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Ein Fest für Bruno Kreisky

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Nach der Annahme des mehr als zwei Jahre diskutierten neuen Programms der Sozialisten stellen sich für den politisch interessierten Österreicher zahlreiche Fragen: Hat sich das geistige Profil dieser Partei geändert? Wird sich das neue Programm in irgendeiner Form auf das tägliche Handwerk der regierenden Sozialisten auswirken? Oder wird sich herausstellen, daß die öffentliche Diskussion die programmatischen Äußerungen der Regierungspartei überbewertet hat?

Zuerst einmal ist es sicherlich zu begrüßen, wenn eine große Partei das Grundgerüst ihrer Werteordnung, ihrer Ideenwelt in der Öffentlichkeit diskutiert. Hier wird auch der weltanschauliche Gegner der Sozialisten zugestehen müssen, daß es ihnen gelungen ist, mit einem anfangs durch neulinke Ansätze provozierend überladenen Entwurf in breiten Kreisen politisch Engagierter, nicht nur der Sozialisten, ein gewaltiges Echo auszulösen.

Erheblichere Abänderungen gegenüber dem seit dem Grazer Parteirat vor einem halben Jahr diskutierten Entwurf wurden im Kapitel „Sozialismus und Religion“ vorgenommen, wo sich zu einem guten Teil die Wünsche des Tiroler Landeshauptmannstellvertreters und ACUS-Vorsitzenden Herbert Saldier niedergeschlagen haben, ferner in der Abgrenzung gegenüber dem Kommunismus sowie in der Frage der Entscheidungs- und Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft.

In dieser Frage ist es innerhalb der Partei bis zuletzt zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten gekommen: Ursprünglich sollte sich das Programm darauf beschränken, eine Demokratisierung oder Änderung der Entscheidungsverhältnisse in der Wirtschaft zu verlangen und das unter dem Stichwort „Verstaatlichung“ eingegrabene heiße Eisen der Eigentumsverhältnisse nicht anfassen. Nun aber heißt es im Programm: „Die Sozialisten wollen die Entscheidungsund Eigentumsverhältnisse so gestalten, daß einerseits die größtmögliche Entfaltung und Mitverantwortung des einzelnen, anderseits die Verwirklichung gesellschaftlicher 2iele möglich wird.“

Die Verbeugung vor den wählend scheidenden Christen sowie die Verbeugung vor dem innerparteilich immer noch entscheidenden Kampf gegen den freien und „reaktionären“ Unternehmer kommt im Programm also schriftlich zum Ausdruck.

Zur Verbeugung vor Karl Marx und Friedrich Engels trat am Freitag Parteivorsitzender Bruno Kreisky selbst vors Rednerpult. Das wird seinen guten Grund haben: In der österreichischen Wählerschaft firmiert Kreisky nicht gerade als grundsatztreuer Marxist, insbesondere sein Auftreten gegenüber Nichtmarxisten - den Liberalen, den Katholiken - macht Kreisky in den Kernschichten der eigenen Partei suspekt.

An jene Kritiker seiner Partei, die immer wieder meinen, die sozialistische Regierung nütze ihre Verantwortung und ihre Mehrheit zuwenig, um sozialistische Politik zu betreiben, richtete Bruno Kreisky seine Worte, als er sagte: „Nichts ist mir mehr zuwider, als jene leichtfertige Art, mit der oft Menschen in der Politik Gedankengut über Bord zu werfen bereit sind - aus schierem Opportunismus.“

Setzt man die mit großer Rücksichtnahme auf eigene Randgruppen wie auf Kernschichten geführte Programmdiskussion, das nun beschlossene Programm und den ganzen Parteitag in Beziehung zueinander, so ergibt sich ein aufschlußreiches Bild: Das Bild einer erfolgreichen Partei, die gleich einer siegreichen Armee viele Schlachten gewonnen und viele neue Landstriche in Besitz genommen hat, nun aber mit Nachschub- und Versorgungsproblemen zu kämpfen hat: Aus einem einzigen Programm sollen mehr als 50 Prozent der Wähler ihre geistige Nahrung beziehen und satt werden. Was wunder, daß das Urteil nun „mehrdeutig und unentschieden“ lautet, daß das Programm teilweise auch den Charakter einer Wahlplattform für 1979 hat?

Möglicherweise brachte der Parteitag auch einen auffallend konservativen Zug der SPÖ zum Ausdruck: Am Höhepunkt ihrer Macht zeigt sie kein Interesse, eigene Strukturen und parteiinterne Einflußbereiche auch nur ansatzweise in Frage zu stellen. Die beiden Kronprinzen Leopold Gratz und Hannes Androsch hatten ihren proporzmäßigen Auftritt, die beiden Zentralsekretäre Fritz Marsch und Karl Blecha zogen gleichermaßen gegen die ÖVP und die „bürgerliche Reaktion“ vom Leder.

Nur der Linzer Universitätsprofessor Ewald Nowotny warnte vor einer Trennung von „Festtags- und Alltagssozialismus“. Man kann ihn verstehen: Der Bücherstand bot mindestens sieben verschiedene Titel von und über Bruno Kreisky; nach Kreiskys Rede erhoben sich die Delegierten von ihren Sitzen und spendeten eine Minute im Stehen Applaus; ansonsten nahm der Chef die Ovationen auch durch die Reihen spazierend entgegen, während vorn am Rednerpult die Spitzen der Partei ihren Auftritt hatten.

So betrachtet hatte der jüngst dargebotene Festtagssozialismus nur einen einzigen Tagesordnungspunkt: Bruno Kreisky.

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