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Ein Genie ging von uns

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Viele wußten, daß er nicht mehr gesund ist. Doch die Anfälle im Sommer sind glimpflich verlaufen. Für den Herbst waren neue Arbeiten geplant. Der Zustand verschlechterte sich plötzlich. Wir, seine Freunde, hätten uns auf das Eintreffen der bösen Nachricht vorbereiten, gegen das Gefühl, mit ihm selbst zu sterben, wappnen können. Die letzten Monate hatten uns gezwungen, dem Tod zu begegnen. Wir haben Jörg Mauthe begraben, nach ihm Herbert Eisenreich. Ein für fest gehaltenes Lebensfundament zeigte Sprünge, begann zu brök-keln. Die Einsicht nutzte uns wenig. Der Tod Helmut Qualtingers blieb unvorstellbar.

Ich schreibe diese Zeilen einige Stunden nachdem Qualtinger gestorben ist. Gestorben ist — der Satzteil ist öfters zu wiederholen. Das müßte seine Glaubwürdigkeit und Uberzeugungskraft stär-ken.aber das Bewußtsein weigert sich, die Nachricht zur Kenntnis zu nehmen. Qualtingers Vitalität ist stärker. Seine Gestalt bleibt lebendig, sein Tod unbegreiflich.

Aber die Zeitung wartet auf den Nekrolog, die Zeit drängt. Wie sollen Stunden des warmen Erlebens, Bilder der Erinnerung in einer Nacht zu Sprache verdichtet werden? Die Antwort liegt im Versuch, sachlich zu sein, aus dem eigenen Schicksal herauszutreten, auf einen Menschen aus der rettenden Kühle und Höhe zurückzublicken. Der Augenblick fordert Disziplin.

Daß Helmut Qualtinger in seiner vertrackten Art ein Genie war, ist dem Publikum bekannt. Es war ihm vergönnt, aus der Tiefe seines Wesens das augenblicklich Bedeutsame em-porzuholen, es mimisch zu gestalten oder in Worte zu fassen. Ob er Chansons sang, ob er Shakespeares Monologe sprach, ob er Karl Kraus rezitierte, ob er sich im Kreis der Freunde zu einer improvisierten Parodie oder zu einem langen und leisen Monolog inspiriert fühlte: er schöpfte jedesmal aus dem vollen. Das heißt, die innere Energie seines Geistes trat unmittelbar in Erscheinung.

Die Kraft dieser spontanen Lust am Schöpferischen war so stark, daß sie jede Hemmung durchstieß. Qualtinger war umfassend gebildet, seine Kenntnisse der maßgebenden Philosophen waren erstaunlich, er las täglich Neuerscheinungen und alte Meister. Er hatte Achtung vor ihnen, ließ sich aber durch ihre bedrohlichen Beispiele und ermutigenden Lehren nicht zügeln. Wenn Qualtinger vor dem Publikum etwas Humoristisches von sich gab, wirkten im Einfall und in der Artikulation auch die alten weisen Autoren. Er lernte von ihnen alles, glaubte ihnen nichts. Er war nur mit sich selbst identisch, ans große Strömen der Schöpfung unmittelbar angeschlossen. Deshalb konnte er ständig großzügig und tolerant sein. Er fühlte in weiteren Räumen.

Das hinderte ihn freilich nicht daran, zum Tage Stellung zu nehmen. Er haßte den Faschismus. Es ekelte ihn vor der satten Selbstzufriedenheit der Spießbürger ebenso wie vor den zum Morden bereiten Fanatikern.

Sein Lebenselement war die geglückte Improvisation. Deshalb blieb er als Kabarettist unvergeßlich. Aus dieser Sphäre des blitzschnell treffenden Witzes wollte er — vielleicht auf der Flucht vor den Urkräften seines Genies—zur Schauspielerei auf großen Bühnen. Hier blieben seine Leistungen bedeutend, aber mit den hinreißenden Clownerien der sogenannten Kleinkunst nicht vergleichbar. Er versuchte, sich Shakespeare oder Kleist zu unterordnen; sein Genie hinderte ihn daran. Er war zu stark. Seine Persönlichkeit durchglühte die Kostümierung.

Auch seine schriftstellerischen Arbeiten litten unter dem Ubermaß seiner eigentümlichen und originellen Begabung. Hier steht Dionysos gegen Apoll.

Dennoch werden Qualtingers Szenen, auch seine Prosawerke, ihren Autor überleben. Sie treffen unumwunden ins Schwarze. Es fehlt allerdings die Gestalt, die Stimme, die sie zum Leben erwek-ken könnte. Sie sind auch so wie sie sind, als Bühnentexte, als Stützen eines Monologs, wuchtiger, witziger und klüger als vieles, das heute auf den verschiedenen Bühnen gesprochen wird. Auch Nestroys Stücke wirken ohne Mitwirkung des Schauspielers Nestroy.

Er prägte einen Abschnitt der österreichischen Kulturgeschichte. Seine Chansons (zum Teil von Gerhard Bronner verfaßt) formten das Lebensgefühl einer ganzen Generation, seine Satiren (gemeinsam mit Carl Merz geschrieben) waren Zerrbilder einer Epoche. Sie gestatteten dem Publikum, in Qualtingers Witz sich selbst und in sich das Böse zu erkennen. Irgendwo, jenseits all seiner Zweifel, war es Helmut Qualtinger bewußt, daß er etwas zu bewirken hatte.

Was aber sein persönliches Schicksal betrifft: Er tat alles, um sich selbst zu vernichten. Im massigen Körper steckte ein schlanker Jüngling, hinter dem Satiriker stand ein Lyriker, die Grimassen, die der Komödiant zu schneiden hatte, waren die Grimassen eines Philosophen. Es galt, diesen Leib, diesen Kabarettisten, diesen Grimassenschneider aus dem Weg zu schaffen. Arbeit, Alkohol, Leidenschaft, Leichtsinn und Verdrängung waren die geeigneten Mittel. Wieviel mußte er arbeiten, wieviel trinken, wie oft noch den Komödienspieler mimen, um die Last der Begebenheiten endlich loszuwerden und nur Geist zu sein, gewichtlos und unantastbar? Qualtinger warf sich in das Abenteuer, in der Hoffnung, Masse und Gewicht des Daseins zu durchdringen und endlich wahrhaftig da zu sein, wie die zu Boden fallende Kastanie sauber glänzend aus ihrer stacheligen Schale springt.

Nun ist es Helmut Qualtinger gelungen, zu erreichen, was er wollte. Er hat sich zum Tode gelebt.

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