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Ein Flirt mit Folgen

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Eine Öffnung in zwei Richtungen signalisiert das sensationelle Interview, das der polnische Primas, Kardinal Jozef Glemp, einem sowjetischen Korrespondenten gewährte.

Die neue Offenheit, das neue politische Denken, die Parteichef Michail Gorbatschow auf seine Fahnen schrieb, lassen offenbar eine Beschäftigung mit Religion (die im Falle des polnischen Katholizismus einem Sowjetmenschen als geradezu etwas Exotisches erscheinen mag) nicht nur zu, sondern sehen sie als wünschenswert an.

Auf der anderen Seite ist es verständlich, daß sich der polnische Primas die politische Wetterlage zunutze macht und das Gespräch mit der Sowjetunion anstrebt.

Warum sollte Glemp denn auch nicht bei jenen Reformern des Sowjetreiches Rückendeckung suchen, die ihm vielleicht in der Auseinandersetzung mit gewissen starren Dogmatikern in Polen selbst Hilfestellung leisten könnten?

„Literaturnaja Gazeta“ war offensichtlich bemüht, zunächst einmal Berührungsängste abzubauen.

Eine genaue Schilderung Polens als katholisches Land bildet für den sowjetischen Korrespondenten Leonid Potschiwalow den Anlaß, über gemeinsame Interessen unterschiedlicher Ideologien in der heutigen Zeit nachzudenken.

Der Kampf um den Frieden—zitiert Potschiwalow das Schlußkommunique einer vor kurzem in Warschau zu Ende gegangenen

Tagung von ZK-Sekretären sozialistischer Bruderparteien — ist dieses gemeinsame Ziel unterschiedlicher Weltanschauungen.

Überrascht war Potschiwalow offensichtlich vom Erfolg seines Ansuchens um ein Gespräch mit dem polnischen Primas, zumal dieser noch keinem Journalisten aus der Sowjetunion ein Interview gegeben hat. Potschiwalow legt auf Genauigkeit größten

Wert: er vermerkt, daß zwei Tonbandgeräte das Interview aufzeichneten — eines habe dem Sekretär des Primas gehört.

Glemp selbst schildert er „als mittelgroßen Mann, bekleidet mit einer langen schwarzen Kutte, mit einem großen Kreuz auf der Brust und einer roten, runden Kappe auf dem Kopf als Zeichen eines hochrangigen Kardinals“. „Vor mir“ — so Potschiwalow wörtlich — „stand ein Mann, den Millionen Polen als geistigen Vater anerkennen.“

Polnische Beobachter gehen davon aus, daß dieses Gespräch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einladung Glemps nach Moskau steht. Die Friedenskonferenz, bei der man den polnischen Primas gerne gesehen hätte, wird jedoch ohne ihn über die Bühne gehen müssen. Doch der kirchlich-russische Flirt hat Konsequenzen. •*

Glemp wird zwar nicht persönlich in Moskau erscheinen, hat aber die Entsendung eines Vertre-

ters des polnischen Episkopats zugesagt.

Dieses Mitglied der polnischen Bischofskonferenz hat die Aufgabe, zu sondieren, mit welchen Leuten es die polnische Kirchein der Sowjetunion zu tun hat, bevor der Primas sich selbst engagiert. Ziel eines solchen Engagements kann nach Ansicht von Beobachtern nur die Vorbereitung einer Reise des Papstes in die UdSSR sein.

Warschauer West-Korrespondenten haben kürzlich bemerkt, daß das offiziöse Organ des polnischen Primas im Westen — die in Wien seit genau einem Jahr erscheinende Vierteljahresschrift „Znaki Czasu“ (Zeichen der Zeit) — vom polnischen Kirchenamtsleiter Adam Lopatka wegen Unterstützung des „sowjetischen“ Glemp-Kurses scharf angegriffen wurde. Gegenüber der FURCHE wollte Chefredakteur Andrzej Micewski das weder bestätigen noch dementieren.

Es wäre allerdings sehr merkwürdig, wenn die polnische Bürokratie zu einem Zeitpunkt die Kirche attackierte, da diese den Kontakt mit sowjetischen Behörden sucht.

Nach wie vor kämpft die polnische Kirche gegen eine ideologische Indoktrination in marxistisch-leninistischem Sinn — insbesondere jetzt gegen das neue Schulfach „Religionskunde“.

Letztlich geht es dem Episkopat um die öffentlich-rechtliche Anerkennung der Kirche in Polen.

Und dazu brauchtman Verbündete, die auch in der Sowjetunion zu finden sein könnten.

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