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Ein fürchterlicher, beispielloser Krieg

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„Diese Armee kann niemand mehr kontrollieren." Mit diesen Worten kennzeichnet der Generalkonsul Jugoslawiens in Klagenfurt, Marijan Majcen, die gegenwärtige Situation in dem in Auflösung begriffenen Balkan-Staat. Auf die FURCHE-Fra-ge, ob denn die EG-Emissäre, die Außenminister Italiens, Luxemburgs und der Niederlande, denn nicht deutlich genug in Belgrad über die Nichtanwendung von Gewalt mit der Zentralregierung gesprochen hätten, meint Majcen lapidar: „Vielleicht haben sie es deutlich gesagt, aber die Generäle haben es nicht deutlich verstanden."

Die serbischen Generäle - so der Generalkonsul - dächten nicht rational. „Sie handeln emotionell und auf ideologischer Basis. Sie glauben, den Kommunismus verteidigen zu müssen. Und der Kommunismus wirkt da wie eine Religion - und zwar eine Religion, die der Teufel erfunden hat." Es sei nicht die von Slowenien ab 26. Juni in Ansprach genommene Zollhoheit über sein Staatsgebiet gewesen, gibt sich Majcen überzeugt, die die Volksarmee zum Eingreifen bewogen habe. „Slowenien hat bezüglich der Zollhoheit bereits im Jänner ein entsprechendes Angebot Belgrad vorgelegt. Das ist bis heute unbeantwortet geblieben, deswegen hat man die neuen Zollgesetze beschlossen." Diese seien aber „nicht der ausschlaggebende Punkt für die Aggression der Bundesarmee gewesen". Es sei vielmehr um das Aufeinanderprallen von Demokratie und altem Denken gegangen, erläutert Majcen. Slowenien habe sich dem kommunistischen Einfluß entzogen, das konnte eine Armee mit dem ideologischen Auftrag, den Sozialismus zu verteidigen, nicht hinnehmen. Der Westen, so Majcen zur FURCHE, könne das deshalb so schwer verstehen, weil es hier keine Armee gebe, die zur Verteidigung irgendeiner Ideologie herangezogen werde.

Bla-Bla des Westens

Die Ereignisse vom vergangenen Wochenende bezeichnet Majcen als einen „fürchterlichen Krieg, den Slowenien bisher noch nicht erlebt hat". Majcen glaubt, daß sich nach diesen Kämpfen die slowenische Bevölkerung nach einem neuerlichen Plebiszit „wie ein Mann" hinterden neuen Staat stellen würde. „Vor sechs Monaten nahmen insgesamt zwölf Prozent der Bevölkerung nicht am Plebiszit teil oder stimmten gegen einen neuen Staat. Heute würde diese Zahl nicht einmal 0,5 Prozent ausmachen."

Hinsichtlich der serbischen Vorwürfe gegenüber Österreich, es unterstütze Slowenien militärisch oder wolle -in Erinnerung an die k.u.k. Vergangenheit - Slowenien sogar annektieren, meinte Majcen, daß er aus Gründen der Überlastung mit konsularischen Tätigkeiten in den letzten Tagen kaum Zeit gehabt habe, Belgrad korrekt über Österreichs Haltung zur Jugoslawienkrise zu informieren. „Es sind soviele Touristen aus Slowenien hier in Kärnten, die jetzt zurückwollen. Soeben haben wir einen Konvoi mit 60 Kindern und ihren Begleitern aus Slowenien über den Seebergsattel nach Hause geschafft. Den ganzen Tag mußte ich in dieser Angelegenheit telefonieren und arbeiten. Auch aus Deutschland wollen Slowenen in ihre Heimat zurück. Sie haben eine derartige Situation seit 45 Jahren nicht erlebt. Und jetzt, da sich Europa wandelt, kommt es zu diesen unwahrscheinlich tragischen Ereignissen."

Kritik übt Majcen an den Westmächten. Der Standpunkt der EG, der UNO und der USA habe „sehr wohl mitgeholfen, den Scharfmachern in der Armee die Oberhand zu geben, um mit einem Überfall gegen Slowenien vorzugehen". Majcens Tochter hat an US-Präsident George Bush und Außenminister James Baker einen Brief mit der Frage geschrieben, ob der Satz für sie noch Gültigkeit habe, daß jede Nation das Recht auf Selbständigkeit habe. Majcen wörtlich: „Was soll denn das ganze Bla-Bla des Westens über das Selbstbestimmungsrecht? Wie soll man es denn konkret ausüben, das sollen uns die großen Herren doch einmal sagen!" Majcens Stimme hebt sich, er entschuldigt sich auch für seine Erregung: „Wir Slowenen haben in Respekt vor der Decla-ration of Independence der USA und auf der Basis der Garantien der Helsinki-Schlußakte gehandelt. Diese Ideen haben'wir angewendet und wir sind dort geblieben, wo wir immer gewesen sind. Wir wünschen uns heute nichts anderes, als frei und in Frieden auf eigenem Boden zu leben."

„Jetzt ist Bosnien dran"

Janez Gril, Chefredakteur der in Laibach erscheinenden katholischen Wochenzeitung „Druzina", ist skeptisch, was die Bereitschaft der Bundesarmee zum Rückzug betrifft. „Hier herrscht Angst, daß das alles nur ein Spiel der serbischen Armee ist, um den Truppen Gelegenheit zu geben, sich zu reorganisieren."

In der neuen Ausgabe von „Druzina" mußte sich Gril anstelle eines festlichen Kommentars zur Unabhängigkeit Sloweniens mit der Aggression der jugoslawischen Armee auseinandersetzen, die sich damit demaskiert habe. Gril lobt die slowenische Bevölkerung für ihr rahiges Verhalten, Kritik bekommt die westliche Gemeinschaft ab, die zu lange zugewartet hätten. Eine ganze Seite widmet „Druzina" Solidaritätstelegrammen, die Laibachs Erzbischof Aloij-zij Sustar aus aller Welt erhalten hat.

Gril glaubt, daß es das Ziel der Operation der jugoslawischen Trappen gewesen sei, die slowenische Regierang außer Gefecht zu setzen. Allerdings hätten die Generäle nicht mit einem derart massiven Widerstand der Slowenen gerechnet. Die Kroaten -betont der Chefredakteur - seien wegen der starken serbischen Minderheit in einer noch schwierigeren Situation als die Slowenen. Natürlich könne man fragen, warum die Kroa ten nicht mehr getan haben, um Nachschub für die Bundesarmee zu verhindern; weraberdie Hintergründe sehe, der könne diese Zurückhaltung schon verstehen, meint Gril.

Nach Meinung des Direktors jener Ges.m.b.H. in Laibach, die die neue Tageszeitung „Slovenec" herausgibt, des Christdemokraten Paul Bratina, ist in der slowenischen Bevölkerung „eine gewisse Aggressivität" zu bemerken. Dies deswegen, weil der von der Bundesarmee angerichtete Schaden so groß ist, „daß die Leute richtig böse sind", außerdem „schaut unsere Lage an der Front nicht schlecht aus".

Bratina glaubt, daß neue Attacken immer noch möglich sind, diese aber Resultat nervöser Reaktionen beim Rückzug wären. Im übrigen warnt er vor der Mobilisierung in Serbien - es soll um 200.000 Reservisten gehen -und um die Teilmobilisierang der Serben in Bosnien. „Jetzt geht es in Bosnien los", ist Bratina überzeugt. Dort leben drei ethnische Gruppen -Serben, Kroaten und Moslems - zusammen, was die Selbständigkeits-werdung dieser Republik unmöglich mache.

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