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Ein Fest der Lebensfreude

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Der Papst war da, und er hat etwas bewirkt. Wer das nicht spürt, will es nicht spüren. Er hat Österreich nicht über Nacht gläubig gemacht, weil er kein Hexenmeister ist. Aber er hat zum Nachdenken über Glauben angeregt, zum Nachdenken über den Menschen, über Sinn und Ziel des Lebens, des Leidens und des Sterbens, und er hat Freude ausgestrahlt.

Er hat vor allem Freude ausgestrahlt. Das ist die frohe Botschaft dieses Papstbesuches: eine Ermunterung zur Lebensfreude.

Johannes Paul II. kam nicht mit tausend „Du sollst nicht“ und „Du darfst nicht“, sondern mit der umfassenden Botschaft des Evangeliums: Der Mensch ist kein Zufall, kein Tropfen im Weltmeer. Er ist Bild Gottes, zur Unvergänglich-keit erschaffen, erlöst, geliebt und zum Lieben berufen.

Jeder Mensch ist Hüter seiner Brüder und Schwestern, Hüter der Erde und aller Schöpfung, selbst gehütet von und geborgen in Gott. Er kann mehr denn je bewirken, aber er darf nicht alles tun, was er kann. Er ist Teil der Natur, aber auch in Spannung zu ihr. Er braucht Technik, darf diese aber nicht mißbrauchen. Er besteht aus Seele und Leib, braucht Nahrung für beide, und beides bietet die Schöpfung ihm an.

Das war die Botschaft, die der Papst unablässig verkündete, und sie hat Tausende berührt, viele überwältigt — bei uns und jenseits der Grenzen. Auch dort hat der Papst mit dieser Verkündigung ungleich mehr erreicht, als wenn er „Pfui Marx!“ über den Eisernen Vorhang gerufen hätte.

Mit vielen Veranstaltungen wurden sprechende Zeichen gesetzt. Daß er in fünf Sprachen (Deutsch, Ungarisch, Serbokroatisch, Slowenisch, Italienisch) redete, ließ plötzlich das alte, übernationale Österreich geistig erstehen und die Konsequenz erkennen: Heimat völkischer Vielfalt zu sein, ist eine Bereicherung! Was hundert Volksgruppenratssitzungen nicht zustandebringen, macht Kirche möglich: die Versöhnung der Zungen in Österreich, auch in Kärnten.

Begegnungen der Versöhnung mit Juden und Christen anderer Bekenntnisse waren gleichfalls von geschichtsmächtiger Zei-chenhaftigkeit. Daß sie stattfanden und daß sie so stattfanden, war ungleich sensationeller als das, was fehlte.

Manchen Juden fehlte eine Ver-urteüung speziell österreichischer NS-Verbrechen — aber der Papst verurteüt nie ein Volk mit Namen. Daß wir in Mauthausen gemeint waren („Löschen wir nicht in unserem Bewußtsein die Spuren der alten Verbrechen aus?“), kann wohl niemand bezweifelt haben.

Auch viele Katholiken verstehen nicht, warum der Heüige Stuhl Israel nicht anerkennt. Auch viele Katholiken hätten ein Einbekenntnis der Mitschuld der Kirche am Antisemitismus begrüßt - aber wegen seines Fehlens die ergreifende Mauthausen-Meditation des Papstes „ungeheuer beschämend“ (Erwin Ringel) zu finden, weckt Zweifel am psychologischen Maßstab der Messenden.

Beim ökumenischen Gottesdienst in Salzburg fiel einiges äußerst erfreulich auf: das gleichwertige Sitzen aller Teilnehmer, der biblisch-brüderliche Predigerton des evangelischen Bischofs, die Herzlichkeit des griechisch-orthodoxen Metropoliten, die Brudergesten der Altkatholiken (die vor 118 Jahren wegen des Papstdogmas die Kirche verließen) und auch die kritische Frage des Papstes nach dem Amtsverständnis der Protestanten.

Hier ebenso wie bei den Juden gab es Ansätze zu einem echten Dialog. Aber eben nur Ansätze. Irgendwie hat man den Eindruck, die Redenschreiber des Papstes hielten es für seiner nicht würdig, mit anderen in einen Austausch von Argumenten einzutreten. Besonders schmerzvoll wurde das beim Treffen mit Jugendlichen offenbar: Statt sich den ehrfürchtig, aber schonungslos geschilderten Realitäten freimütig zu stellen, las der Papst seine theologische Rede ab.

Auch in Lorch tat er dies, nachdem in einer der eindrucksvollsten Inszenierungen der ganzen Woche Menschen aus der industriellen und bäuerlichen Arbeitswelt ihre Sorgen und Ängste vorgetragen hatten.

Trotzdem; Das getanzte Te Deum und der spontane Dank des Papstes auch dafür versöhnten rasch. Die Konsequenzen für die Reisemarschälle des Papstes sind klar: kürzere Reden, weniger Theologie, mehr Alltagsbeziehung und mehr Dialog, Platz und Zeit für das, was diesen Papst unwiderstehlich macht: Begegnung, Spontaneität, Gesten der Demut gegenüber Kindern, Kranken, Alten, Hilfebedürftigen.

Das, was die katholische Kirche in Österreich in jüngster Zeit beschäftigte, schnitt der Papst nur am Rande an: die Stellung der Frau (neben Maria nur die heüige Hemma als Vorbüd?), die rechte Gewissensbildung, Bischofsernennungen (kein Wort davon).

Ein Schlüsselsatz fiel vor den Vertretern von Wissenschaft und Kunst in Salzburg: Die Wahrheit wird euch frei, aber nicht die Freiheit wahr machen! Das stimmt zwar, aber wie manche es auslegen (Weihbischof Kurt Krenn:' Der Papst irrt nicht, die Kirche kann zwar historische Schuld, aber nicht Irrtum zugeben), erweist die unaufhebbare Spannung, mit der viele auch nach diesem großartigen Papstbesuch als Christen weiterleben müssen.

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