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Ein General im Zwielicht

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Eine Gestalt wird aus dem Schatten­reich beschworen: Edmund Glaise- Horstenau. Ein Name, mit dem die mittlere und jüngere Generation kaum persönliche Vorstellungen und politi­sche Assoziationen verbindet. Ein Mann aber, der als Offizier und Histo­riker, als Publizist und Politiker man­ches Kapitel der Geschichte Öster­reichs in diesem Jahrhundert aufmerk­sam beobachtet und einige von ihnen mitgeschrieben hat.

Darunter war auch das wenig rühmli­che eines österreichischen Ministers, der als Sendbote und Interpret des Ulti­matums Hitlers an seinen Regierungs­chef auftrat und als Vizekanzler im kurzlebigen Anschlußkabinett Arthur Seyß-Inquart figurierte.

Peter Broucek, Archivar im Kriegs­archiv, hat die nicht leichte, aber inter­essante Aufgabe übernommen, die lan­ge Zeit verschollen geglaubten Tagebü­cher dieses „Generals im Zwielicht“ herauszugeben und dessen facettenrei­che Persönlichkeit zu interpretieren.

Schon der erste vor kurzem vorge­legte Band zeigt, daß wir es mit einem höchst bedeutsamen Beitrag zur öster­reichischen Zeitgeschichte zu tun ha­ben. Eine genaue Lektüre des leider exorbitant teuren Buches bestätigt die­sen Eindruck.

Glaise-Horstenau blendet zunächst zurück in seine schwarz-gelbe Jugend. Er zeichnet ein anschauliches Bild vom Leben eines jungen Mannes vor bald 100 Jahren, der zunächst ein wenig mit dem Gedanken spielt, Priester zu wer­den, später sich aber aus Familientradi­tion und finanziellen Gründen dem Sol­datenhandwerk zuwendet.

Die damals noch kleinstädtische At­mosphäre Salzburgs, wo er heran­wächst, wird genauso beschrieben wie das Kadettenleben in St. Pölten und Mährisch-Weißkirchen. Der Maria- Theresianischen . Militärakademie in Wiener Neustadt ist ein Ehrenblatt zu­geeignet.

Einmal fragt sich Glaise-Horste­nau, ob er sich nicht lieber der Schrift­stellerei, in der er früh manche Talent­probe geliefert hat, zuwenden sollte. Später versuchte er einen Mittelweg an­zuvisieren: die Arbeit im Kriegsarchiv. Der Erste Weltkrieg macht solche Pläne zunächst zunichte.

Glaise wird nach Frontdienst ins Ar­meeoberkommando nach Teschen, später nach Baden abkommandiert. Die Konzipierung der täglichen Kriegs­berichte, die Herausgabe von Kommu- niqués gehören hier in seinen Arbeits­bereich. Im Armeeoberkommando fin­det er auch Kontakt zu hohen deut­schen Verbindungsoffizieren. Vielleicht zu enge.

Es gibt Mutmaßungen, daß die von ihm einbekannte „blinde Bewunderung

für alles Deutsche“ (S. 357) zum Über­schreiten jener Grenze führte, die ein Offizier in Vertrauensstellung auch ge­genübereinem Bundesgenossen zu beob­achten gehabt hätte.

Nach dem Zusammenbruch der Do­naumonarchie hätte Glaise nach eini­gen Umwegen berufliche und persönli­che Erfüllung an der Spitze des Kriegs­archivs und als Verfasser einer Reihe von in seiner Zeit vielbeachteter mili­tärhistorischer Werke finden können. Doch der von ihm zugegebene und spä­ter - zu spät - bereute „verdammte Ehrgeiz“ (S. 474) begnügt sich damit nicht.

Glaise-Horstenau beginnt, als einer der sogenannten „Naiionalbetonten“ fleißig „mitzumischen“. Die Vertreter dieser Richtung in der Ersten Republik sahen, nachdem sie Abschied von Alt­österreich genommen hatten, nur in ei­ner engen Verbindung mit dem Deut­schen Reich eine Zukunft.

Manche von ihnen beflügelte sogar die Utopie, daß Österreich nach einer staatsrechtlichen Vereinigung mit dem „Reich“ hier eine führende Rolle spie­len würde können.

