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Ein genialer Mystifikator

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Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der, zum Tode verurteilt, im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet. Sein Verbrechen ist unbestimmter Natur: die Gesellschaft scheint ihn ausgestoßen zu haben, weil er in einer Welt ndchtdenken- der, gefühlloser Lemuren eines phantastisch nachtechnischen Zeitalters („die Materie war müde, die Zeit döste sanft“) ein humaner Mensch bleiben wollte. Schon durch sein Außeres provozierend, bereitet ihm die Umwelt in ihrer Roheit und Dummheit unerträgliche Qualen. Ihre minuziöse Beschreibung füllt das Buch. Nabokov verwahrt sich im Vorwort, von Kafka beeinflußt worden zu sein. Auch wenn schon der erste Satz des Buches: „In Übereinstimmung mit dem Gesetz wurde Cincinnatus C. das Todesurteil im Flüsterton mdtgeteilt“ btis in den Tonfall hinein von Kafka herrühren könnte, auch wenn hier der Henker und seine beiden Gehilfen ebenso grotesk-komisch anmuten wie im „Prozeß“ oder die spukhaften Gestalten der Gefängnisangestellten an Kafkas „Schloß“ erinnern lassen. Er verstehe nicht Deutsch und hätte bei Abfassung seines Romans Kafkas Bücher überhaupt nicht gekannt, bemerkt Nabokov. So nebenbei aber erfährt man, daß das russische Original der Einladung zur Enthauptung in Berlin geschrieben und 1938 in einer Pariser Emigrantenzeitschrift veröffentlicht worden sei Weiter halte es Nabokov für „schmutzige Phantasie“, wer in der kleinen (aber irgendwie doch lasziv anmutenden) Emmi in dem Roman eine Schwester des kleinen fatalen Nymphchens Lolita sehen möchte. Doch braucht man alles das nicht allzu ernst zu nehmen, denn Nabokov treibt überaus gern seine Späße mit den Lesern. Und wahrscheinlich ist die Parallele oder gar schon geistige Verwandtschaft mit Kafka wirklich nur etwas rein Äußerliches.

Nabokovs zentrales Thema (er ist 1918 aus Rußland, 1940 aus Europa ausgewandert, schrieb erst russisch, später amerikanisch), das sich durch alle seine Bücher hindurchzieht, ist die „Heimatlosigkeit“. Seine Gestalten, Variationen einer einzigen Figur, sind Fremdlinge in ihrer Umweit, ihrer Epoche, bewegen sich wie Fossilien einer versunkenen Welt zwischen ihren Zeitgenossen. Das russische Credo, daß zwischen Person und Norm Todfeindschaft gesetzt ist, isoliert sie von der Welt, macht sie aber auch erst zu Individuen. „Ich bin irrtümlich hier — ich meine nicht speziell dieses Gefäng-

mis —“, schreibt sich Cincinnatus C. seine Angst bis zur Hinrichtung von der Seele, „ich meine diese ganze, schreckliche… Welt, die kein schlechtes Beispiel dilettantischer Bastelei zu sein scheint, aber in Wahrheit Unglück, Schrecken, Wahnsinn, Irrtum ist… In meinen Träumen war die Welt edler, geistiger. .. Denn „sie enthalten in einem sehr vagen, verdünnten Zustand mehr wahre Wirklichkeit als unser gerühmtes waches Leben…“

Miit dem Sinn -aller großer Melancholiker für das Komische, schildert Nabokov die sku rillen „Menschen- attrapen“, von denen sich sein Cincinnatus umgeben sieht. Er zeichnet sie scharf, schnell, schonungslos, eine ganze Galerie komischer Käuze, wobei er manchmal das alte Rußland aufleuchten läßt. Nur auf den armen, gefolterten Cincinnatus, die Hauptfigur im Gefängnis von Nabokovs Phantasie, fällt einige Liebe. Wer Nabokov ist, weiß man auch nach soundso vielen Romanen nicht, außer, daß er in den zeitungebundenen Kreis der ganz großen Erzählkünstler einzureihen ist, ein eigensinniger Liebhaber der erfinderischen, der züngelnden Einbildungskraft, ein Spieler mit Stimmungen, Identitäten, Möglichkeiten und immer neuen Spiegelungen. Er hat nichts übrig für eindeutig bestimmbare Charaktere, Personen, die sich begrenzen lassen, Ereignisse, die keine Kehrseite haben.

Es bleibt bei der „Einladung zur Enthauptung“, sie wird nicht vollstreckt. Denn plötzlich löst sich alles in Staub und Splitter und Schutt auf, denn es war nur eine Scheinwelt, nichts war wirklich, und selbst Cincinnatus, dessen Äußeres doch zwei Seiten lang bis in die kleinste Einzelheit beschrieben wurde, scheint sich am Ende wie ein Phantom zu verflüchtigen. Statt seinen Kopf auf den Richtblock zu legen, neben dem der Henker malerisch bereit steht, um der aufgeregt summenden Menschenmenge auf dem Stadtplatz das erwartete Schauspiel zu bieten, erhebt sich Cincinnatus, bringt sozusagen mit einer einzigen Handbewegung die ganze Scheinwelt zum Einsturz und schreitet „inmitten der schwankenden Kulissen… in jene Richtung, wo nach den Stimmen zu urteilen, ihm verwandte Wesen standen“. Das ist am Ende der einzige Hoffnungsschimmer in dem Buch, daß es vielleicht irgendwo mehrere solche hoffnungslose Individualisten wie Cincinnatus gibt. Nabokov hält nichts von Büchern, die Ideen und Botschaften vermitteln wollen. Im Vorwort zitiert er den französischen Satz eines angeblichen Lieblingisautors, der wohl nur seine Erfindung ist. Danach könne die Einladung zur Enthauptung nicht beanspruchen, Menschen, „die niemals träumen zum Träumen zu bringen“. Und so sei denn das Buch nichts anderes als „eine Violine dm Leeren“. Als wollte er ihm mit dieser Metapher nur ja jeden überdeutlichen Sinn nehmen und uns lioilA «i zwingen, es nicht allzu rasch zu verstehen.

EINLADUNG ZUR ENTHAUPTUNG. Von Vladimir Nabokov. Deutsch von Dieter E. Zimmer. Rowohlt-Verlag, Reinbeck. 214 Seiten. DM 22.—.

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