte menschlichen Lebens — von der Umweltverantwortung über das Leben mi^ Behinderung und die Sterbehilfe bis zu Anti-Abtreibungs-Initiativen und die Situation der Familie zu Wort.

Dennoch zeichneten sich einige Schwerpunkte ab — deutlich gemacht vor allem durch fallweise Tausende von überwiegend jugendlichen Zuhörern und zum Bersten volle Veranstaltungsorte.

Da hat einmal das Thema Frau gerade auch bei den Dreißig- bis Fünfzigjährigen an Brisanz gewonnen, sind erste scheue „Kundschafter" aus der Männerwelt (so Paul Zulehner in seinem Referat), die auseinandersetzungsbereit sind, nicht mehr zu übersehen. Dies dürfte die nun demnächst sich bereits wieder zur Planung des Katholikentages 1986 in Aachen versammelnden Verantwortlichen hoffentlich die beschämend geringe Zahl von weiblichen Vortragenden und Po-diumsdiskutanten überdenken lassen.

Wie zu erwarten, hat die brisante Arbeitsmarktsituation die Frage nach dem Sinn der Zukunft der Arbeit, nach den Auswirkungen der technologischen Entwicklungen und nach der Rolle der Kirche, der Christen dabei als zentral herausgestellt. Die mit Berufung auf menschliche Würde und christliche Solidarität möglichten Lösungsschritte bleiben freilich weiterhin fromme Wünsche, die „Umkehr" christlicher Unternehmer, christlicher Gewerkschafter — von Andersgesinnten gar nicht zu reden — geschieht nicht auf Katholikentagen.

Daß theologische Maßstäbe den Umgang mit unserer Umwelt, das verantwortliche Handeln in der Schöpfung künftig stärker bestimmen sollten, fand — als dritter Schwerpunkt dieses Katholikentages — wohl die Zustimmung einer Mehrheit der jugendlichen Teilnehmer, weniger jener Podi-umsdiskutanten, gegen deren Eigeninteressen solche Maßstäbe gerichtet sind.

Emotionsfreier, sachlicher als in vergangenen Jahren wurde bei diesem Katholikentag mit dem Thema Frieden umgegangen. Wenngleich aufgrund der Erwartungen der Veranstalter die dafür zur Verfügung gestellten Räume immer wieder vorübergehend gesperrt werden mußten, gehörten sowohl ethisch-theologische wie auch friedens- und sicherheitspolitische Fragen betreffende Podiumsdiskussionen zu den interessantesten und informativsten.

Wie schon in Düsseldorf 1982 erfreuten sich alle Gottesdienst-Angebote der Besinnung und Meditation, aber auch der Beichte, großen Zuspruchs. Akzente bayerischer Katholizität setzten fünf Wallfahrten (unter anderem eine des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend nach Dachau) und eine Marienfeier in der Stadtmitte.

Plätze, Straßen und Kirchen eines ganzen Stadtviertels — des im Südosten gelegenen Haidhausen — waren zu einem Stadtteil für die Jugend umfunktioniert. Der Happening-Charakter solcher Treffs von im Parkrasen picknickenden oder hingebungsvoll musizierenden oder vor sich hinträumenden Jugendlichen läßt freilich danach fragen, ob solche „Feste" eigentlich eines Katholikentages bedürfen.

Dieoffene Atmosphäre von B ay-erns Hauptstadt prägt nicht nur die Einladung an die Katholikentagsteilnehmer, in einer der 127 Münchner Pfarren einen Nachmittag lang das „Leben an der Basis" mitzumachen. Auch die umstrittene Initiative „Kirche von unten" — als Gegenveranstalter den hierarchischen Groll ihrer Themen ebenso wie ihrer Referenten wegen provozierend — tagte gut bayerisch im Löwenbräu-keller oder im Pschorr-Keller und diskutierte gesprächsbereit mit dem offiziellen Katholikentag „Gemeindevorstellungen im Widerstreit".

Gerüstet für den Katholikentag hatte sich auch das kulturelle München. Nich nur das Nationaltheater (mit Arthur Honeggers „Johanna auf dem Scheiterhaufen"), das Gärtnerplatztheater (mit einem Hiob-Oratorium von Luigi Dallpiccola), sondern auch „Der bayerische Jedermann gespielt von Laien", und zahlreiche geistliche Konzerte wurden aufgeboten. Dazu kamen literarische Veranstaltungen über katholische Kindheit, Gott im Kinderbuch, die Religiosität von Märchen und zeitgenössische christliche Lyrik — zum Teil prominent besetzt.

Dem Beitrag der Kunstmetropole München um 1900 zur Erneuerung christlicher Kunst trug die überaus eindrucksvolle Ausstellung „München leuchtete" mit Werken von Karl Caspar, Lovis Corinth, Paul Gauguin, Max Sle-vogt, Franz Stuck und vielen anderen Rechnung, auch zeitgenössischer religiöser Kunst waren einige Ausstellungen gewidmet.

Was ist er nun wirklich, ein solcher Katholikentag? Gerade aus der nur kurz zurückliegenden österreichischen Erfahrung weiß man um die leicht enttäuschte Hoffnung auf die nachfolgende Bearbeitung des dort Aufgebrochenen, um die rasche Einebnung in seelsorgliche Alltagsroutine. Darf aber die sicher notwendige Information und Konfrontation der Gläubigen, darf die Befriedigung bestimmter religiöser Bedürfnisse gemeinsam mit Gleichgesinnten, dürfen Begegnungsund Gesprächsmöglichkeiten dieser unkomplizierten Art, darf diese Repräsentation in einer weitgehend fernstehenden Gesellschaft tatsächlich etwa 80 Millionen Schilling kosten — in zwei Jahren wieder?!

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