"Ein geheimnisvolles Ansehn"

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"Während die Macht der Religion schwindet", so Terry Eagleton, "werden ihre unterschiedlichen Funktionen wie ein kostbarer Nachlass auf die Erben verteilt. Der wissenschaftliche Rationalismus übernimmt die doktrinäre Gewissheit, die radikalen politischen Strömungen erben den Auftrag, die Welt zu verändern, Kultur im ästhetischen Sinne sichert einen Teil des spirituellen Erlebens."
Dabei habe ein spezifisches Weltverhältnis der säkularen "Moderne ihren unauslöschlichen Stempel aufgedrückt": die Romantik. Sie war "ein wirksamer Lückenbüßer der Religion, indem sie den Priester durch den Dichter ersetzte, das Sakrament durch das Symbol, die Heiligkeit durch die Ganzheit, das Paradies durch die politische Utopie, die Gnade durch Inspiration, Gott durch die Natur und die Erbsünde durch das namenlose Verbrechen des Seins."
Was aber ist Romantik? "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es" - so beschreibt das Novalis.
Das Christentum aber ist alles andere als romantisch. Es gibt nicht dem Gemeinen einen hohen Sinn, sondern markiert den Sinn des Gewöhnlichen und Niedrigen in seiner Niedrigkeit. Es gibt nicht dem Gewöhnlichen ein "geheimnisvolles Ansehn", sondern entdeckt das Geheimnis des Ansehens des Gewöhnlichen, es gibt auch nicht dem Bekannten die Würde des Unbekannten, sondern macht die Würde des Unbekannten bekannt. Und es gibt nicht dem Endlichen einen unendlichen Schein, sondern behauptet den unendlichen Schein des Endlichen.
Es umgibt nicht das Niedrige mit der Aura des Höheren, es schätzt vielmehr das Niedrige und verpflichtet sich, es in konkreter Tat der Nächstenliebe und im Einsatz für Gerechtigkeit zu erhöhen.

Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz

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