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Ein fulminantes Finale

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Der Präsidentenwahlkampf 1992 erinnerte an den Aufbau der fünften Sinfonie von Dimitrij Schostakowitsch, die Ricardo Muti am Vorabend des zweiten Wahlgangs im Großen Wiener Musikvereinssaal dirigierte. Sie schildert das „Werden der Persönlichkeit" vom ersten „Kampf der inneren Widersprüche" über die „Erkenntnis verlorener Illusionen" bis zur „kraftvollen Behauptung des Willens und der Vernunft". Der dritte Satz ist noch durch und durch Streicherdominiert. Im fulminanten Finale triumphieren dann aber Bläser, Pauken und Trompete.

Genau das hat Thomas Klestil geschafft: die Verwandlung vom Bewerber zum Staatsmann. Kein Kandidat vor ihm hat so rasch so viel dazugelernt. Frühen Stolpermomenten auf seinem ureigensten Gebiet (Staatsvertrag, NATO-Mitgliedschaft) folgte kein Ausrutscher mehr. Der vielfach befürchtete „Selbstfaller" in einer innenpolitischen Delikatfrage blieb aus. Auch Jörg Haider konnte ihn nicht aufs Glatteis zerren.

Thomas Klestil kam, sah, lernte und gewann: haushoch wie kein Präsidentschaftskandidat vor ihm mit einem ernsthaften Gegner, zum erstenmal als Zweitstärkster in der ersten Runde, der Erster in der zweiten wurde, Sieger selbst im „roten Wien", in ganz Österreich vorne bei Frauen, Angestellten, leitenden Beamten, Selbständigen und Bauern sowie in sämtlichen Alterskategorien, aber vor allem bei den Jungen, geschlagen nur bei Arbeitern, gleichauf mit Streicher bei einfachen Beamten und Pensionisten.

So etwas hätte sich die ÖVP nicht im LSD-Rausch erträumen können. Plötzlich waren alle für immer verlorengeglaubten Wählerschichten wieder da! Die Volkspartei hat diesen Erfolg wie einen Bissen Überlebensbrot gebraucht. Aber er ist nicht mehr als eine Chance.

Der Klestil-Triumph bedeutet für sie nur: Mit der richtigen Persönlichkeit am rechten Platz zur rechten Stunde kann auch die ÖVP wieder punkten. Automatisch geht nichts. Würde morgen der Nationalrat neu gewählt, würde die ÖVP noch einmal blaue Wunder erleben. Eine Riesenanstrengung ist ihr abverlangt - und natürlich ein persönlichkeitsförderndes Wahlrecht.

Erhard Busek ist als Miterfinder Klestils (als erster soll ihn Klubobmann Heinrich Neisser ins Spiel gebracht haben) gestärkt und ermutigt worden. Er muß jetzt Dampf in der Regierung machen und den politisch geschwächten Kanzler zu Reformen zwingen. Nur dann wird dem Druck in Richtung Koalitionswechsel (den weder Klestil noch Busek wünschen) erfolgreich zu widerstehen sein.

Vielleicht ist es doch gut, daß die in dieser Kolumne schon vor dem Wechsel von Mock zu Riegler aufgeworfene Frage, warum man denn nicht den politisch unbelasteten Klestil zum ÖVP-Obmann macht, damals nicht aufgegriffen worden ist. Er kann jetzt ein ausgezeichneter Bundespräsident werden.

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