Immer häufiger liefert die SPÖ Indizien für ein gebrochenes Verhältnis zur unabhängigen Presse — vor allem, wenn diese ihre demokratische Kontrollfunktion ernst nimmt. Die Gereiztheit, mit der Bruno Kreisky auf ihm unpassende Fragen reagiert, ist längst notorisch geworden. Nun scheint auch der Sunnyboy im Wiener Rathaus soweit zu sein, daß er Presse nur dort für notwendig hält, wo sie ihn nicht stört.
Die AZ zitiert in aller Harmlosigkeit einen Gratz-Satz, der, in einer Sitzung des Wiener SPÖ-Vorstandes ausgesprochen, unfreiwillig aber nicht nur ein gebrochenes Verhältnis zur Presse, sondern ein Unverständnis für Kontrolle in der Demokratie überhaupt enthüllt.
Gratz sagte: „Die SPÖ hat stets zur frühestmöglichen Zeit aus eigenem Anlaß gehandelt, wenn es darum ging, Korruption oder Unsau-berkeiten zu beseitigen. Sie braucht auch diesmal nicht den Anstoß durch eine Kampagne in einer großen Zeitung.“ Womit Gratz auf eine Bauring-Artikelserie in der „Kronen-Zeitung“ anspielte.
Ein Satz wie dieser kann aber doch, in Klartext übersetzt, nicht anders verstanden werden, als etwa so: Andere Parteien mögen erst durch einen öffentlichen Skandal zur Säuberung in ihren eigenen Reihen gezwungen werden — die SPÖ ist eine so demokratische, so integre, so ehrliche, so moralische, so großartige Partei, daß sie keine demokratische Kontrolle braucht. Was immer ihr böse Kritiker vorwerfen — sie, die über jeden Anstoß erhabene Partei, hat es längst bemerkt und abgestellt. Oder ist schon dabei, es abzustellen.
Vber die Unglaubwürdigkeit eines solchen Standpunktes brauchen wir kein Wort zu verlieren. Ohnehin scheint sich die Bauring-Serie des Journalisten Nowotny nun zu einem Generalangriff auf einige Maden im demokratischen Speck auszuwachsen. Wesentlich aber ist der Umschlag von der Quantität eitler Selbstüberhebung zur Qualität eines gefährlichen Unverständnisses für die Rolle von Kontrolle und Opposition in der modernen Demokratie.