Glaise-Horstenau gehört zu jenen „Reichsträumern“. Von dieser Vorstel­lung geblendet, wird er nach dem Juli- Abkommen 1936 von Bundeskanzler Schuschnigg im Sinneder „Befriedungs­politik“ als Minister ohne Portefeuille in sein Kabinett berufen.

1938 sieht ihn in einer höchst dubio­sen Rolle. Wie so oft in ähnlichen Fäl­len erwacht auch Glaise-Horstenau schließlich als „betrogener Betrüger“. Nicht die geringste seiner Hoffnungen hat sich erfüllt.

Nicht nur Österreich wird Unperson. Glaise-Horstenaus Eingaben, die we­nigstens etwas von österreichischer In­dividualität in das Dritte Reich und dessen Wehrmacht retten wollten, wan­dern in den Papierkorb. Auch er selbst sieht sich keineswegs nahe den Schalt­hebeln der Macht eines großen Staates.

Von rüden deutschen Nationalsozia­listen als „Weihnachtsmann“ ver­höhnt, findet er sich im Kostüm eines SA-Obergruppenführers h. c. wieder. Die Ernennung zum „Inspektor der Kriegsgräberfürsorge im Oberkom­mando der Wehrmacht“, welche später erfolgt, ist auch alles andere als eine po­litische Karriere.

Mitten im Zweiten Weltkrieg, als die völlig unpsychologische Behandlung

der Balkan-Völker durch die deutsche Besatzungsmacht oder durch deren Sa­telliten auch unter den Kroaten immer mehr Partisanen erzeugt, erinnert man sich des „Ostmärkers“ und seiner um­fassenden Personalkenntnis sowie per­sönlichen Verbindungen zu ehemaligen k. und k. Kameraden in den Nachfolge­staaten. Glaise wird zum „Deutschen General in Kroatien“ - so der offizielle Titel, mit dem sich wenig Befehlsgewalt verbindet - ernannt.

Hier versucht er noch einmal das ihm so liebe politische Spiel hinter den Ku­lissen. Vorsichtig werden Fäden zu konservativen oppositionellen Kreisen und sogar hinüber zu den westlichen Al­liierten gesponnen. Das Kartenhaus stürzt jedoch ein, bevor es noch vollen­det wird.

Glaise sieht sich zuletzt als konfinier- ter Zeuge (nicht Angeklagter) gegen Seyß-Inquart beim Nürnberger Pro­zeß. Hier verfaßt er die Niederschrift des vorliegenden Buches. Krank, mut­los und von Depressionen bedrückt, macht er in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1946 im Lager Langwasser bei Nürnberg seinem Leben durch Gift selbst ein Ende.

In seinen letzten Tagen scheint er - dafür gibt es Zeugen und auch manche Passagen des vorliegenden Buches spre­chen dafür - geistig heim nach Öster­reich gefunden zu haben.

Glaise-Horstenaus Erinnerungen spiegeln nicht nur das Leben eines hochtalentierten Menschen mit großen Ambitionen und zwiespältigem Cha­rakter wider, sie lassen auch eine ganze Zeit und zahlreiche ihrer Akteure wie­der lebendig werden. Was das vorlie­gende Buch aber zu einem wahren Kompendium des Lebens und der Schicksale zahlreicher aus der alten Ar­mee hervorgegangenen Offiziere aber auch Politiker und Wissenschafter er­hebt, sind die mit profunder Akribie erarbeiteten Fußnoten des Herausge­bers sowie dessen Einführung und Vor­wort.

Mit großem Interesse sieht man des­halb den geplanten weiteren zwei Bän­den entgegen, die auf Grund von schon früh gemachten Aufzeichnungen Aus­kunft über Glaises Denken und Wirken in den kritischen Jahren 1936 bis 1941 bzw. später noch über die letzten Jahre, insbesondere über seine Tätigkeit in Agram, geben werden.

Zur Verbreitung des Werkes wäre eine bessere Preisgestaltung äußerst wünschenswert. Um in Bibliotheken zu verstauben: dafür ist dieser bemerkens­werte Beitrag zur Zeitgeschichte zu schade!

EIN GENERAL IM ZWIELICHT. Die Erinne­rungen Edmund Glaises von Horstenau (Band I), herausgegeben von Peter Broucek. Hermann Böhlaus Nachf. Wien-Köln-Graz 1980,565 Seiten. öS 980,-

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