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Ein Festival eigener Art

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Wenn die Steiermark im. Jahr 1968 mit dem Steirischen Hebst eine neue kulturelle Veranstaltungsfolge ins Leben gerufen hat, so nicht deshalb, um den europäischen Festspielreigen um irgendeine Veranstaltung zu vermehren, sondern um eine Lücke zu füllen, die damals besonders spürbar war: nämlich die mangelnde Präsentation zeitgenössischer Kunst in Österreich. Heute noch ist der Steirische Herbst das einzige zeitgenössische Festival unseres Landes.

Die deutsche Zeitung „Die Welt” hat für den Steirischen Herbst folgende Charakterisierung gefunden: „Alles wird in der Hauptstadt der Steiermark anders gemacht als anderswo. Nicht die schönen Schätze der Vergangenheit werden hier präsentiert. Man stellt sich der Gegenwart, schlägt Pfade in die Zukunft. Beschränkt sich nicht auf eine Kunstgattung, sondern ist bemüht, so universal wie möglich zu sein. Wendet sich nicht an die Reise-Festivaliers, die sich am Star-Luxus delektieren, sondern an die intellektuelle und jugendliche Elite der Stadt, des Landes.”

Tatsächlich sprengen Richtweite und Gestaltung des Programmes den üblichen Rahmen. Oper, Konzert, Schauspiel und Literatur haben ebenso ihren Platz wie die Bildende Kunst, die Photographie, der Film, Video, Tanz, die Diskussion und Symposien. Im Mittelpunkt steht der schöpferische, der gestaltende Mensch der Gegenwart, das junge Talent. Hanns Koren, der Schöpfer des Steirischen Herbstes und der erste Präsident des Festivals, hat das unmißverständlich formuliert: „Es ist uns lieber, einmal einem Schwadroneur aufzusitzen, als einem Talent, das sich entfalten soll, den Weg’ nicht frei gemacht zu haben.”

Die internationale Komponente des Steirischen Herbstes erwächst aus der besonderen Berücksichtigung der Nachbarn im Süden und Südosten, mit dem Ziel, diese Verständigung in Kunst und Wissenschaft auch in den Norden und Westen Europas ausstrahlen zu lassen. Dabei gilt es, Rechenschaft über die besten möglichen kulturellen Leistungen zu geben, die im Land selbst hervorgebracht werden können, und diese im Wettstreit den kulturellen Leistungen anderer Länder gegenüberzustellen.

Der Steirische Herbst hat sich in den wenigen Jahren seines Bestandes einen festen Platz in der europäischen Kunstszene gesichert. Viele Veranstaltungen werden von den europäischen Rundfunkanstalten übertragen. Die internationale Presse widmet der kulturellen Manifestation im Südosten ihre Aufmerksamkeit und von Jahr zu Jahr wächst das Publikumsinteresse. Allein im Jahr 1976 haben über 80.000 Menschen Veranstaltungen des Steirischen Herbstes besucht; die Karten preise sind die niedrigsten von allen österreichischen Festspielen; bei einer Reihe von Veranstaltungen gibt es sogar den Nulltarif.

Allerdings hat der Steirische Herbst nicht nur Zustimmung gefunden. Immer wieder werden seine Veranstaltungen von Einzelpersonen und von Gruppen ob ihrer „Progressivität” kritisiert, wobei es mitunter zu heftigen Auseinandersetzungen kommt. Gerade aus dieser permanenten Konfrontation schöpft der Steierische Herbst seine Lebenskraft.

Im heurigen Jahr wird der Steirische Herbst zehn Jahre alt. Ein vielseitiges und - wie die Veranstalter glauben - auch interessantes Programm versucht, diesem Jubiläum Rechnung zu tragen. Bildete 1976 ein ,JS!ew-Dan- ce-Festival” den Schwerpunkt, so ist es

1977 das Kinder- und Jugendtheater. Insgesamt sind vier Gastspiele mit je zwei Aufführungen von stilistisch völlig unterschiedlichen Modellinszenierungen vorgesehen. Animazione in Schulen, Jugendzentren, Horten und Heimen unter der Leitung von Animatoren aus Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz ergänzen das Programm. Dazu kommt ein Workshop für Lehrer, die sich selbst im darstellenden Spiel erproben sollen. Sämtliche Animazione-Veranstaltun- gen, die jeweils über ein bis zwei Wochen laufen, werden mit einer öffentlich zugänglichen Veranstaltung abgeschlossen.

Darüber hinaus gibt es auch im Jubiläumsjahr die schon zur Tradition gewordenen Veranstaltungen, so z. B. das Musikprotokoll mit zahlreichen Ur- und Erstaufführungen, die Dreiländerbiennale Trigon unter dem Titel „Der kreative Prozeß” und die Steirische

Akademie, die dem Thema „Utopie Gesundheit” gewidmet ist.

Das Schauspielhaus bringt die Uraufführung von Gerhard Roths „Sehn- sucht”, eines Auftragswerkes des Steirischen Herbstes, sowie die österreichische Erstaufführung von „Nepal”, eines Stückes des Schweizer Autors Urs Widmer. Nicht umsonst wurde ja Graz in letzter Zeit besonders von bundesdeutschen Kritikern gerne als „heimliche Hauptstadt” der deutschen Literatur apostrophiert.

Eine weitere Uraufführung stellt die „Symphonie axis der heilen Welt” dar, ein szenisches Konzert für die Grazer Opembühne von Otto M. Zykan, wozu noch die deutschsprachige Erstaufführung einer Kinderoper des Finnen Ilkka Kuusista kommt. Literatur- und Musiksymposien bilden die entsprechende Ergänzung.

Das open-house, eine Neuschöpfung des Steirischen Herbstes, versucht nach dem Publikumserfolg der vergangenen zwei Jahre Akzente in den Sparten Theater, Jazz, Chanson, Pantomime und Film zu setzen. Nach wie vor gilt für sämtliche Veranstaltungen des open- house der Nulltarif. Ensembles aus den Vereinigten Staaten, aus der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz, axis Italien und Holland werden erwartet.

Der Steirische Herbst 1977 dauert vom 8. Oktober bis 20. November. Ihm voran geht ein Vor- und Informationsprogramm, das bereits in der zweiten Septemberwoche beginnt.

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