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Ein ganz neues Machbarkeits-Dogma

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Mein Lexikon klärt mich auf, unter einem Dogma sei, jede festgelegte Formulierung einer religiösen Überzeugung” sowie „eine gutgläubig und ungeprüft übernommene bzw. eine uneinsichtig und hartnäckig verteidigte Lehrposition” zu verstehen.

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Mein Lexikon klärt mich auf, unter einem Dogma sei, jede festgelegte Formulierung einer religiösen Überzeugung” sowie „eine gutgläubig und ungeprüft übernommene bzw. eine uneinsichtig und hartnäckig verteidigte Lehrposition” zu verstehen.

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Die Geburt eines Dogmas erlebt man nicht alle Tage. Doch ist es wieder einmal so weit. Bei zwei Wiener Pressekonferenzen der letzten Woche, beide zum Thema Klima und Kohlendioxid, gab es starke Lebenszeichen. Das neue Dogma verfügt, der Ausstieg aus dem Teufelskreis von steigendem Energieverbrauch und Freisetzung von immer mehr Kohlendioxid mit allen zu erwartenden negativen Folgen für das Weltklima sei ohne Verzicht auf weiteres Wirtschaftswachstum machbar.

Aber Dogmen gibt es doch bekanntlich nur in den Kirchen? Oder? Gibt es sie etwa auch in der Wirtschaft? Gewonnen! „Dogmengeschichte der Nationalökonomie” wird sogar an Universitäten betrieben.

Da die Nationalökonomie keine löchste cathedra kennt, kann das neue Dogma natürlich auch nicht ex cathe-ira verkündet werden. Dogmen der Nationalökonomie verfestigen sich aif subtilere Weise. An der Durchset-aing des neuesten Dogmas dürfte die Virtschaftskrise nicht ganz unschul-cig sein.

Noch vor kurzem galt die Unmöglichkeit dauernden Wirtschaftswachstums unter Alternativen, Unangepaßten, Kritischen als ausgemachte Sache (auch ein Dogma?), und die Einsparung nicht nur von Energie, sondern Abstriche von unserem allzu verschwenderisch gewordenen Lebensstil galten als Notwendigkeit.

Jetzt haben wir es, das dringend geforderte Herunterfahren unserer Verbrauchszahlen. Vom ökologischen Standpunkt müßten, so fremdes in unseren Ohren klingt, Politiker und Medien über die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen frohlocken: Geschafft, wir kommen weg vom Wachstum!

Angst vor Arbeitslosigkeit

Daß in solchen Situationen selbst eingefleischten Autogeg-nern wie der grünen Abgeordneten Monika Langthaler das Jubeln vergeht und letztere plötzlich sogar die EG auf ihre Fahnen schreibt, hat einen einfachen Grund: Die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch mag teilweise gelungen sein, eine Entkoppelung von Rezession und Arbeitslosigkeit ist derzeit nicht in Sicht. Arbeitslosigkeit aber läßt sich niemandem als positive Errungenschaft verkaufen.

Selbstverständlich ist das Klimabündnis der 250 europäischen Städte, unter ihnen 20 österreichische, die ihren CO„-Ausstoß bis zum Jahr 2010 um 50 Prozent reduzieren wollen, eine äußerst positive Sache und „Global denken - lokal handeln” vielleicht der einzige gangbare Weg zu diesem Ziel.

In der ersten der beiden Pressekonferenzen gab Professor Peter Hennik-ke vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie, der auch der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre” des deutschen Bundestages angehört, den Städten gute Chancen, es zu erreichen. Aber nicht unter den gegenwärtig herrschenden

Randbedingungen.

Und man hörte gern die Botschaft des Wiener Landtagsabgeordneten Rolf Huber bei der Wiener Tagung „Klimapolitik vorOrt”, Wien sei emsthaft entschlossen, die Sparziele des Toronto-Abkommens und des Klimabündnisses zu erreichen. Ausbau der Fernwärme und bessere Wärmedämmung im Wohnbau brächten am meisten und hätten daher Vorrang. Die Kraft-Wärme-Kupplung sei in allen neun Blöcken der Kraftwerke Simmering und Leopoldau verwirklicht.

Ökologisch bankrott

Hennicke erklärte die Industriestaaten für ökologisch gesehen bankrott -ob er nicht doch zu optimistisch ist, wenn er die Halbierung des C02-Ausstoßes in den zwölf EG-Ländern mit einem Aufwand von jährlich 0,3 Prozent des BSP, wenn die Energiesteuer eingeführt und j ährlich um fünf Prozent erhöht werde, für möglich hält?

Ein Verzicht auf Lebensqualität, so Hennicke, sei nicht nötig. Die Feststellung, daß er das derzeit politisch im günstigsten Fall Durchsetzbare fordert, schmälert gewiß nicht seine Verdienste als Vorkämpfer ökologischen Wirtschaftens.

Die im neuen österreichischen „Klimapanel” zusammengeschlossenen Öko-Organisationen, unter ihnen das Forum österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz sowie Greenpeace, erhoben bisher im allgemeinen den exklusiveren Anspruch konsequenten Denkens ohne politische Kompromisse. Professor Peter Weish eröffnete die Pressekonferenz, in der das Klimapanel, erstaunlicherweise ohne Bezug auf die Tagung „Klimapolitik vor Ort” und offenbar ohne Informationen über sie, Sofortmaßnahmen forderte und ankündigte, durch eine „breit angelegte Petition” Druck auf die Regierung ausüben zu wollen.

In den fünf Jahren seit dem Abkommen von Toronto, in dem sich Österreich zur Reduktion seines C02-Ausstoßes um 20 Prozent bis zum Jahr 2005 verpflichtete, seien die C02-Emmissionen um acht Prozent gestiegen. Es ge.be, so Weish, keine Ausreden für Nichtstun mehr. Was natürlich goldrichtig ist. Andererseits entsteht der Eindruck, daß nun auch die Kassandren das oberste marktwirtschaftliche Prinzip, nämlich das der Konkurrenz, entdeckt haben.

In diesem Fall wäre der Übergang zu neuen Strategien, in denen auf allzu ungemütliche Botschaften verzichtet wird, mit einem Mal zwanglos zu erklären. Und damit der Widerspruch zwischen dem Slogan von der „Fastenkur am Aschermittwoch” in der „Klimapanel”-Pressekonferenz und der auch hier akzeptierten Aussage, die Energiesparziele von Toronto könnten auch ohne Abstriche vom Lebensstandard und bei Beibehaltung des Wirtschaftswachstums erreicht werden. Bloß Brigit Weinzingervom Österreichischen Informationsdienst fürEntwicklungspolitik(ÖIE) mochte sich dem nicht anschließen.

Dank technischem Fortschritt und Rationalisierung gehen selbst bei gleichbleibender Produktion Arbeitsplätze verloren. In der Rezession geschieht es schlagartig. Nur ein Teil der Hinausgeworfenen kann mit Rückkehr rechnen, sollte sich die Konjunktur erholen. Die Frage, wie wir ohne Massenarbeitslosigkeit und Zusammenbruch unserer politischen Systeme vom Zwang zum Wachstum wegkommen, ist zur zentralen Überlebensfrage der westlichen Demokratien geworden. Nun aber wird sie offenbar tabuiert. Dogmen haben, auf jeden Fall in der Wirtschaft, auch mit Denkfaulheit zu tun.

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